
Die Terrorserie von Brüssel geht auf das Konto eines islamistischen Bruderpaars, das auch Verbindungen zu den Attentätern von Paris hatte. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft sprengte sich einer der Brüder auf dem Flughafen in die Luft. Kurze Zeit später zündete der andere dann eine Bombe in der U-Bahn.
Die Suche nach weiteren Tätern dauerte am Mittwoch an. Aus Sorge vor weiteren Anschlägen galt in Belgien weiter die höchste Terror-Warnstufe. Auch in vielen anderen europäischen Ländern waren die Sicherheitsbehörden alarmiert.
Insgesamt starben bei der Terrorserie in der Europa-Stadt am Dienstag nach neuen Angaben mindestens 31 Menschen. Mehr als 270 wurden verletzt. Befürchtet wird, dass sich die Zahl der Todesopfer in den nächsten Tagen noch erhöht.
Auswertiges Amt: Deutsche unter den Verletzten
Unter den Verletzten sind auch mehrere Deutsche, darunter ein schwer verletzter Mann. Das Auswärtige Amt schloss auch nicht mehr aus, dass Bundesbürger getötet wurden. Bislang war nur bekannt, dass eine deutsche Frau eine Rauchvergiftung erlitten hatte.
Staatsanwalt Frédéric Van Leeuw bestätigte auf einer Pressekonferenz in Brüssel, dass es sich bei den Selbstmord-Attentätern um das Bruderpaar Ibrahim und Khalid El Bakraoui handelt. Beide waren belgische Staatsbürger. Die Brüder waren wegen verschiedener Taten der Polizei bekannt, standen aber nicht unter Terrorverdacht.
Nach Angaben der Behörden wird nach einer ganzen «Reihe von Personen» noch gesucht. Aus ermittlungstaktischen Gründen wollte Leeuw aber keine weitere Auskunft geben.
Nach belgischen Medienberichten richtet sich der Verdacht insbesondere gegen den mutmaßlichen Dschihadisten Najim Laachraoui, einen der mutmaßlichen Drahtzieher der Attentate von Paris, wo im November 130 Menschen getötet wurden. Berichte, wonach der 24-Jährige in Brüssel festgenommen wurde, stellten sich als falsch heraus.
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Der IS hat sich zu den Anschlägen auf den Flughafen und eine U-Bahn-Station bekannt. Dabei waren am Dienstag mindestens 34 Menschen getötet und etwa 230 weitere verletzt worden. In Gedenken an die Opfer rief die Regierung eine dreitägige Staatstrauer aus. In der Brüsseler Innenstadt legten Menschen am Abend Blumen nieder und stellten Kerzen auf. Die Brüsseler Regionalregierung rief zu einer Schweigeminute am Mittwochmittag auf. Aus Solidarität mit den Opfern wurden zudem am Abend Wahrzeichen europäischer Hauptstädte in den Nationalfarben Belgiens angeleuchtet, darunter das Brandenburger Tor in Berlin und der Pariser Eiffelturm.
Das Bild ist so grausam, dass es nur schwer auszuhalten ist: Mitten in der gesprengten Abflughalle des Brüsseler Flughafens liegt ein Mann, die Bombe des Attentäters hat ihm beide Beine abgerissen. Er schreit, während Ersthelfer ihn zu versorgen versuchen. „Irgendwann wurde das Schreien leiser und verstummte schließlich“, erzählt einer der hilflosen Retter später.
Die Frage nach dem Warum
Ist es das, was die Terroristen erreichen wollten? Mitten in den Straßen einer europäischen Millionenstadt kriechen verängstigte Menschen über den Gehweg, drücken sich an Hauswände, laufen um ihr Leben. Warum? Die Einwohner und Besucher, die Angehörigen und ihre Opfer haben an diesem 22. März 2016, der sich in die Köpfe und in die Stadtgeschichte einprägen wird, noch keine Zeit, der Frage nachzugehen. Rache ist der erste Gedanke. Eine Machtdemonstration jener Leute, die der erst wenige Tage zuvor verhaftete Paris-Attentäter Salah Abdeslam um sich geschart hat?
„Wir können noch nichts sagen“, erklärt der leitende Generalstaatsanwalt Frédérick van Leeuw. Nur dass es sich um „Terrorakte“ gehandelt habe, stehe für ihn fest. Es ist eine seltsame Hilflosigkeit, die die Brüsseler Behörden ausstrahlen. Noch am Montag konnte van Leeuw vom Erfolg der Verhaftung Abdeslams berichten. Einen Tag später scheinen die Terroristen zu triumphieren und alle die Vorwürfe an die Polizei zu bestätigen.
Brüssel gilt als unsicheres Pflaster. Jahrelang wurde in den 19 Stadtgemeinden nur oberflächlich kontrolliert, wer wo wohnt. Nach den Pariser Anschlägen gingen in Molenbeek, das längst als „Dschihad City“ verunglimpft wird, Polizisten von Haus zu Haus, um festzustellen, wer wo eigentlich lebt. „Es gibt keine Bundes- oder Landespolizei, nur städtische Strukturen“, schimpft der Europa-Abgeordnete Markus Ferber (CSU), der eigentlich am Dienstagmorgen von München nach Brüssel fliegen sollte. Seine Maschine wäre wohl genau zu dem Zeitpunkt gelandet, als die Bomben in der Abflughalle hochgingen.
Die Hauptstadtregion Brüssel ist ein kompliziertes politisches Gebilde: Die wallonische und die flämische Sprachengemeinschaft treffen hier aufeinander. 19 Gemeinden, sechs Polizeidistrikte, ein Oberbürgermeister für alle. Ständig agieren Räte und Abgeordnetenvertretungen unterschiedlicher politischer Ebenen gegeneinander. Seit Jahren führt Brüssel die europäische Liste mit den meisten Einbrüchen, Überfällen und Eigentumsdelikten wie Raub an. Doch Reformen blieben stecken. Seit den Pariser Anschlägen patrouillieren 300 Soldaten in den Straßen, kontrollieren die Eingänge zu wichtigen Gebäuden wie dem europäischen Parlament, der Kommission, den Sitzen der belgischen Regierung. An die Lebensadern dieser Stadt wie die Metro hatte niemand gedacht.

Der Terror zeigt sich nicht nur von seiner feigen Seite, denn in Belgien hatten die Osterferien bereits angefangen. An diesem Morgen wollten viele Familien in den Urlaub fliegen. Die Täter zielten auf das europäische Machtzentrum, wo EU und Nato ihren Hauptsitz haben. Und sie schlugen dort zu, wo europäische Politik gemacht wird – der Sprengsatz in der Metro ging nur einen Steinwurf weit von dem Gebäude hoch, in dem noch am vergangenen Freitag die Staats- und Regierungschefs der EU zusammensaßen. Unfassbar? Undenkbar? Seit gestern nicht mehr. Das ist die Botschaft: Wir können, wenn wir wollen, Europa ins Herz treffen. Über 30 Tote und 130 Verletzte sollen das belegen.
Die politischen Analytiker haben Belgien immer wieder als Zentrum des Terrors gebrandmarkt – wegen seiner besonderen Lage im Zentrum der EU, wegen seiner politischen Machtfülle, wegen der weitreichenden Macht der europäischen Institutionen. Ein Anschlag auf diesen Mittelpunkt der EU würde alle Staaten irgendwie treffen, so lautete die These. Der Nährboden dazu passte: Brüssels Problem sind die beiden Parallelgesellschaften aus öffentlichen Mandatsträgern und hochrangigen Diplomaten einerseits und verarmten Bevölkerungsschichten mit vielen Zuwanderern andererseits.
#PrayForBrussels-Tweets
Anwerber des sogenannten Islamischen Staates (IS) konnten hier jahrelang unter jungen Menschen ohne Perspektive Nachwuchs für den Dschihad rekrutieren. Dem Ruf seien fast 1000 junge unzufriedene Menschen gefolgt, heißt es. „Sharia4Belgium“ hieß die Organisation mit fast 50 Mitgliedern, die mehrere hundert Kämpfer rekrutierte, ehe sie zerschlagen und ihre Mitglieder verurteilt wurden.
Der Prozess vor zwei Jahren belegte in allen Einzelheiten, woran es Belgien mangelt, warum junge Menschen anfällig für radikale Ideen werden. Rückschlüsse zogen nur wenige. Noch heute betätigen sich Stadtführer fleißig in Schönfärberei, wenn sie durch jene vernachlässigten Viertel führen und verzweifelt versuchen, die Machtlosigkeit der Polizei als „dummes Gerede“ abzutun. Auch sie sind gestern Lügen gestraft worden.
Als am Dienstagmittag sogar die königliche Familie aus dem Stadtschloss evakuiert und in Sicherheit gebracht wird, ist die Nation getroffen. Etwas Vergleichbares geschah zuletzt im Zweiten Weltkrieg. Um die Gefühlslage dieses Augenblicks nachempfinden zu können, stelle man sich für einen Moment vor, der deutsche Bundespräsident müsse aus seinem Berliner Amtssitz an einen sicheren Ort gebracht werden. Belgien erlebte gestern einen der schwärzesten Tage seiner Geschichte. Und es weiß noch nicht, wie es wieder zur Normalität zurückfinden kann.