Manche erwarten für diesen Mittwoch gar eine neuerliche "Sternstunde" des Bundestags: Ohne Fraktionszwang wird in einer "Orientierungsdebatte" über die Organspende gesprochen, maximal vier Minuten pro Redebeitrag. Das Thema polarisiert, spaltet Parteien, wirft rechtliche wie ethische Fragen auf. Bei der aktuellen Debatte im Mittelpunkt: Soll jeder Bürger automatisch zum Organspender werden, wenn er nicht zu Lebzeiten widersprochen hat oder es die Angehörigen tun?
Für eine solche Widerspruchslösung, wie derzeit in 22 europäischen Ländernangewendet, machen sich in der Koalition unter anderem CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn und SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach stark. Die Kritiker-Gruppe wird von dem jungen Münchner CSU-Abgeordneten und Arzt, Stephan Pilsinger, angeführt.
Gesundheitsexpertin Dittmar (SPD): Strukturverbesserung reicht nicht
Dass die Organspendepraxis in Deutschland verbessert werden muss, darin sind sich Befürworter und Gegner einer Widerspruchslösung einig. Letztere fordern, zunächst die Auswirkungen des neuen Strukturgesetzes zur Verbesserung in den Kliniken abzuwarten, bevor man in Selbstbestimmungsrechte der Bürger eingreife. Dagegen meinen Befürworter wie die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Sabine Dittmar (Wahlkreis Bad Kissingen): "Wir brauchen beides."
In ihrer Arbeit als praktizierende Ärztin hat sie junge Patienten erlebt, die verzweifelt auf ein Spenderorgan warteten. Und sie kennt den emotionalen Ausnahmezustand von Angehörigen, die Organe freigeben sollen. "Das sind Schocksituationen." Die Widerspruchslösung schaffe Klarheit - durch eine persönliche Entscheidung vor dem Tod.
Kann Schweigen als Zustimmung gelten?
Ein entsprechender interfraktioneller Gruppenantrag ist laut Dittmar in Vorbereitung. Das Prinzip: Jeder Erwachsene wird mit Informationen zur Organspende angeschrieben und zu einer Erklärung aufgefordert. Kommt diese nach einer bestimmten Zeit nicht, gilt er oder sie als möglicher Organspender. Schweigen als Zustimmung? Vor allem hieran scheiden sich die Geister.
Dittmar hält ein "qualifiziertes Schweigen" mit vorheriger Aufklärung über die Folgen für verfassungskonform. CSU-Mann Pilsinger winkt ab: "Schweigen kann keine Zustimmung sein, das ist in allen Rechtsbereichen so." Manche seien psychisch oder intellektuell nicht in der Lage, sich mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen. "Sie würden auf indirektem Weg zum Ersatzteillager", sagt der Abgeordnete gegenüber dieser Redaktion.
Warnung vor Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht
Auch Pilsinger schreibt mit Vertretern anderer Fraktionen an einem Gruppenantrag - für eine verstärkte Zustimmungslösung. Danach sollen ebenfalls alle Bürger befragt werden, etwa bei der Verlängerung des Personalausweises. Allerdings werde niemand zu einer Entscheidung gezwungen. Was Gegner und Befürworter eint: Sie wollen ein zentrales Register schaffen, um im Einzelfall schnell Klarheit über den erklärten Willen von Sterbenden zu bekommen.
Der Würzburger FDP-Abgeordnete Andrew Ullmann, Medizin-Professor an der Universitätsklinik, hält ebenso wie der CSU-Abgeordnete und Jurist Paul Lehrieder eine Widerspruchslösung für grundgesetzwidrig. Gegenüber einem Zwang zur Entscheidung verteidigt Ullmann die Freiheit und Selbstbestimmung des Einzelnen: "Dazu gehört auch, sich nicht entscheiden zu wollen."
Unterfränkische Abgeordnete sind in der Frage gespalten
Im Vorfeld der Debatte ist der Bundestag in der Organspendefrage gespalten, quer durch die Fraktionen. Pilsinger schätzt Befürworter und Gegner einer Widerspruchslösung auf je ein Drittel, ein weiteres Drittel sei unentschlossen. Eine Umfrage unter den zwölf unterfränkischen Abgeordneten bestätigt dieses Bild. Pro Widerspruchslösung sind Alexander Hoffmann (CSU), Sabine Dittmar (SPD) und Simone Barrientos (Linke), dagegen Paul Lehrieder (CSU), Manuela Rottmann (Grüne), Andrew Ullmann (FDP) und Klaus Ernst (Linke). Noch unentschlossen: Anja Weisgerber, Andrea Lindholz (beide CSU), Bernd Rützel (SPD) und Karsten Klein (FDP). Keine Aussage dazu treffen wollte Digitalbeauftragte Dorothee Bär (CSU), räumt aber ein: "Wir brauchen neue Lösungen."