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Würzburg
Vor Bundestagsdebatte: Darf der Staat auf Organe zugreifen?
Nach Minusrekord bei Organspenden: Wird sie per Widerspruchslösung zum Normalfall? Am Mittwoch debattiert der Bundestag, die Abgeordneten aus Unterfranken sind gespalten.
Organspendeausweise: Damit kann jeder seinen Willen formulieren - und eine Organentnahmen zulassen oder ablehnen. Doch nur gut jeder dritte Deutsche hat einen solchen Ausweis ausgefüllt. 
Foto: Steffen Trumpf, dpa | Organspendeausweise: Damit kann jeder seinen Willen formulieren - und eine Organentnahmen zulassen oder ablehnen. Doch nur gut jeder dritte Deutsche hat einen solchen Ausweis ausgefüllt. 
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:34 Uhr

Manche erwarten für diesen Mittwoch gar eine neuerliche "Sternstunde" des Bundestags: Ohne Fraktionszwang wird in einer "Orientierungsdebatte" über die Organspende gesprochen, maximal vier Minuten pro Redebeitrag. Das Thema polarisiert, spaltet Parteien, wirft rechtliche wie ethische Fragen auf. Bei der aktuellen Debatte im Mittelpunkt: Soll jeder Bürger automatisch zum Organspender werden, wenn er nicht zu Lebzeiten widersprochen hat oder es die Angehörigen tun?

 

Für eine solche Widerspruchslösung, wie derzeit in 22 europäischen Ländernangewendet, machen sich in der Koalition unter anderem CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn und SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach stark. Die Kritiker-Gruppe wird von dem jungen Münchner CSU-Abgeordneten und Arzt, Stephan Pilsinger, angeführt.

Gesundheitsexpertin Dittmar (SPD): Strukturverbesserung reicht nicht

Dass die Organspendepraxis in Deutschland verbessert werden muss, darin sind sich Befürworter und Gegner einer Widerspruchslösung einig.  Letztere fordern, zunächst die Auswirkungen des neuen Strukturgesetzes zur Verbesserung in den Kliniken abzuwarten, bevor man in Selbstbestimmungsrechte der Bürger eingreife. Dagegen meinen Befürworter wie die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Sabine Dittmar (Wahlkreis Bad Kissingen): "Wir brauchen beides."

In einem Operationssaal des Zentralklinikums Augsburg wird eine Spenderorganentnahme an einem hirntoten Menschen durchgeführt. 
Foto: Annette Zoepf, epd | In einem Operationssaal des Zentralklinikums Augsburg wird eine Spenderorganentnahme an einem hirntoten Menschen durchgeführt. 

In ihrer Arbeit als praktizierende Ärztin hat sie junge Patienten erlebt, die verzweifelt auf ein Spenderorgan warteten. Und sie kennt den emotionalen Ausnahmezustand von Angehörigen, die Organe freigeben sollen. "Das sind Schocksituationen." Die Widerspruchslösung schaffe Klarheit - durch eine persönliche Entscheidung vor dem Tod.

Kann Schweigen als Zustimmung gelten?

Ein entsprechender interfraktioneller Gruppenantrag ist laut Dittmar in Vorbereitung. Das Prinzip: Jeder Erwachsene wird mit Informationen zur Organspende angeschrieben und zu einer  Erklärung aufgefordert. Kommt diese nach einer bestimmten Zeit nicht, gilt er oder sie als möglicher Organspender. Schweigen als Zustimmung? Vor allem hieran scheiden sich die Geister.

Sabine Dittmar
Foto: SPD | Sabine Dittmar

Dittmar hält ein "qualifiziertes Schweigen" mit vorheriger Aufklärung über die Folgen für verfassungskonform. CSU-Mann Pilsinger winkt ab: "Schweigen kann keine Zustimmung sein, das ist in allen Rechtsbereichen so." Manche seien psychisch oder intellektuell nicht in der Lage, sich mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen. "Sie würden auf indirektem Weg zum Ersatzteillager", sagt der Abgeordnete gegenüber dieser Redaktion.

Warnung vor Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht

Auch Pilsinger schreibt mit Vertretern anderer Fraktionen an einem Gruppenantrag - für eine verstärkte Zustimmungslösung. Danach sollen ebenfalls alle Bürger befragt werden, etwa bei der Verlängerung des Personalausweises. Allerdings werde niemand zu einer Entscheidung gezwungen. Was Gegner und Befürworter eint: Sie wollen ein zentrales Register schaffen, um im Einzelfall schnell Klarheit über den erklärten Willen von Sterbenden zu bekommen.

Die beiden Bundestagsabgeordneten Andrew Ullmann (FDP) und Simone Barrientos (Linke), bei einem gemeinsamen Main-Post-Interview im Oktober in Würzburg. 
Foto: Patty Varasano | Die beiden Bundestagsabgeordneten Andrew Ullmann (FDP) und Simone Barrientos (Linke), bei einem gemeinsamen Main-Post-Interview im Oktober in Würzburg. 

Der Würzburger FDP-Abgeordnete Andrew Ullmann, Medizin-Professor an der Universitätsklinik, hält ebenso wie der CSU-Abgeordnete und Jurist Paul Lehrieder eine Widerspruchslösung für grundgesetzwidrig. Gegenüber einem Zwang zur Entscheidung verteidigt Ullmann die Freiheit und Selbstbestimmung des Einzelnen: "Dazu gehört auch, sich nicht entscheiden zu wollen."

Unterfränkische Abgeordnete sind in der Frage gespalten

Im Vorfeld der Debatte ist der Bundestag in der Organspendefrage gespalten, quer durch die Fraktionen. Pilsinger schätzt Befürworter und Gegner einer Widerspruchslösung auf je ein Drittel, ein weiteres Drittel sei unentschlossen. Eine Umfrage unter den zwölf unterfränkischen Abgeordneten bestätigt dieses Bild. Pro Widerspruchslösung sind Alexander Hoffmann (CSU), Sabine Dittmar (SPD) und Simone Barrientos (Linke), dagegen Paul Lehrieder (CSU), Manuela Rottmann (Grüne), Andrew Ullmann (FDP) und Klaus Ernst (Linke). Noch unentschlossen: Anja Weisgerber, Andrea Lindholz (beide CSU), Bernd Rützel (SPD) und Karsten Klein (FDP). Keine Aussage dazu treffen wollte Digitalbeauftragte Dorothee Bär (CSU), räumt aber ein: "Wir brauchen neue Lösungen."

Umfrage
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Daten und Fakten zur Organspende
In Deutschland warten aktuell über 10.000 Patienten auf ein Spenderorgan, im vergangenen Jahr gab es aber nur noch 797 Spender. Ein neuer Minusrekord. Und dies, obwohl in Umfragen 80 Prozent der Deutschen die Organspende positiv sehen. Allerdings besitzt erst jeder Dritte einen Spenderausweis. Fakt ist aber auch: In den letzten Jahren haben sich mehr mögliche Organspender gemeldet, trotzdem ist die Zahl der Transplantationen gesunken. Verantwortlich dafür ist nach Einschätzung von Fachleuten die Situation in den Kliniken. Es fehle an Zeit, Geld und Personal, um mehr Organspenden und -transplantationen durchzuführen. Hier setzt ein neues Gesetz an, das Strukturen und Organisation in den Kliniken verbessern soll. Es wurde im Koalitionsvertrag vereinbart und - ganz unabhängig von einer Widerspruchslösung - bereits vom Kabinett auf den Weg gebracht. Anfang nächsten Jahres soll es der Bundestag beschließen. Vor einer Organspende müssen zwei Ärzte unabhängig voneinander den Hirntod eines Spenders feststellen. Nur in seltenen Fällen (14 Prozent) handelt es sich um Unfallopfer. Ursache des Hirntods sind laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu 60 Prozent Hirnblutungen.
 
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