Es gibt Themen im Leben, um die wir uns gerne drücken. Die wir ausblenden oder vor uns herschieben, weil sie unangenehm sind. Oder weil sie uns zum Nachdenken und zu Entscheidungen zwingen. Der Tod ist so ein Thema. Und ja, es gibt Leichteres als die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit. Gerade deshalb sollten wir sie führen. Tun wir es nicht, bürden wir schwere Entscheidungen anderen auf - den nächsten Angehörigen.
Wer von ihnen ist nicht dankbar, wenn der oder die Verstorbene zu Lebzeiten per Patientenverfügung seinen Willen bekundet hat , was die letzte medizinische Behandlung angeht. Und bei der Organspende? Während sie in Umfragen 80 Prozent befürworten, hat nur jeder dritte Deutsche einen Spenderausweis. Obwohl 10.000 Patienten auf ein Organ warten und täglich drei von ihnen sterben, wurden 2017 nur noch bei 797 Spendern Organe entnommen. Ein Minusrekord. Bei Transplantationen rangiert Deutschland im Europavergleich am Ende. Wie kommt es zur Lücke zwischen allgemeiner Zustimmung und konkreter Enthaltung?
Widerspruchslösung "zwingt" zur persönlichen Auseinandersetzung
Da gibt es Verunsicherung nach Klinikskandalen und Machenschaften mit Spenderorganen. Da gibt es unbegründete Ängste und plausible Skrupel: Werden Organe wirklich erst nach dem Tod entnommen? Und wann ist ein Mensch eigentlich tot? Da gibt es erklärten Widerspruch im Sinne von: "Ich bin kein Ersatzteillager" - meine Organe gehören mir als Individuum und zum Wesen menschlicher Vergänglichkeit. Und vor allem gibt es: viel Bequemlichkeit. Sie dürfte der Hauptgrund sein, warum so wenige Deutsche ihre Organe zur Verfügung stellen. Anteilig zählen Länder wie Spanien fast fünfmal, Portugal oder Italien dreimal so viele Spender.
Was diese und weitere Staaten von Deutschland unterscheidet: Jeder Bürger ist dort bei Hirntod grundsätzlich Organspender, wenn er dies zuvor nicht ausdrücklich abgelehnt hat. Eine solche Widerspruchslösung fordert nun auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und forciert damit eine wichtige öffentliche Debatte. Die Organspende soll von der Ausnahme zum Normalfall werden. Gut so! Die Widerspruchslösung ist der effektivste Hebel, um jeden Einzelnen von uns zur persönlichen Entscheidung und Erklärung zu bewegen. So wird die Verantwortung für den eigenen Körper nicht auf andere abgewälzt. Und, das zeigt die Erfahrung anderer Länder: Die Zahl der Spenderorgane wird steigen. Genauso wie die Hoffnung von todkranken Patienten auf ein neues Leben.
Auch Mängel in den Klinik bremsen Organspende
Fragen muss man allerdings auch: Wenn jeder Dritte einen Spenderausweis besitzt, warum wird dann nicht mehr transplantiert? Fehlt es wirklich nur an Nieren, Lebern, Lungen? Nein. Nicht weniger erheblich sind organisatorische und strukturelle Missstände an den Kliniken. Sie stehen heute unter einem brutalen wirtschaftlichen Druck, der große Aufwand für die Entnahme und Verpflanzung von Organen wird finanziell nicht honoriert. Es fehlt in den Kliniken an Zeit und an Ressourcen. Das ist skandalös und einem reichen Industrieland unwürdig. Hier setzt das von Spahn eingebrachte "Gesetz für bessere Zusammenarbeit und bessere Strukturen bei der Organspende "an. Es ist ein richtiger und wichtiger Schritt.
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Die Widerspruchslösung ist nicht Teil des Gesetzes, der Minister will sie unabhängig davon im Bundestag diskutiert sehen. Da gehört das Thema hin, mit allem Für und Wider. Die Gegner werden dann einwenden, dass der Staat nicht in das Selbstbestimmungsrecht seiner Bürger eingreifen dürfe. Was er mit einer Widerspruchsregelung auch nicht tut. Zwar wird die Ausgangslage verändert. Aber das Ja oder Nein zur Organspende - beides im Ausweis zu dokumentieren - bleibt weiter die bewusste Entscheidung jedes Einzelnen. Sie gilt es zu respektieren, und gleichzeitig darf die Gesellschaft sie erwarten. Wegducken gilt nicht. Nicht die Organspende muss zum Normalfall werden, sehr wohl aber die persönliche Auseinandersetzung mit ihr.