Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will die Organspende in Deutschland stärken: mit einem Gesetz zur besseren Organisation und der so genannten Widerspruchsregelung. Danach wären alle Organspender, die nicht aktiv widersprochen haben. Ist das die Lösung? Ein Gespräch mit Prof. Ingo Klein, Leiter der Transplantationschirurgie am Uniklinikum Würzburg und am 22. November zu Gast im „Würzburger Kellergespräch“.
Frage: Angeblich gibt es in der Bevölkerung eine hohe Bereitschaft zur Organspende. Trotzdem wurde im vergangenen Jahr in Deutschland nur 797 Organe transplantiert, ein weiterer Minusrekord. Woran liegt das?
Ingo Klein: Richtig, die Zustimmung zur Organspende in den Umfragen ist sehr hoch, meistens über 80 Prozent. Wenn es darauf ankommt, sieht es anders aus. In konkreten Gesprächen mit Angehörigen von Verstorbenen ist die Zustimmungsrate etwa bei 75% Prozent, nicht erfasst sind allerdings Fälle in denen eine Organspende bereits im Vorfeld ausgeschlossen wurde.
Aber ein Drittel aller Deutschen hat doch einen Spenderausweis… Warum werden immer weniger Organe transplantiert?
Klein: Das liegt auch daran, dass potenzielle Organspender in den Krankenhäusern nicht immer als solche identifiziert werden. Der organisatorische Aufwand des Abklärens ist erheblich – die Angehörigen sind zu befragen, gesundheitliche Voraussetzungen zu prüfen…
Das heißt, den Kliniken fehlen teilweise die Kapazitäten dafür?
Klein: Im Gesundheitssystem lastet ein ökonomischer Druck auf den Kliniken. Zeit ist ein wichtiger Faktor: Kollegen auf der Intensivstation arbeiten heute deutlich gedrängter als vor zehn Jahren. Da steht für eine mögliche Organspende häufig die notwendige Zeit nicht zur Verfügung.
Stimmt es also, dass Kliniken wenig Interesse an der Organspende haben, weil sie so zeit- und kostenintensiv ist?
Klein: Voraussetzung ist ja eine einwandfreie Diagnose und Dokumentation des Hirntods. Allein dafür liegt der Betreffende einen Tag länger auf der Intensivstation, obwohl Plätze dort schwer zu bekommen sind. Dann braucht es Untersuchungen, ob Organe transplantierbar sind, hier entstehen Kosten. Die Organspende selbst findet in einem OP-Saal statt – in der Zeit sind keine anderen Operationen möglich. Da ist einem Mediziner der eigene Patient vermutlich näher als ein hirntoter Organspender und die auf ein Organ wartenden Patienten auf der Warteliste.
Kann hier das von Gesundheitsminister Jens Spahn auf den Weg gebrachte neue „Gesetz zur Verbesserung von Struktur und Zusammenarbeit“ helfen?
Klein: Ich denke ja. Dazu gehören hauptamtliche Transplantationsbeauftragte, die sich um die Identifikation und die Begleitung von möglichen Spendern kümmern. Sie wären dann auch gegenfinanziert. Davon erwarte ich mir eine deutliche Verbesserung.
Die Stiftung Patientenschutz kritisiert, dass die Transplantationsbeauftragten künftig schon vor dem Hirntod Einsicht in die Patientenakte nehmen dürfen.
Klein: Der Transplantationsbeauftragte hat keinen Einfluss auf die Behandlung von Patienten auf der Intensivstation. Das ist das Entscheidende. Letztlich haben auch andere Klinikmitarbeiter Einsicht in Krankenakten. Ein Datenschutzproblem sehe ich hier nicht.
Können Sie Ängste in der Bevölkerung nachvollziehen, als Organspender im Ernstfall medizinisch nicht mehr hundertprozentig versorgt zu werden?
Klein: Das ist eine Sorge, die entwicklungsgeschichtlich tief in uns verwurzelt ist: Ist jemand wirklich tot? Beim Hirntod haben wir dazu eine Sondersituation, weil noch Herz-/Kreislauffunktionen und über Apparate eine Atmung vorhanden ist. Das ist ein anderer Zustand, als wenn jemand ausgekühlt und steif ist. Der Hirntod ist schwerer zu begreifen. Die wichtige Botschaft aber heißt: Therapie und Organspende sind strikt voneinander getrennt. Ziel einer Klinik ist immer die bestmögliche Therapie für einen verunfallten Menschen.
Zusätzlich zum neuen Strukturgesetz drängt der Gesundheitsminister auf die Einführung der Widerspruchslösung in Deutschland. Das heißt: Jeder wäre Organspender, wenn er nicht aktiv widerspricht. Was halten Sie davon?
Klein: Andere erfolgreiche Länder wie Spanien, Kroatien, Österreich oder USA zeigen, dass vor allem die Organisationsstrukturen ausschlaggebend für eine Stärkung der Organspende sind. Ich glaube, dass das auf den Weg gebrachte Gesetz zur Strukturverbesserung noch wichtiger ist als die Einführung einer Widerspruchslösung.
Abgesehen davon, dass Kritiker rechtliche Bedenken haben… Darf der Staat überhaupt pauschal in die Persönlichkeitsrechte eingreifen?
Klein: Ich bin kein Jurist, aber rechtliche Probleme sehe ich nicht. Der Staat formuliert ja auch Regeln für die Erbfolge für den Fall, dass es kein Testament gibt – und niemand sieht hier Persönlichkeitsrechte verletzt… Außerdem kann jeder Nein zur Organspende sagen, und bei der angepeilten doppelten Widerspruchslösung können das auch die Angehörigen.
Würde eine solche Umstellung denn überhaupt etwas bringen?
Klein: Ich glaube, dass eine Widerspruchslösung mittelfristig dazu führt, eine Organspende – beim irreversiblen Ausfall der Gehirnfunktionen – als Normalfall und nicht als Ausnahmefall zu betrachten. Die Zahl der Organspenden würde sich damit erhöhen.
Kann Österreich mit seiner Widerspruchslösung ein Vorbild sein? Gibt es dort mehr Organspender?
Klein. Ja! Als Vergleichsgröße dient die Zahl der Organspender pro eine Million Einwohner. Dabei geht man von mindestens zehn aus, damit ein Organspende- und Transplantationssystem überhaupt funktioniert. Deutschland ist hier 2017 zum ersten Mal darunter gefallen. In Österreich sind es 25, Spanien hat über 50, Nordamerika über 30, Kroatien 40. Wir sind in Europa zusammen mit Luxemburg absolutes Schlusslicht bei der Organspende in Zentraleuropa.
Spielt eigentlich der Vertrauensverlust nach dem Göttinger Skandal von 2012 noch eine Rolle, als Patientenakten manipuliert wurden?
Klein: In Online-Foren wird das von Leuten noch stark thematisiert. Aus meiner Sicht das Entscheidendere war der Vertrauensverlust in den Spenderkrankenhäusern. Bei kritischen Häusern ist die Zahl der Organspenden nach 2012 zurückgegangen.
Könnte – anstelle einer pauschalen Widerspruchslösung – die Bereitschaft zur Organspende nicht verpflichtend abgefragt werden, zum Beispiel beim Ausstellen des Personalausweises?
Klein: In den USA braucht man alle fünf Jahre einen neuen Führerschein – und bei der Gelegenheit wird die Bereitschaft zur Organspende mit abgefragt. Ich fände eine Abfrage über den Personalausweis sehr sinnvoll. Verwaltungsrechtlich ist dies aber bei uns offenbar nicht möglich.
Prof. Ingo Klein ist einer der Gäste beim nächsten „Würzburger Kellergespräch“ von Main-Post und Juristen-Alumni der Uni Würzburg am Donnerstag, 22.November, ab 19 Uhr (c.t.) im Max-Stern-Keller der Alten Universität (Domerschulstraße 16). Thema: „Per Gesetz zum Volk von Organspendern? Pro und Contra Widerspruchslösung“. Der Eintritt ist frei.
Es müsste endlich ein digitales Zentralregister her, ähnlich wie bei der Stammzelltransplantation (Knochenmarktransplantation).
Auch Änderungen der Gesetze für altruistische Lebendorganspenden könnte hilfreich sein.
Hierzu unsere Anfrage an die Bundesregierung:
http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/056/1905634.pdf
Also viele Ecken die eine Korrektur benötigen, aber die Widerspruchslösung wird es nicht richten.
Andrew Ullmann MdB
Andrew.Ullmann@Bundestag.de
Hier ist unser Antrag zur Organlebendspende:
http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/056/1905673.pdf