Das Verfahren gegen den Messerangreifer, dem dreifacher Mord und elffacher Mordversuch vorgeworfen werden, stößt bundesweit auf starkes Interesse. So gab es schon eine Menge Veröffentlichungen zur Bluttat vom 25. Juni 2021 in Würzburg. Nun aber gilt es für Journalisten, zu schildern, was in der Verhandlung zu hören und zu sehen ist.
Vorwürfe an die Berichterstatter
Dass schon die bisherigen Veröffentlichungen selbst bei größter Sachlichkeit in der Leserschaft für die Verhandlung Erwartungen und Gefühle wecken, ist kaum zu vermeiden. Herr L.F. macht seine deutlich, indem er den Autoren der ersten Verhandlungsberichte vom 22. April "Gutmenschpopulismus und Euphemismus" vorwirft, Beschönigungen wie "Messerangreifer" und "Messerträger" für jemanden, der Frauen abgestochen, ja abgeschlachtet habe. Er schimpft, "Täterschutzoptimierer und Opferverhöhner bzw. Angehörigenverächter" seien auf der Titelseite unterwegs gewesen.
Der Anwalt hat für den Täter gesprochen
Dieser Zorn betrifft die Autoren. Mit Phrasen und einer Entschuldigung würden sie um Verständnis für den Täter heischen, sich an Pseudoinformationen ergötzen. Das alles um ein mildes Strafmaß und öffentliche Nachsicht zu erhalten. Bei dieser Beurteilung übersieht Herr L.F. allerdings, dass die Erklärungen, die er kritisiert, sowie das Geständnis der Anwalt, der einen offenbar psychisch erkrankten Täter verteidigt, in dessen Namen abgegeben hat. Die Grundsätze der Rechtsprechung sehen vor, dass auch Angeklagten Gehör verschafft werden muss.
Der Kontext erschließt den gesamten Zusammenhang
Die Autoren informieren nur darüber. Das möglichst vollständig. Das ist ihr Ziel. Auf mehr dürfen sie keinen Einfluss nehmen. Sie sollten weder vorverurteilen, noch beschönigend wirken. Daran ändern wechselnde Täterbezeichnungen nichts, selbst wenn die im Angesicht mörderischer Wirklichkeit für sich alleine genommen, zu milde erscheinen. Aber sie stehen in einem Kontext, der den gesamten Zusammenhang erschließt. So hat die Oberstaatsanwältin die Details der Bluttat vom Würzburger Barbarossaplatz geschildert. Aus der Anklageschrift wurde die Brutalität der Messerattacke deutlich. So leiden mehrere der Opfer, die den Angriff überlebt hatten, noch erheblich unter den Folgen.
Orientierung am Pressekodex
Berichte dieser Zeitung aus der Verhandlung orientieren sich erkennbar am Pressekodex, Ziffer 8.1 zur Kriminalberichterstattung. Darin heißt es unter anderem: "Liegen konkrete Anhaltspunkte für eine Schuldunfähigkeit des Verdächtigen oder Täters vor, soll auf eine identifizierende Berichterstattung verzichtet werden." Es gilt aber auch, was in Ziffer 11 steht: "Die Presse verzichtet auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid." Das spricht nicht grundsätzlich gegen notwendige Beschreibungen von Wirklichkeit.
Die Kritik an nüchterner Überschrift
Das Recht, das nach 27 geplanten Verhandlungstagen gesprochen werden soll, setzt bei allem Leid und allen Emotionen, die eine Rolle spielen, aber Sachlichkeit voraus. Die kommt in der Überschrift auf der Titelseite vom 23. April - "Angreifer gesteht Messerattacke" - zum Ausdruck. Die aber stört Leser G.P., der darauf ironisch reagiert: "Eine Meisterleistung! Wer hätte das gedacht (…). Als hätten vorher Zweifel bestanden."
Als Überschrift mag das Geständnis eines Täters für sicher nachgewiesene Taten nicht mehr überraschend sein, ja langweilen. Es könnte aber für die Beurteilung des Täters Bedeutung erlangen und auch für das Urteil. Das spricht für eine solch nüchterne Schlagzeile, dass andere auch möglich gewesen wären, spricht nicht dagegen.
Wovor sich auch Leserinnen und Leser hüten sollten
Auf eine gesellschaftspolitische Verantwortung für Grundrechte auf Leben, Gesundheit und Unversehrtheit weist L.F. in seiner Kritik die Presse zurecht hin. Das gilt dann nicht ganz so für seine Begründung, dass Presse die 4. Gewalt im Staat repräsentiere. Denn legitimiert sind nur drei: legislative (gesetzgebende), exekutive (vollziehende) und judikative (Recht sprechende) Gewalt. Das Grundrecht der Pressefreiheit sichert die unabhängige Wahrnehmung einer Wächterrolle, vornehmlich in Bericht und Meinung. Journalisten dürfen in Medien öffentlich kritisieren und können damit durchaus Wirkung erzielen. Sanktionieren können sie jedoch nicht - und vorverurteilen sollten sie nie. Davor sollten sich auch Leserinnen und Leser hüten, wenn sie sich alleine von Gefühlen leiten lassen.
Anmerkung: Ich schildere hier nur Zuschriften, die bei mir eingegangen sind. Es gibt natürlich auch Zustimmung zum Bericht, welche nur die Autoren erreicht hat.
Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.
Frühere Leseranwalt-Kolumnen zu Gerichtsberichterstattungen:
2014: "Was ein Verhältniswort vor dem Urteil für Leser und Angeklagte bedeutet"
2021: "Warum Täter meist namenlos bleiben, Richter aber nicht"