Vertrauen Sie dieser Zeitung? Und wenn ja, wieso? Auf diese Fragen bringt mich der Journalistik-Student Roman Winkelhahn von der TU-Dortmund durch seine Bachelorarbeit, in der es um Medienvertrauen geht. Einige Ergebnisse daraus entnehme ich einer Veröffentlichung im Europäischen Journalismus-Observatorium. Darin wird jedoch auch aufgezeigt, warum die erwähnten Fragen für die Erforschung von Medienvertrauen nicht tauglich sind.
Im Hinblick auf Vertrauen, meint Winkelhahn nämlich, seien die Eingangsfragen nicht zielführend. Er selbst hat sie zur "Tagesschau" gestellt. Besser sollte gefragt werden, ob eine Person darauf vertraut, dass die "Tagesschau" Nachrichten verbreitet, die journalistischen Standards wie Wahrhaftigkeit, Überprüfbarkeit und Unabhängigkeit entsprechen. Streng genommen werde dann aber nicht Vertrauen gemessen, sondern Glaubwürdigkeit – als das "Vertrauen in die Richtigkeit von Beschreibungen". Nun, was für die "Tagesschau" gilt, kann auch für diese Zeitung gelten. Ich komme noch darauf zurück.
Reduzierung auf die Kerndimension "Glaubwürdigkeit"
Auf der Basis früherer Erkenntnisse von Wissenschaftlern wie Niklas Luhmann (1927-1998) schreibt Winkelhahn: "Vertrauen hilft uns, Entscheidungen zu treffen, die darauf beruhen, dass wir das zukünftige Handeln unseres Gegenübers nur vermuten, aber nicht wissen können." Für die Forschung zu Medienvertrauen müsse das Phänomen "Vertrauen" jedoch reduziert werden auf seine Kerndimension "Glaubwürdigkeit" (englisch: "credibility").
Die Wissenschaftler Matthias Kohring und Jörg Matthes (2007) hätten zwar insgesamt vier solcher Dimensionen von Vertrauen aufgezählt, Winkelhahn widmet sich aber der Glaubwürdigkeit, weil sich Vertrauen nicht evaluativ beziehungsweise wertend messen lasse.
Schlüsselfaktoren: Nähe und lokale Relevanz
Die Covid-19-Pandemie habe dazu beigetragen, dass Menschen intensiver über Medienvertrauen diskutieren, hält auch Winkelhahn fest. Das zeige: Lokaljournalismus ist systemrelevant. Als Schlüsselfaktoren für funktionierenden, vertrauensvollen Journalismus hat der Yale-Historiker Timothy Snyder einmal "Nähe" und "lokale Relevanz" genannt. Diesem Thema widmet sich auch eine Publikation der Brost-Stiftung zum Lokaljournalismus an Rhein und Ruhr.
Dabei stellt sich nun die Frage: Was sind Qualitätsstandards messbarer Glaubwürdigkeit in dieser Zeitung? Am besten frage ich natürlich Sie als Leserin oder Leser danach. Sie sind entscheidend. Steht Ihnen diese Zeitung als Medium nahe? Werden Sie von ihr lokal relevant und dabei wahrhaftig informiert? Erkennen Sie in Beiträgen, warum ein Thema ausgewählt und wie recherchiert wurde? Bekennen Journalistinnen und Journalisten, wo ihr Wissen endet oder wo Zweifel an Informationen bestehen?
Wie glaubwürdig sind die Artikel in dieser Zeitung?
Werden die Quellen aller Nachrichten stets kenntlich und durchschaubar gemacht? Falls nicht, ist nachvollziehbar erklärt, warum darauf verzichtet wurde? Sichtbar wird das auch in der Veröffentlichung von Pressemitteilungen. Ist ausreichend Transparenz vorhanden, die ob ihrer Bedeutung auch in einem Journalistenpreis gewürdigt wird? Und wichtig: Erkennen Sie, dass die Redaktion journalistisch unabhängig arbeiten kann, frei von Einflüssen Dritter - also auch von Parteien, Politikerinnen und Politikern oder Unternehmen?
Kurzum: bewerten Sie die Glaubwürdigkeit von Artikeln. Gerne empfange ich begründete Antworten von Ihnen. Oder sagen Sie es am Dienstag, 30. November, zwischen 17 und 18 Uhr beim regelmäßigen digitalen Treff der Chefredaktion.
Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V..
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