LESERANWALT
Wahrhaftige Darstellung von Wirklichkeit kann zur sprachlichen Grausamkeit werden
Am Montag war ich wieder einmal schockiert“, hat eine Leserin geschrieben. Grund war in der Zeitung die Überschrift
Eine These, die beunruhigen kann, liest man noch bei Krämer:
Aber bedarf es noch mehr? Dass über das nüchtern gebrauchte Wort „Terror“ Menschen zu Terroristen werden, habe ich jedenfalls noch nicht gehört.
Ich kann es mir leicht machen und und unmissverständlich schreiben: Den Terror beenden!
Anton Sahlender, Leseranwalt
Die Frau fragt, ob die Redaktion nicht wisse, dass das menschliche Gehirn das Wort „nicht“ überliest? Es gibt Untersuchungen, so erklärt sie, die das belegen. Geht das „ist“ verloren, blieben aus dieser Überschrift „Terror“ und „siegen“ haften. Deshalb versteht die Leserin nicht, warum das so auf der Titelseite vom 16. November steht. Die Frau will, dass die Redaktion darüber nachdenkt, was sie damit bewirken kann.„Der Terror darf nicht siegen“.
Gefahren für traumatisierte Menschen
Um der der Leserin einigermaßen gerecht zu werden, blicke ich zumindest kurz auf wissenschaftliche Studien über Gewalt in der Sprache. Die besagen, dass in Sprache Denken und Handeln zum Ausdruck kommen. So erklärte Prof. Sybille Krämer vom Institut für Philosphie an der Freien Universität Berlin schon 2004,Das könnte bedeuten, dass alleine schon der Begriff „Terror“ betroffen machen kann. Besonders unangenehme Wirkung könnte er bei Menschen erzielen, die schon selbst oder deren Angehörige Opfer von Gewalt waren. Habe ich doch erst kürzlich die Polizei- und Notfallseelsorgerin von Sachsen-Anhalt, Thea Ilse, aus Erfahrung sagen hören, dass traumatisierte Menschen durch Medienberichte in ihrem Behandlungsfortschritt weit zurückgeworfen werden können. Hier ein Interview mit Thea Ilse über ihre Tätigkeit aus dem Jahre 2004.Sprache „kann positive oder negative Gefühle wecken und übertragen, kann Bewusstsein schaffen und zwischenmenschliche Beziehungsnetze aufbauen.“
"Wenn der Krieg ins Klassenzimmer kommt", hat es dieser Tag in einer Überschrift geheißen. Traumatisiert sind, dass sollte man nicht vergessen, sehr viele Flüchtlinge, die bei uns eintreffen. Das gilt auch für ihre Kinder. Selbst wenn die noch keine Zeitung lesen, ist es wichtig vor Veröffentlichung auch daran zu denken.
Das muss Journalisten sensibilisieren
Eine These, die beunruhigen kann, liest man noch bei Krämer:
Das muss Journalisten sensibilsieren. Fesseln haben sie sich freiwillig angelegt, wenn es um Suizid geht. Berichte darüber gefährden psychisch belastete Menschen, führen nachweislich zur Nachahmung. Mit einem Suizid gilt es äußerst achtsam umzugehen. Seine Darstellung verbietet sich in den allermeisten Fällen. Siehe Werther-Effekt, der auch nicht Selbstmord genannt werden sollte, wie es auf der hinterlegten umfangreich erklärenden Homepage auch geschehen ist.Sprache könne„Zustände nicht nur beschreiben und beurteilen, sondern faktisch auch schaffen und verändern“.
Aber bedarf es noch mehr? Dass über das nüchtern gebrauchte Wort „Terror“ Menschen zu Terroristen werden, habe ich jedenfalls noch nicht gehört.
Keinen Teufelskreis daraus machen
Schlimm wäre, würden Medien Terror positiv bewerten. In der kritisierten Überschrift wird das verhindert – vom kurzen Adverb „nicht“, das aber unübersehbar groß gedruckt ist. Darüber hinaus lässt natürlich der Inhalt der gesamten Seite keine Missverständnisse aufkommen. Grundsätzlich hüten sich Redaktionen vor Nachlässigkeiten. Auch Leser müssen aufmerksam bleiben. Es wird erwartet, dass in Medien, wann immer möglich, Ereignisse beim Namen genannt sind. Wahrhaftige Darstellung von Wirklichkeit kann dabei mitunter zur sprachlichen Grausamkeit werden. Negative Wechselwirkung im Sinne von Sprachforschung sollte keine entstehen. Die würde daraus einen Teufelskreis machen.Ich kann es mir leicht machen und und unmissverständlich schreiben: Den Terror beenden!
Anton Sahlender, Leseranwalt
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