LESERANWALT
Das fotografische Missverständnis mit den armen Kindern aus Schweinfurt
Auch Fotos können für Missverständnisse sorgen. Nicht immer sagen sie mehr als tausend Worte. Weil sie gedruckt oder digitalisiert auf hohe Aufmerksamkeit stoßen, tut jede Redaktion gut daran, sie stets so zu beschriften, dass bei Betrachtern keine Fragen offen bleiben.
Zunehmend ist es für die Glaubwürdigkeit eines Mediums wichtig, Arbeitsweisen durchschaubar zu machen. Man darf nicht davon ausgehen, dass es sich allen Lesern immer alles erschließt.
Anton Sahlender, Leseranwalt
Die Zweifel
Zeitungsleser G.L. hat aber kritische Fragen an mich gestellt. Auf der Frankenseite stand am 5. Oktober ein Foto unter der Artikel-Überschrift:Zu sehen sind die Unterschenkel eines Kindes, die in kaputter Hose und löchrigen Socken stecken. Es steht so ohne Schuhe in schmuddeliger Umgebung. Darin erkennt der Leser „eine klassische journalistische Fehlleistung“. Schließlich konnte der Eindruck entstehen, dass es sich um ein Schweinfurter Kind handelt. Das bezweifelt er und verlangt Aufklärung."Jedes fünfte Schweinfurter Kind ist arm".
Das Versäumnis
Dem Wunsch komme ich nach. Das Bild dokumentiert tatsächlich nichts aus Schweinfurt. Es ist ein Symbolfoto aus dem Angebot der Deutschen Presseagentur (DPA). Wahrscheinlich wurde es gestellt, so wie man sich landläufig vielleicht Kinder aus armen Verhältnissen vorstellt. Das Wo spielt dabei keine Rolle. Deshalb hat die Redaktion damit den Kinderarmut-Artikel illustriert. Das passiert zuweilen, wenn keine eigenen dokumentarischen Fotos vorliegen. Es ist auch in Ordnung, wenn die Beschriftung das Foto dann auch als Symbolbild ausgeweist. Das wurde im vorliegenden Fall versäumt.Widersprüchlich
Schlimmer noch. G.L. bemängelt zurecht auch, dass die Zeile unter dem Bild gar keinen Bezug dazu hat. Deshalb mag vielleicht nicht nur der Leser G.L. über den Sinn gerätselt haben. Nichts von dem, was man sieht, ist zu lesen. So stellt die Symbolik die Assoziationskraft der Leser auf eine harte Probe. Da steht:Das ist zudem widersprüchlich. Denn die Mutter des symbolisch abgebildeten Kindes, so kann man annehmen, scheint an seiner Ausstattung kräftig gespart zu haben."Auch wenn das Geld hinten und vorne nicht reicht: Mütter sparen meist zuletzt an ihren Kindern, versuchen trotz Armut die Mitgliedschaft im Sportverein oder den Theaterbesuch mit der Schulklasse zu ermöglichen."
Die Verpflichtung
Festzuhalten ist noch die journalistische Verpflichtung, Symbolbilder als solche kenntlich zu machen. So steht im Kodex des Deutschen Presserates in Richtlinie 2.2:"Kann eine Illustration, insbesondere eine Fotografie, beim flüchtigen Lesen als dokumentarische Abbildung aufgefasst werden, obwohl es sich um ein Symbolfoto handelt, so ist eine entsprechende Klarstellung geboten."
Zunehmend ist es für die Glaubwürdigkeit eines Mediums wichtig, Arbeitsweisen durchschaubar zu machen. Man darf nicht davon ausgehen, dass es sich allen Lesern immer alles erschließt.
Anton Sahlender, Leseranwalt
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