
Trauer zählt grundsätzlich zur Privatsphäre. Trauernde sollten auch an Novembertagen möglichst nicht, etwa in Tränen, öffentlich gezeigt werden. Rechtsprechung und Medienethik bieten Schutz. Manche Fälle können sogar zur unantastbaren menschlichen Intimsphäre gehören, der Juristen neben Krankheit, Sexualität, innerer Gedanken- und Gefühlswelt auch den Tod zurechnen.
Nicht so war es bei einem speziellen Fall, den ich aktuell dem Archiv für Presserecht (AfP), Zeitschrift für Medienrecht, entnehme. Es geht um das Video eines Mediums, veröffentlicht unter der Überschrift „Mutter von Issa R. starb am Donnerstag – Sarg der Clan-Mutter zur Waschung getragen“. Gerichte mussten über die Klage von Mitgliedern einer Großfamilie auf Unterlassung von Bildern entscheiden, die diese selbst aus dem Medien-Video herausgelöst hatten. Die zeigen sie im Einzelnen während sie den Sarg der verstorbenen Mutter aus einem Auto ausladen und fünf Meter weit in eine Moschee tragen. Sichtbar ist die Begleitung der Polizei und sind Schaulustige.
Richterliche Abwägung
Wie meist bei solchen Entscheidungen war abzuwägen: das Interesse der Öffentlichkeit auf Information gegen das der Abgebildeten auf Achtung ihrer Privatsphäre, der die Bilder zugerechnet wurden. Die Richter erkannten danach berechtigtes öffentliches Interesse auch an den Bildern. Begründung: Ein ernsthafter Bericht dazu teile mit, dass der Sarg der Mutter „des berüchtigten Clan-Chefs Issa R.“ zur Waschung getragen wurde. Er weise auf Besonderheiten einer muslimischen Bestattung in Corona-Zeiten hin. Weder Neugier noch Sensationslust würden bedient.
Das Geschehen rund um die Einlieferung der Mutter einer bundesweit u.a. durch mutmaßlich kriminelle Machenschaften bekannten Familie ins Krankenhaus und um deren Tod, fanden schon zuvor Beachtung. Zudem sei niemand auf den Bildern in einer Situation offener Trauer gezeigt. Am Ende war klar, dass es angesichts der Umstände um Bildnisse der Zeitgeschichte ging (OLG-Ffm. 20.8.20-16 W43/20).
Menschenwürde verletzt
Aktuell aufgefallen ist mir auch eine vom Presserat ethisch gerügte Verbreitung des Bildes von einem toten syrischen Mädchen. Ein Boulevardblatt berichtete dazu online (Titel: „Laila erfror auf der Flucht vor dem Krieg“) über den Krieg in Syrien und über das auf der Flucht erfrorene 18 Monate alte Mädchen. Der Presserat entschied: Das Bild des Mädchens, mit weit geöffneten toten Augen, verletzt dessen Menschenwürde (Aktenzeichen 0172/20/1).
Diese Entscheidung erinnert an den toten syrischen Jungen Aylan Kurdi, angeschwemmt am Strand des türkischen Bodrum. Seit 2015 gilt das Bild von Aylan weltweit als zeitgeschichtliches Dokument für Flüchtlingselend. Es durfte gezeigt werden – mit abgewandtem Gesicht.

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Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute.