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Der Leseranwalt: Die Fleischwerbung im Bericht über einen Leichenfund
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Redaktion
 |  aktualisiert: 19.06.2008 13:00 Uhr

Das ist geschmacklos“, schimpft ein Leser am Telefon. Er em-pört sich über eine Text-Anzeigen-Nachbarschaft und er ist nicht der Einzige. Am 6. Juni war im Frankenteil mit Foto über die Leiche einer unbekannten Frau berichtet worden, die man in Würzburg gefunden hatte. Mitten in diesem Bericht warb eine Anzeige für Spezialitäten aus der Region. Ein Nebeneinander von Leiche und Spezialitäten hätten feinsinnige Zeitgenossen vielleicht noch ertragen. Wer aber in die Anzeige hineingelesen hat, stieß auf ein Lob für Rindfleisch und für Fleisch als Lebenskraft. Spätestens das überschritt für einige Leser die Grenze des Erträglichen: die Lebenskraft des Fleisches bei einer Leiche.

Nun hatte weder in der Redaktion noch in der Anzeigenabteilung jemand die Absicht, da einen Zusammenhang herzustellen. Klar ist natürlich, dass sich beim Lesen einer Zeitung oft unangenehme Assoziationen ergeben können. Es ist mir aber wichtig festzustellen, dass es niemand der für die Veröffentlichungen Verantwortlichen darauf anlegt.

Das könnten sie zumeist auch gar nicht. Für alle Medien und auch hier gilt nämlich ein ehernes Gesetz: der Trennungsgrundsatz zwischen Redaktion und Anzeigen. Das heißt nicht nur, dass Werbung für jeden Leser eindeutig als Werbung erkennbar sein muss. Journalistische Unabhängigkeit unterstützt man zudem dadurch, dass die Anzeigenabteilung nicht die Texte kennt, die neben den Inseraten stehen werden. Das gilt gleichermaßen für den Kunden. Und die Redaktion weiß meist nicht, welches die Inhalte der Anzeigen sind, die bei ihren Artikeln stehen werden. Aber genau diese Absicherung hat die Nachbarschaft der Leiche zur Fleischwerbung begünstigt.

Nun lässt es sich in einer Tageszeitung nicht ausschließen, dass sich Tod neben neues Leben, Glück neben Unglück oder einfach das Gute neben das Schlechte gesellt. Eine Zeitung bildet eben Wirklichkeit ab. Trotzdem versucht man, kritische Berührungen zu vermeiden. Wenn also Inhalte von Anzeigen Gefahren in sich bergen könnten, wird die Redaktion gewarnt. Doch niemand hat bei Spezialitäten und Rindfleisch an so etwas gedacht. Wir haben dazugelernt, um Lesern und Kunden schwer Erträgliches zu ersparen.

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Was sich aber auch angesichts drucktechnischer Notwendigkeiten oft nicht ausschließen lässt, das ist die gerne kritisierte Nachbarschaft von Geburts-, Geburtstags- oder Glückwunschanzeigen zu Todesanzeigen. Dieses Nebeneinander mag man bitte verstehen: Sie alle gehören zur Kategorie der Familienzeigen. Und gerade die Familie ist Leben – mit allem was dazu gehört. Zusammengefasst hat das der spanische Philosoph José Ortega y Gasset: „Unser Leben ist ein Fluss, der sich ins Meer ergießt, das Sterben heißt.“


 
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