Fragen als Überschriften stören Leser T.R.. Er erwartet im Nachrichtenteil keine Fragen, sondern Information, Fakten und deren Einordnung. Das gelte, so T.R., selbst wenn Studien besagten, dass im Internet Artikel mit Fragezeichen in Überschriften, häufiger angeklickt würden. Mag sein. Aber das sollte für seriösen Journalismus nicht zum alleinigen Maßstab werden.
Abgleiten ins Spekulative
Herr T.R., der einen journalistischen Hintergrund hat, erklärt sehr sachlich: Wer in der Headline frage, gleite ins Spekulative ab. Er sende – gewollt oder ungewollt – Botschaften aus, deren Wahrheitsgehalt faktisch nicht zu belegen sei. Anlass für seine Kritik: In drei aufeinander folgenden Ausgaben der Zeitung ist auf der Titelseite per Schlagzeile gefragt worden (14.7: „Elektroauto: Riskierten Wernecker Retter <...> ihr Leben?“; 15.7.: „CO²-Preis: Neue Lasten für Mieter?“, 16.7.: „Mehr Qualität mit weniger Kliniken?“).
Das erscheint T.R. wie eine Fragezeichen-Inflation. Zumal wenn der Text die jeweilige Frage nicht beantworte.
Verpönte Fragezeichen
Nachvollziehbar fragt der Leser: „Ist die Redaktion genauso ratlos wie ich?“ Meine Antwort: "Sicher nicht, obwohl Fragezeichen auch in Redaktionen traditionell verpönt sind." Bekannte Begründungen dafür hat Herr T.R. geliefert. Dennoch: Die Kritik von T.R. teilen nicht alle. So sehen beispielsweise die Leser der Sächsischen Zeitung (saechsischeDE), so hat es"Lesewert" (Untersucht Leserverhalten) auf Twitter mitgeteilt (Kopie am Textende), andere Schwerpunkte. Für sie seien „Relevanz & Lesernähe des Themas“ entscheidender – aber auch, dass der Text Antworten liefere. Das werden wohl viele auch hier gerne unterstreichen.
Bewerten Sie auch selbst
Zur Sache: Bei der Frage nach „Mehr Qualität mit weniger Kliniken?“ antwortet ein Kommentar dazu mit Ausrufezeichen: „Geld darf nicht alles sein!“
Bei „CO²-Preis: Neue Lasten für Mieter?“ ist gleich in der Unterzeile zur Überschrift die auch politisch noch unbeantwortete Streitfrage dargestellt. Und man liest, unterschiedliche Antworten, die es dazu gibt.
Die Frage zu „Elektroauto: Riskierten Wernecker Retter <...> ihr Leben?“ nach einem schweren Unfall könnte man als Zuspitzung tatsächlich vorhandener, neuer Gefahren für Rettungskräfte durch Elektroautos bewerten. Und um diese neuen Gefahren geht es in dem Beitrag eigentlich.
Sie können auch selbst bewerten und diskutieren (Artikel-Kopien am Ende des Textes), ob Fragezeichen im einzelnen berechtigt waren oder nicht.
Grenzen anzeigen
Fragezeichen sind oft Zeichen für Wahrhaftigkeit. Journalisten stoßen eben mit Recherchen an Grenzen, müssen deshalb anerkennen, dass ihnen wichtige Antworten fehlen. Das sollte - wenn nötig auch in Überschriften - deutlich werden. Also sind Fragezeichen nicht aus den Medien zu verbannen. Zweifellos, das gilt es zuzugeben, sind stets auch Überschriften möglich, die nicht fragen. Trotzdem können selbst dann zuweilen nicht alle Antworten gegeben werden.
Dreimal war zu viel
Dreimal hintereinander eine fragende Schlagzeile auf dem Titel der Zeitung, ist jedoch schlecht. Es war also gut, dass das Herr T.R. aufgezeigt hat. Redaktionen sollten eine solche Folge aber selbst erkennen und vermeiden, selbst wenn Zeit fehlt, lange an besseren Formulierungen zu feilen. Das Beispiel zeigt, dass es Lesern auffällt und dass die daraus auch nachteilige Rückschlüsse ziehen können. So wollen auch Fragezeichen gerade in Schlagzeilen sehr wohl überlegt eingesetzt sein.
Ein schlechtes Beispiel
Am Ende noch ein schon intern kritisiertes schlechtes Beispiel. Unter „Blitze schlugen in zwei Häuser ein“ (22.6.), fragte die Unterüberschrift: „Ist das der Klimawandel oder durchwachsenes Wetter?“ Die Frage hat erstaunt. Hat doch im Artikeltext ein Diplom-Meteorologe des Deutschen Wetterdienstes unwidersprochen erklärt: „Mit dem Klimawandel hat das zunächst nichts zu tun. Das sind ganz normale Gewitter.“ Sachlich nüchtern hielt der Experte fest, dass derzeit eben mit einer südwestlichen Strömung feuchtwarme Meeresluft nach Deutschland gelange.
Auch wenn der Klimawandel längst sehr ernst zu nehmende Wirklichkeit ist, ist er nicht für alles direkt verantwortlich. Man darf es sich mit Antworten nicht zu leicht machen.
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Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch www.vdmo.de