Ein Foto, erschienen zu einer Ankündigung im Kulturkalender (Zeitung vom 28.5.19), empfindet Leser T.G. als "geschmacklos, peinlich, primitiv". Es wolle Aufmerksamkeit erregen, aber falle „doch wohl nicht unter die häufig strapazierte künstlerische Meinungsfreiheit“, sondern gehe „eindeutig unter die Gürtellinie“. Diese Kritik bedarf einer erklärenden Erwiderung.
Kneifen in den Hintern
Zuvor sei jedoch beschrieben, was auf jenem Bild (siehe auch Kopien) zu sehen ist: Ein freundlich in die Kamera blickender Mann, der sich gerade anschickt, einer lächelnden Dame in ihren Hintern zu kneifen. Hinzugefügt sei, beide Personen sind vollständig, wenn auch eigenwillig bekleidet. Das zweifellos freche Foto illustriert eben die Ankündigung einer Komödie („Lieben. feministisch“) im Torturmtheater Sommerhausen.
Weit reichende Kunstfreiheit
Zurück zur „künstlerischen Meinungsfreiheit“, die aber tatsächlich meist unter „künstlerische Freiheit“ zitiert wird. Wie auch immer: Sie ist Teil der in Artikel 5 (Abs. 3) grundgesetzlich geschützten Kunstfreiheit. Meinungsfreiheit, die hat bekanntlich jede Person in unserem Lande. Sie gilt also keinesfalls alleine für das Kunstschaffen. Spezielle Freiheiten Kunstschaffender finden sich in der Rechtsprechung sehr weitreichend beschrieben, sind nicht an gesellschaftliche Zwänge gebunden. Bei „künstlerischer Freiheit“ spricht man vom Vorrecht der Künstler, von der Wirklichkeit abzuweichen, wenn es die künstlerische Wirkung des Werkes erfordert. Einschränkungen könnte es geben, würde persönliche Ehre grob verletzt. Letzteres ist bei der fotografierten Bildszene aus dem Theater nicht der Fall, selbst wenn man sie (aus feministischen oder sittlichen Gründen) als "anstößig" empfinden mag. Trotzdem liegt nicht in allem, was von Kunstfreiheit geschützt ist, eine Empfehlung, es im Alltag nachzuahmen. Das vorliegende Bild sei warnendes Beispiel.
Schwierige Difinition
Kunst griffig zu definieren, wie es Juristen gewöhnlich brauchen, ist schwierig. Das Ergebnis könnte freier schöpferischer Gestaltung als Wesen der Kunst entgegenstehen, denn das entwickelt sich stetig weiter. Es ist aber klar, das beschriebene Foto fällt unter die grundgesetzlich gesicherte Kunstfreiheit (Siehe Wikipedia). Die schützt übrigens auch Werbung für Kunstwerke, ohne dass die selbst künstlerischen Ansprüchen genügen muss. Darin steckt keine Bewertung des beschriebenen Bildes. Angelika Relin, Leiterin des Theaters, hat das auffällige Bild aus einer Szene der Komödie selbst aufgenommen. Es fügt sich also in deren Handlung, die laut Rezension "augenzwinkernd (auch) auf eingerostete Denkschubladen anspielt" (Ursula Düring). Die Aufnahme entstand bei einer sogenannten speziellen Fotoaufführung.
Mehr Humor erwünscht
Frau Relin erwähnt, in einer Folgeszene der heiteren Aufführung erfolge das Kneifen umgekehrt. Sie erklärt, bei ihr komme Feminismus zuweilen als „zu spaßentleert“ an. Bei aller Ernsthaftigkeit für das Thema, würde sie sich oft mehr Humor wünschen. Zweifellos, das füge ich hinzu, hätte man auch ein anderes Foto für die Vorankündigung auswählen können. Aber das vorliegende ist eben auch zulässig, denn Geschmacksgrenzen werden sehr individuell gezogen. Allgemein verbindliche Grenzen für guten oder schlechten Geschmack finden sich auch nicht im Pressekodex des Deutschen Presserates. Sie lassen sich bestenfalls aus den Ziffern 8 bis 12 ableiten.
Persönliche Meinung
Leser T.G. bittet um Verständnis für seine Kritik und empfiehlt dem "Leseranwalt", er solle auf Werbung für Theaterstücke auch ein sorgsames Auge haben. Ja, beides habe ich. Umgekehrt bitte ich Herrn T.G. aber um Verständnis, dass ich seine Wertung („unter der Gürtellinie, geschmacklos“ etc.) seiner persönlichen Meinung zuordne, die ich im vorliegenden Fall aber nicht teile. Ich wiederhole: Wo etwas beginnt unter der Güterllinie zu liegen, ist meist eine sehr individuelle Entscheidung.
Eine Empfehlung von Frau Relin gebe ich gerne an Herrn TG weiter: Er möge doch die heitere Komödie besuchen, um danach über seine Bewertung noch einmal nachzudenken. Auch weil es um Kunst und eine Erklärung geht, nehme ich in Kauf, dass diese Kolumne auch werbend für die Komödie wirken kann.
Siehe Rezension der Aufführung am Ende dieser Kolumne (Kopie aus der Zeitung). Oder Online: "Feminist liebt Macho-Frau..."
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Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch www.vdmo.de