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Zeitungsleser sind keine Besucher einer Kleinkunstveranstaltung
Die Sprache mancher Berichterstattung trifft nicht jeden Geschmack. Ich präsentiere dazu einen Fall. Es ist die Rezension einer Kabarettveranstaltung mit Holger Paetz im Würzburger Bockshorn vom 24.10.2011. Die Überschrift lautet: „Merkel als Gesäß-Göttin“.
Redaktion
 |  aktualisiert: 13.11.2011 18:38 Uhr
Veranlasst hat mich dazu das Schreiben einer Frau, die sich bei mir als treue und gewöhnlich zufriedene Leserin meldet. Ich zitiere zunächst sie: "...so eine Überschrift schlägt für mich dem Fass den Boden aus! Wir gehen nicht zu solchen Veranstaltungen, wo derart anmaßend mit der Sprache umgegangen wird und ich mag eine solche Sprache auch in meiner Zeitung nicht haben. Holger Paetz kommt zum Ergebnis: Die Sprache spinnt. Ich muss ihm da widersprechen. Es ist nicht die Sprache. Die kann nichts dafür, wie sie eingesetzt und gebraucht wird. Es sind die Menschen, die sich der Sprache bedienen, die hier angefragt werden müssen, ob sie denn noch wissen, was sie sagen; bzw. schreiben.“ Zitatende.

Zweifellos kann Sprache nichts dafür und auch nicht der Autor des Beitrages. Er hat richtig zitiert. Und dem Künstler, der wohl weiß, was er da gesagt hat, ist fast jedes Spiel mit Worten erlaubt, zumal auch das seine Kunst ausmacht. Darin ist er frei. Ebenso wie es der Leserin freigestellt ist, Gags und deren Sprache nicht gut zu finden oder derartige Veranstaltungen zu meiden.

Eine andere Frage ist es, ob Paetz' gewiss wenig schmeichelhaft gemeinte Kehrseite der Bundeskanzlerin gleich in der Überschrift erscheinen muss, zumal sie im Text nur zu einer Aufzählung gehört. Sie muss nicht. Sie kann aber, denn er hat sie zumindest ausgesprochen, der Kabarettist, die „G.-Göttin“.

Genau die hätte ich nicht in die Überschrift genommen. Nicht in diesem Fall. Der Text bietet andere Möglichkeiten an. Eine journalistische Kabarettkritik ist selbst kein Kabarett. Sie wendet sich nicht an ein Publikum, das auf Bissiges und Bösartiges eingestellt ist. Zeitungsleser sind in dieser Rolle keine Besucher einer Kleinkunstveranstaltung. Bei ihnen muss eine solche Bezeichnung in einer Überschrift eine deutlich andere Wirkung erzielen.

Frau Merkel, die einiges gewohnt ist, wird es ertragen können. Die Leserin ist in einer anderen Rolle. Sie schreibt: „Ich bin Lehrerin an einer Grundschule. Und ganz ehrlich: mir hängt diese Art Sprache, die mittlerweile schon bei unseren Grundschülern angekommen ist, zum Hals heraus!!!“ – Ich habe dem nur hinzuzufügen, dass man nicht früh genug damit anfangen kann, den Umgang mit Sprache und Medien zu lehren.
 
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  • grayjohn
    Und morgen beschweren sich wieder eine Reihe von Ausbildungsbetrieben darüber, dass bei den Azubis (in spe) jedes zweite Wort "geil" lautet und der Rest mit stärkster Konkurrenz durch "voll", "krass", "Alter" etc. kämpft.

    Ich war nie eine Leuchte im Deutschunterricht, aber es gibt Wörter und Ausdrucksweisen, die bei uns zuhause nicht gebraucht werden. Vielleicht schaffe ich es, meinen Kindern auf diese Weise zumindest eine Hürde beim Berufseinstieg zu ebnen. Muss ich erwähnen, dass ich es ein wenig kontraproduktiv fände, zur Antwort zu erhalten, "so stand das aber in UNSERER Zeitung"?

    Kabarett provoziert, ja muss provozieren. Berichterstattung auch? Hm...
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  • Jeder Kabarettist bekommt das Publikum, das er verdient. Manche Kabaretts leben von der Gossensprache. Die Sprache als stilistisches Mittel im Vaudeville kann zum Erkennungssignal der Banalität werden.
    Die Prolo-Sprache ist das Ausdrucksmittel des Naturalismus. Der Naturalismus beschreibt das Milieu des einfachen Mannes und des Vulgären. Er ist also die literarische Form des Vulgären.
    "Vulgus culture", dieses Prinzip praktizierte unter anderem auch Bert Brecht in seiner "Dreigroschenoper".
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  • ...wenn eine Lehrerin auf absolute Korrektheit in Sachen Rechtschreibung/Grammatik besteht, dann sollten auch viele literarische werke an den Schulen verboten/zensiert werden, denn gerade die Dichter und Denker haben sehr oft die Regeln gebrochen.
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  • Wäre es denn möglich, die Adresse der Leserin zu erfahren? Ich würde ihr zu gern eine CD des Programmes "Gott hatte Zeit genug" zuschicken. Vielleicht gelingt es ihr ja dann, sich ein EIGENES Urteil zu bilden. Und nicht auf Grund von zwei, drei willkürlich herausgepickten Reizworten des Kritikers ein Zwei-Stunden-Programm in Grund und Boden zu stampfen. Vermutlich gibt die Dame diese Botschaft auch an ihre Schüler weiter: Es genügt vollauf, die Beurteilung eines anderen zu lesen, um anschließend das beurteilte Sujet in Bausch und Bogen zu verurteilen.
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  • WILL sich die zitierte Lehrerin überhaupt kein eigenes Urteil über ein Kabarett-Programm bilden - weil es sie wahrscheinlich gar nicht interessiert. Dagegen herauszuhören ist, dass die Lehrerin erbost ist über jede Art von Sprachverwahrlosung, mit der sie bei ihren Schülern als "soziale Erben" dieser Sprachverwahrlosung offensichtlich tagtäglich zu tun hat. Objektiv kann sich das nicht gegen ein Programm im Bockshorn richten, weil da ja kaum ein Schüler hingeht - die Kritik der Lehrerin scheint sich mir mehr gegen all zu aufmerksamkeits-heischende Multiplikation in der Tageszeitung zu richten.

    Insofern ist der Satz des Leseranwalts
    "Ich habe dem nur hinzuzufügen, dass man nicht früh genug damit anfangen kann, den Umgang mit Sprache und Medien zu lehren"
    absolut zutreffend.

    Wie es allerdings in einer Grundschule möglich sein soll, formale Operationen wie die Frage
    "Was ist 'gute' Sprache, was ist 'schlechte' Sprache? - Warum haben Medien einen eigenen Jargon? - "Was ist das Ziel von Sprache a) in der Familie, b) unter Freunden, c) im Arbeitsleben, d) bei den Medien"
    zu bewältigen, bleibt mir ein Rätsel.

    Deshalb mein Tipp an die Lehrerin: Ganz einfach eigene Maßstäbe setzen. Kinder brauchen Orientierung und wollen hören: Das ist gut, das ist schlecht. - Natürlich werden sie dann erst mal das Gegenteil machen, aber das "Gegen-Teil machen", ist ja indirekter Beweis dafür, dass sie das "Für-Teil" verstanden haben. Und das nistet sich dann schon irgendwo ein. Gegen den Sprach-Mainstream der Gesellschaft kommt man nicht frontal an. Außerhalb des Stroms dagegen Alternativen zu setzen, kann durchaus erfolgreich sein.
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  • antonsah
    Verlasse - was ein Zufall - gerade in Berlin eine Kabarettveranstaltung bei den Wühlmäusen. Wenn ich zurück bin, werde ich die Dame gerne fragen, ob sie damit einverstanden ist, wenn ich ihre Anschrift an Sie weitergebe. Vielleicht gibt's ne Einladung in die Schulklasse ...
    Anton Sahlender, Leseranwalt
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  • antonsah
    Die Dame will nicht. Ich stelle Ihnen anheim, ihre Aufnahme an mich zu senden. I h werde sie in diesem Fall weiterreichen.
    Anton Sahlender, Leseranwalt
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