Was für einen Sprachgebrauch kann man in einer Zeitung erwarten: Einen möglichst fehlerfreien und verständlichen. Aber noch etwas mehr. Das zeigt die Kritik eines Lesers. Sie richtet sich gegen die Überschrift in der Zeitng vom 9. März über ein Interview mit dem bekannten Fußball-Kommentator Marcel Reif. Sie lautet:"Fußball hat mir den Arsch gerettet". (Siehe auch Kopie aus Zeitung am Ende des Beitrages)
Die Entgleisung
Das ist ein Reif-Zitat. Leser S.L. hat dazu eine klare Meinung: „Angesichts der an Geschmacklosigkeit kaum zu überbietenden Betitelung dieses Gesprächs“, sei vermutlich nicht nur er, „noch immer einigermaßen sprach- und fassungslos!“ Er zählt die "von Reif gewählte Entgleisung" zur „Vulgärsprache“, bei der auch die Redaktion (die daraus die Überschrift gemacht hat) nicht die Mindestanforderung an Sensibilität erfülle. Dabei „hätten in dieser <...> zweiseitigen Gesprächsaufzeichnung, wahrhaftig viele andere Stichworte oder Sätze der Eignung einer treffenden Überschrift entsprechen können.“
Persönlich und hintergründig
Letzteres stimmt und ist meist so. Es gibt fast immer mehrere Möglichkeiten. Wählt man aus einem Interview ein Zitat für die Überschrift aus, finden sich Kritiker, in der Leserschaft und in der Redaktion. Sie hätten sich anders entschieden. Im vorliegenden Fall gehöre ich zumindest nicht zu den Kritikern, anders als Herr S.L.. Grund: Das Interview geht über die Sachebene eines Sportreporters hinaus, wird stellenweise persönlich und hintergründig, das nicht nur wegen jenes Zitats. Reif gibt einiges von sich preis, zeigt sich als Mensch mit Stärken und Schwächen. Dazu zähle ich den kritisierten Satz mit der kräftigen Wortwahl. Gerade er kann das kennzeichnen, was das Interview besonders macht.
Gebräuchlich und verständlich
War das, was Marcel Reif mit den genannten Worten gesagt hat, eine Entgleisung oder ein Fauxpas? Ich halte es im Kontext mit dem gesamten langen Gespräch zumindest für authentisch und vertretbar, selbst wenn nicht eben für feinsinnig. Außerdem ist der Satz gebräuchlich und verständlich. Reif hat ihn nicht erfunden. Er kann sich sogar mal in literarischen Erzeugnissen finden. Eine schonende „A….“ –Abkürzung, wie von Herrn S.L. vorgeschlagen, würde Reifs Worte als verhinderte Geschmacklosigkeit kennzeichnen. So waren sie aber nicht gemeint, wohl nicht von Herrn Reif und sicher nicht von der Redaktion.
Und noch etwas: Die Worte haben Gewicht und richten sich nicht gegen andere Menschen. Reif kennzeichnet eine eigene wichtige Lebenssituation.
Spezieller Einzelfall
Bei allen, die sich doch belästigt fühlen, bitte ich die Wortwahl als Überschrift zu entschuldigen. Dahinter steckt aber keine redaktionelle Strategie, wie es S.L. vermutet, die einen solchen Sprachgebrauch favorisiert. Es handelt sich um einen speziellen Einzelfall. Vergleichbare Begriffe finden sich selten in der Zeitung. Auflage lässt sich damit ganz gewiss nicht steigern. Auf Dauer zahlt sich nur Seriosität aus, die nicht mit Langeweile oder Belanglosigkeit verwechselt werden sollte. Das gilt gleichermaßen für Titel und Ankündigungen im digitalen Teil dieser Zeitung.
Frühere ähnliche Leseranwalt-Kolumnen:
"Treffende Argumente statt zuspitzender Worte" (2018)
"Wider ausgeschriebene Fäkalausdrücke und für eine gereinigte Sprache in der Zeitung" (2014)
Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch www.vdmo.de