Als ich vor mehr als 20 Jahren mein zweites juristisches Staatsexamen hinter mich gebracht hatte, wusste ich eines mit Sicherheit: Anwältin wollte ich nicht werden. Immerzu streiten. Partei ergreifen. Nur für eine Seite argumentieren, obwohl es doch immer auch mindestens eine zweite gibt. Das tun Journalistinnen und Journalisten: Sie schauen von allen Seiten auf ein Thema. Deshalb habe ich diesen Beruf gewählt und geliebt. Und jetzt?
Jetzt bin ich doch Anwältin. Die neue Leseranwältin dieser Zeitung. Was heißt das nun? Was können Sie von mir erwarten?
Ich werde Partei ergreifen für die Menschen, die sich an mich wenden. Genauer gesagt, für das legitime Anliegen von Leserinnen und Lesern, gehört zu werden, Kritik vorzubringen, Erklärungen zu verlangen. Ich kann wohl überwiegend mit Zuschriften und Anrufen der Unzufriedenen rechnen, von denen, die sich über die Zeitung ärgern.
Darum kümmern sich Leseranwälte. Sie sind, so verstehe ich meine Aufgabe, Fürsprecher. Die unvoreingenommene Auseinandersetzung mit dem Ärger, die ist von nun an meine Sache.
Die gute Absicht der Schreibenden kommt nicht immer an
Das mit der Unvoreingenommenheit ist schon eine Herausforderung. Kenne ich doch aus meinem Berufsalltag als Redakteurin die Perspektive derjenigen, die berichten. Wir machen uns viele Gedanken, über das richtige Format, den sprachlichen Stil, die inhaltlichen Schwerpunkte. Wir denken, wir machen es gut. Und dann kommt da der Leser mit seiner Kritik.
Ich habe immer, auch unter Zeitdruck, auf korrekte Rechtschreibung geachtet – und trotzdem Fehler gemacht. Ich habe in meinen Artikeln die Perspektiven von Beteiligten dargestellt – und hinterher gehört, ich hätte jemanden vergessen oder gar absichtlich ignoriert, Aussagen unzutreffend wiedergegeben, die falschen Fragen gestellt, die Antworten falsch eingeordnet.
Ich habe ausführlich berichtet, wo Leser keine Relevanz sahen. Ich habe knapp berichtet, wo eine große Geschichte erwartet worden war. Und meinen Kolleginnen und Kollegen, das weiß ich, geht es ebenso.
Kritik kann die Qualität der redaktionellen Arbeit verbessern
Wenn die journalistische Absicht mit der Erwartung der Leserschaft schmerzhaft kollidiert, muss man reden. Und viel erklären. Auf beiden Seiten. Dieser Austausch wird meine Aufgabe sein. Nicht immer wird meine Antwort die Leserinnen und Leser zufriedenstellen. Nicht immer werde ich eine für sie akzeptable Lösung herbeiführen können.
Hoffentlich werden sie aber das Gefühl mitnehmen, dass ihre Kritik ernst genommen wird – die im besten Fall auch der Qualität unserer Arbeit in der Redaktion zugutekommt.
Kontakt: Ärger mit der Zeitung, mit Berichten oder Kommentaren? Zögern Sie nicht, melden Sie sich bei der neuen Leseranwältin! Kontakt: Leseranwalt, Mediengruppe Main-Post, Berner Straße 2, 97084 Würzburg oder per E-Mail: leseranwalt@mainpost.de
Auf weiterhin gutes, wie ausgewogenes Gelingen!
Jochen Freihold