Es sind schreckliche Bilder, die aus dem ukrainischen Butscha gerade um die Welt gehen. Sie lösen Entsetzen, Trauer Abscheu und Wut aus. Nach dem Rückzug russischer Truppen aus dem Kiewer Vorort wurden dort Hunderte Leichen entdeckt. Journalistinnen und Journalisten der Nachrichtenagentur AP berichteten von Getöteten in Zivilkleidung, die laut Zeugenberichten offenbar regelrecht hingerichtet wurden. Manche Opfer lagen mit gefesselten Händen auf der Straße.
Die Zeitung "Ukrajinska Prawda" meldete unter Berufung auf einen Bestattungsdienst, bis Sonntagabend seien 330 bis 340 leblose Körper eingesammelt worden. Die Suche nach weiteren Opfern dauerte auch am Montag an. "Das ist eine Hölle, die dokumentiert werden muss, damit die Unmenschen, die sie geschaffen haben, bestraft werden", schrieb die ukrainische Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa auf Facebook.
Die Gräueltaten in Butscha und vielen anderen Städten der Ukraine verdeutlichen auf grausame Art und Weise, wie brutal und rücksichtslos der russische Präsident Wladimir Putin diesen Krieg führen lässt. Unsere Redaktion berichtet seit Beginn der Kriegshandlungen umfangreich in Wort und Bild über den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg – mit einer Einschränkung: Wir haben uns nach intensiver Diskussion von Anfang an entschieden, keine Bilder von Toten zu zeigen. Dabei bleiben wir – ungeachtet des Massakers von Buschta.
Zeithistorisches Dokument oder Sensationsjournalismus?
Uns ist klar, dass es in dieser Frage kein richtig oder falsch gibt. Weltweit wird in den Redaktionen kontrovers darüber diskutiert. Zuletzt am 7. März, als die "New York Times" ein Foto der amerikanischen Fotografin Lynsey Addario auf der Titelseite veröffentlichte. Die Aufnahme aus dem ukrainischen Irpin entstand kurz nachdem russische Soldaten flüchtende Zivilisten unter Beschuss genommen hatten.
Zwischen ukrainischen Kämpfern liegt ein junger Mann, das Gesicht blutüberströmt. Soldaten knien über ihm und fühlen ihm den Puls. Hinter ihm zu erkennen: die leblosen Körper einer Frau und zweier Kinder. "Es sah so aus, als würden sie schlafen. Als wären alle plötzlich stehen geblieben und umgefallen", beschrieb Lynsey Addario im Podcast "The Daily" die furchtbare Szene.
Die einen sahen in dem Foto das zeithistorische Dokument eines Kriegsverbrechens, andere warnten vor Sensationsjournalismus. Medienethikprofessor Christian Schicha von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg sagt: "Fotos von Opfern des Krieges zu zeigen, ist grundsätzlich angemessen, um das Grauen des Krieges zu dokumentieren. Gleichwohl ist darauf zu achten, dass diese Menschen nicht zu identifizieren sind, um die Opfer und ihre Angehörigen zu schützen. Insofern sollten die Gesichter nicht gezeigt werden." Unsere Redaktion hat seinerzeit darauf verzichtet, das Bild zu veröffentlichen.
Fotos wie das von Lynsey Addario entfalten eine mitunter große Wirkung. Sie wecken vor allem Emotionen. Wen lässt es schon kalt, wenn solche Bilder auftauchen. Oder von bombardierten Geburtsstationen? Von zerfetzten Menschenkörpern? Unsere Redaktion hat den Anspruch zu sagen, was ist. Aber sollten wir auch immer zeigen, was ist – in aller Konsequenz und Brutalität?
Ziffer 8 des Pressekodex besagt: "Bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung. Soweit eine Anonymisierung geboten ist, muss sie wirksam sein." Und Ziffer 11 ergänzt: "Unangemessen sensationell ist eine Darstellung, wenn in der Berichterstattung der Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, herabgewürdigt wird." Auch wie eine Bebilderung von Gewalt auf Kinder und Jugendliche wirken könnte, sollte vor einer Veröffentlichung bedacht werden.
Bei den Bildern aus Butscha ist größte Zurückhaltung geboten
Für die Redaktionen bedeutet das, intensiv abzuwägen, auf welche Art und Weise das in Ziffer eins formulierte Gebot der "wahrhaftigen Unterrichtung der Öffentlichkeit" erfüllt werden kann. Was ist den Leserinnen und Lesern zuzumuten? Was sollte unterbleiben? Und wie lässt sich die Entscheidung begründen? Unser Grundsatz lautet: Wir zeigen keine Bilder, auf denen Gesichter identifizierbar sind, die den Betrachter verstören können oder die den Anspruch auf Totenruhe verletzen.
"Aus pflichtethischer Sicht lässt sich mit dem Kategorischen Imperativ von Immanuel Kant argumentieren: Es sollte kein allgemein gültiges Gesetz sein, Bilder von Leichen zu veröffentlichen, ebenso wenig Bilder von Menschen, die im Sterben liegen", sagt Marlis Prinzing, Studiendekanin am Campus Köln der Hochschule Macromedia. "Dagegenhalten ließe sich die Verpflichtung von Journalisten und Journalistinnen, zu publizieren, was von öffentlicher Relevanz ist. Und Kriegsverbrechen zu dokumentieren, ist zweifellos relevant."
Hinzu kommt: Fotos aus Kriegen können Ikonen werden, so Marlis Prinzing. Sie können Symbolkraft entfalten für viele ähnliche Situationen oder auch Dokument sein für ein außergewöhnliches Ereignis. Historisches Beispiel ist das nach einem Napalm-Angriff in Vietnam weglaufende Mädchen. Prinzing: "Bilder wie diese können auch die Kraft entwickeln, das Gewissen der Öffentlichkeit zu erschüttern und Diskussionen anzuheizen."
Zeigen oder nicht? Nach Meinung der Redaktion ist bei den Bildern aus Butscha größte Zurückhaltung geboten.
Damals schrieben große Zeitungen : Die Amerikaner auf die Anklagebank.
Die Welt hat nichts dazugelernt.
LG, Michael Reinhard
Hurrah, lasst uns in den Krieg ziehen wie 1914? Sie wollen Waffenlieferungen, am besten bemannt? Sie wollen Schuldgefühle, wie sie nun allerorten produziert werden! Wieso sind wir in Augen Ihres werten Herrn Selinski schuld an Butscha? Sollen dafür am besten Massaker noch live gezeigt werde ? Was bin ich froh, dass die MP diese vom SpringerVerlag gesteuerte BilderKriegsSpirale (Ronzheimer live) nicht weiter mit Gräuelbildern anheizt.
Und wo war Ronzheimer im Jemen, Syrien und Irak (ok, zu jung)? Im Irak starben bis zu 1 Millionen Menschen in einem vom Westen geführten Krieg. Und ja, Putin ist von Sinnen. Aber es ist mal gut mit den unverschämten Ukrainischen Anschuldigungen Deutschland gegenüber. 6 Milliarden Eur zahlte D seit 2014 an die Ukraine. Wir nehmen Viele auf, ungefragt und mit grossem Herzen. Helfen, wo es geht. Das ist Deutschland 2022 und das ist gut so.
Selbstverständlich keine Nahaufnahmen und Gesichter pixeln.
Die Menschen sollten mit diesen Grausamkeiten konfrontiert werden da es viel zu viele Leugner gibt.
Eine seltsame Kuriosität der Öffentlich Rechtlichen, ARD und ZDF:
Der eine Sender hat unverpixelte Filmaufnahmen von den Leichen in den Straßen von Butscha gezeigt (Gesichter waren nicht zu erkennen),
der andere Sender hat die selben, identischen, Filmaufnahmen kurze Zeit später mit verpixelten Gesichter gezeigt.
Welcher Sender was austrahlte kann ich nicht mehr sagen.
Diese Bilder sind an Grausamkeit kaum zu überbieten!
Ich bekomme das Kotzen, wenn ich hören muss, wie ein Herr Lawrow das als Propaganda abtut, und behauptet dass das Ukrainer gewesen wären die Ihre Landsleute derart grausam ermordet hätten...
Doch die andere Seite ist die: Solche Bilder müssen für die Nachwelt dokumentiert werden!
Fast jeder kennt das Foto des "Napalm-Girls" aus dem Vietnam-Krieg.
Sie war da neun Jahre alt, ich zehn Jahre.
Diese Bilder zeigen das Grauen so eines Kriegs, und die wahren Kriegsverbrechen.
Dieses neunjährige Mädchen fiel übrigens den US-Truppen zum Opfer!
Solches Bildmaterial muss erhalten bleiben, um nachfolgende Generationen daran zu erinnern, wie grausam manche Menschen mit anderen Menschen umzugehen bereit sind!
Man muss die Bilder nicht sofort zeigen, aber als Mahnung ganz sicher aufbewahren!
Nun, dann wird sie sich aber vermutlich kaum einer anschauen. Ist es nicht wichtig dass man jetzt diese Grauen zeigt und so eventuell zukünftige ähnliche Ereignisse noch durch diese schonungslose Transparenz verhindern kann? Was nützt es den Menschen die vielleicht nächste Woche genauso ermordet werden, wenn man sie in Jahrzehnten in irgendwelchen Archiven finden könnte?
Ich bin zwar nicht unbedingt dafür dass man jetzt sofort sämtliche Energielieferungen aus Russland kappen sollte, das würde uns mehr schaden als Russland und würde auch den Krieg nicht verhindern. Aber dennoch muss man, auch das Volk, solche Entscheidungen treffen können anhand der wahren Umstände die nun mal durch Bilder besser visualisiert werden können. Deswegen finde ich sollte man zumindest ab und zu drastische Darstellungen der tatsächlichen Umstände in der Ukraine in den Medien zeigen.
Das ist sicher.
Wir können es aber auch so machen wie in Russland... Habt ihr eventuell Bilder von Putin mit Kleinkind auf dem Arm?
1945 mussten die Weimarer Buchenwald besichtigen, das soll gewirkt haben.
www.mdr.de/geschichte/ns-zeit/zwangsbesichtigung-buchenwald-weimar-100.html