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Würzburg
Warum der Kinderporno-Fall für die Redaktion eine Herausforderung ist
Zehn Objekte wegen Kinderporno-Falls durchsucht       -  Ein Verschlusssiegel der Würzburger Polizei ist auf die Tür eines Wohnhauses geklebt, das zuvor durchsucht wurde.
Foto: Daniel Karmann (dpa) | Ein Verschlusssiegel der Würzburger Polizei ist auf die Tür eines Wohnhauses geklebt, das zuvor durchsucht wurde.
Michael Reinhard
Michael Reinhard
 |  aktualisiert: 16.04.2019 02:12 Uhr

Der sogenannte Kinderporno-Fall von Würzburg sorgt seit vergangenen Donnerstag bundesweit für Aufsehen. Einem 37-jährigen Logopäden wird schwerer Kindesmissbrauch vorgeworfen. Der Tatverdächtige soll pornografische Fotos und Videos von kleinen Jungen erstellt und über das Darknet verbreitet haben. Er sitzt in Untersuchungshaft.

Bei unseren Leserinnen und Lesern wird über die Straftat ebenso intensiv diskutiert wie bei uns in der Redaktion. Im Zentrum stehen dabei vor allem zwei Fragen: Wie detailliert sollte die Berichterstattung über das Ermittlungsverfahren sein, um dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit gerecht zu werden? Und: Wo wird die Grenze, die das Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten markiert, überschritten?

Aus zahlreichen Zuschriften, Online-Kommentaren und Social-Media-Posts wird deutlich, wie unterschiedlich die Erwartungen an die Redaktion sind. Den einen sind wir zu zurückhaltend ("Gibt es keine Redakteure, die ausführlich dazu berichten. Fernsehen und Radio bieten stündlich neue Meldungen. Bis jetzt ist das hier keine Meisterleistung.).

Reaktionen unserer Leser

Andere werfen uns "Scheinheiligkeit" vor. Sie kritisieren, dass wir einerseits den Namen der Kindertagesstätte nicht nennen, für die der Verdächtige unter anderem gearbeitet hat, die Einrichtung aber im Bild gezeigt hätten.

Schließlich erreicht uns auch uneingeschränktes Lob: "Bravo!!! So geht sauberer Journalismus. Das kann ich als Privatmann nicht leisten. Und für diese professionelle Arbeit zahle ich gerne für ,meine MAINPOST'".

Für die Redaktion ist die Berichterstattung über diesen Fall eine Herausforderung. Wie so oft, wenn gegen eine Person Vorwürfe gerichtet oder ihr Straftaten zur Last gelegt werden. Denn so lange kein rechtskräftiges Urteil gesprochen ist, bewegen wir uns im Bereich der so genannten Verdachtsberichterstattung. Dabei ist die wichtigste Orientierungsmarke für unser Handeln die Unschuldsvermutung. Das bedeutet: Jede Person gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.

Die Grundlagen der Verdachtsberichterstattung

In unseren journalistischen Leitlinien ist klar festgelegt: "Ziel der Berichterstattung darf in einem Rechtsstaat nicht eine soziale Zusatzbestrafung Verurteilter mit Hilfe eines ,Medien-Prangers' sein. Zwischen Verdacht und erwiesener Schuld ist in der Sprache der Berichterstattung deutlich zu unterscheiden."

Für die Redaktion bedeutet das: Wir wägen vor jeder Veröffentlichung sorgfältig ab zwischen dem vermuteten Informationsinteresse der Leserinnen und Leser und dem Persönlichkeitsrecht der Betroffenen. Als Konsequenz daraus nennen wir im Kinderpornografie-Fall nicht den Namen des Beschuldigten und achten genau darauf, dass wir nicht leichtfertig Informationen verbreiten, die zur Identifizierung des Beschuldigten beitragen können.

Dass man bei der Wertung der Umstände zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen kann, liegt auf der Hand. Auch wenn die Redaktion für ihre Einschätzung auf Gerichtsurteile und Beispiele zurückgreifen kann, bleibt es am Ende stets eine Ermessensentscheidung. Die schon erwähnte Bild-Veröffentlichung der Kindertagesstätte war auch in der Redaktion umstritten.

Unser Leseranwalt Anton Sahlender hat sich in dieser Frage eindeutig positioniert: "Die Fragen, die sich daran knüpfen sind klar: War es wirklich notwendig, zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Einrichtung erkennbar zu machen? Gibt es daran ein berechtigtes öffentliches Interesse? Hat die Erkennbarkeit Bedeutung für das Verständnis der Berichterstattung über den Tatbestand, der sich - so lässt es sich lesen - doch vorwiegend auf einen Tatverdächtigen und dessen pornografisches Netzwerk konzentriert? Besser wäre gewesen, die Erkennbarkeit zurückzuhalten und weitere Ermittlungen abzuwarten." Gleichzeitig bittet er um Verständnis dafür, "dass im Zusammenhang mit solchen Fällen die redaktionelle Entscheidungsfindung keine einfache ist. Da gehen Diskussionen voraus".

Zurückhaltende Berichterstattung

Und in einer dieser vorausgegangenen Diskussionen waren sich die Befürworter einer Bild-Veröffentlichung einig, dass sich da auf den ersten Blick ein Widerspruch auftun könnte zu unserem Grundsatz der Zurückhaltung. Doch die Straftat erschien so schwerwiegend, dass wir uns dafür entschieden haben, ein authentisches Foto zu bringen, ohne Namens-Aufschriften an Wänden oder Türen abzubilden. Wir wollten größtmögliche Transparenz schaffen.

Die Redaktion ist sich einig, dass sie auch bei der weiteren Berichterstattung über den Verdacht des schweren Kindesmissbrauchs in Würzburg auf einem schmalen Grat wandeln wird: nämlich zwischen dem öffentlichen Informationsinteresse und dem Persönlichkeitsrecht von Verdächtigen. Doch wie auch immer der Fall sich entwickeln wird: Wir werden ihn weiterhin mit der gebotenen Zurückhaltung journalistisch begleiten.

 
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  • O. H.
    ".... und achten genau darauf, dass wir nicht leichtfertig Informationen verbreiten, die zur Identifizierung des Beschuldigten beitragen können." Das klingt ja sehr löblich, allerdings fand sich in einem vorhergehenden Artikel u. a. der Hinweis auf einen von Ihrer Zeitung verliehenen Preis, den der Beschuldigte für sein Engagement im Bereich der Inklusion erhalten hatte. Mit dieser Information war es ein Leichtes, den kompletten Namen samt Fotos zu erhalten ... war dieser Hinweis wirklich nötig? Zum Schutz der Identität des Beschuldigten hat dies sicherlich nicht beigetragen!
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  • H. M.
    Warum der Kinderporno-Fall für die Redaktion eine Herausforderung ist

    Sehr geehrte Damen und Herren,
    liebe Main-Post,

    ich schlage vor, zu berichten wie ihr es doch immer tut.
    Wieso jetzt auf einmal ein Schamgefühl bei einem Thema. Hat der vermeintliche Schwerverbrecher denn höhere Persönlichkeitsrechte als der Politker?

    Ich erinnere an unseren ehemaligen Bundespräsidenten Dr. Christian Wulf oder Carl, Gustav, .... zu Guttenberg.
    Da hat man doch auch nicht nachgedacht!

    Gruß
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  • A. S.
    Die hier genannten waren bzw. sind Personen des öffentlichen Lebens. Zu diesem Kreis gehört der Beschuldigte nicht.
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  • H. M.
    Und was wollen Sie damit sagen?

    Gruß
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  • G. K.
    Personen des öffentlichen Lebens haben eine andere Rechtsstellung in Bezug auf ihre Privatsphäre, die Berichterstattung und des Bildnisrechts.
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  • H. M.
    Also keine Persönlichkeitsrechte.

    Hm?
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  • G. K.
    Hat keiner behauptet – wie kommen Sie darauf?

    Personen des öffentlichen Lebens müssen sich jedoch weitergehende Einschränkungen ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts gefallen lassen als Privatpersonen.
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  • H. M.
    Müssen sie?
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  • G. K.
    Ja, sie müssen – zumindest nach Auffassung diverser Gerichte, die dementsprechend geurteilt haben.
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  • H. M.
    Aha,

    welche Gerichte?
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  • G. K.
    Na, zum Beispiel das Bundesverfassungsgericht (dort im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde), das OLG Frankfurt, usw usw

    Wieso stellen Sie hier Fragen, deren Antworten Sie sich im Informationszeitalter selbst in wenigen Sekunden verschaffen können?
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  • B. F.
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  • J. L.
    Chapeau! Die eigene Hilflosigkeit bzw. die Zwickmühle einfach auch mal offen legen halte ich hier für eine schwere, wie auch kluge Entscheidung. Dem Leser zu erklären – oder besser: ihn einfach noch einmal daran erinnern, dass wir uns in einem Regelsystem bewegen empfinde ich als wichtig. Insbesondere, wenn die Emotionen ob der Scheußlichkeit naturgemäß hoch schlagen. Ich selbst habe mich beim lesen bei einer klaren Vorverurteilung ertappt.

    Meiner Meinung nach verdient der vorsichtige Umgang der Main-Post mit der Thematik durchaus Respekt. Den möchte ich hier gern einmal zum Ausdruck bringen.
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  • R. E.
    Denkt ihr MP-Kritiker und die MP-Redaktion in dieser schrecklichen Angelegenheit eigentlich auch noch an die Opfer!?
    Ob der Beschuldigte aktuell juristisch formal (noch) ein Beschuldigter, oder ein Täter ist, macht die unschuldigen Seelen die er (möglicherweise) geschändet hat leider nicht mehr gesund!
    Auch ob ein Journalist seine Arbeit jemals so ausführen kann, dass es jedem Leser gefällt, ist mit Verlaub sch… egal!

    Warum driften öffentliche Diskussionen in der heutigen Zeit eigentlich fast immer ins nebensächliche?

    Warum wird hier nicht öffentlich diskutiert wie die Gesellschaft ihren Beitrag dazu leisten kann, dass solche Verbrechen erst gar nicht begangen werden (können)?

    Erwachsene Menschen, hört um Gottes Himmels Willen auf über so einen Nonsens zu diskutieren und denkt statt dessen lieber darüber nach wie wir unsere Kinder besser schützen können!
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  • G. K.
    Hier geht es um die Frage, ob elementare Grundrechte angemessen berücksichtigt werden. Das sehe ich jetzt nicht als Nebensächlichkeit an …
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  • G. K.
    Zitat: „Doch die Straftat erschien so schwerwiegend, dass wir uns dafür entschieden haben, ein authentisches Foto zu bringen, ohne Namens-Aufschriften an Wänden oder Türen abzubilden. Wir wollten größtmögliche Transparenz schaffen.“

    Sorry, aber das überzeugt mich nicht.

    Erstens: Die vorgeworfenen Tatbestände waren zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch nicht abschließend ermittelt.

    Zweitens: Falls die fehlenden Namens-Aufschriften zur Wahrung der Anonymität der Personen beitragen sollten, die Gegenstand der laufenden Ermittlungen sind – wie passt ein „authentisches“ Foto zu dieser Absicht, das eine exakt gegenteilige Wirkung hat?

    Drittens: Größtmögliche Transparenz – in welcher Hinsicht denn? Hinsichtlich der Tatvorwürfe? Dann hätte es viele der Details über die Verdachtsperson(en) nicht gebraucht. Hinsichtlich der Verdachtspersonen? Das scheint mir eher der Fall zu sein …

    So sehr ich die MP generell schätze – in diesem Fall ist man auf einer Gratwanderung gestolpert!
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