An der Tür hängt ein Schild “Praxis vorübergehend geschlossen“. In dem Würzburger Mietshaus, in dem sich eine Praxis des Logopäden befindet, der nun wegen des Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern im Gefängnis sitzt, gibt es kein anderes Thema mehr, seit am Mittwochabend die Polizei in die Praxisräume eindrang und auch dort Beweismaterial sicherte.
"Gefühlschaos zwischen Wut und Trauer"
Von der Durchsuchung in der Nacht habe nur eine Frau etwas bemerkt. "Wir wunderten uns erst am nächsten Tag über die Polizeibeamten im Treppenhaus und die Journalisten vor dem Haus", sagt ein Bewohner. Im Haus selbst herrsche Fassungslosigkeit und Entsetzen. Niemand habe dem Chef der Praxis auch nur annähernd zugetraut, was jetzt im Raum stehe. Lange habe man geglaubt, es handele sich womöglich nur um ein Missverständnis.
- Lesen Sie auch: Stadt Würzburg: Pflegekinder wurden nicht sexuell missbraucht
- Lesen Sie auch: Edda Weise: Wichtig für die Kinder ist jetzt ein normaler Alltag
Viele der jungen Familien in dem Haus haben selbst Kinder, umso tiefer sitzt der Schock. Es sei ein Gefühlschaos zwischen Wut und Trauer, so ein Bewohner. Ihm sei nur aufgefallen, dass der 37-Jährige oft spät am Abend noch einmal in die Praxis kam. Erst kürzlich habe er Räume im Hinterhof dazugemietet, deren Fenster verspiegelt wurden. Dies könne aber auch zum Schutz der dort behandelten Patienten vor neugierigen Blicken gemacht worden sein, so eine Mutter, die mit ihrem Sohn hierher zur Therapie kam.
Bange Fragen der Eltern
Fassungslosigkeit und großes Entsetzen herrscht auch unter den Eltern, die mit ihren Kindern bei dem Verdächtigen in Behandlung waren. „Das kann nicht wahr sein“, sagt eine Mutter, „ich hoffe immer noch, dass das nur ein böser Traum ist, aus dem ich bald erwache.“ Sie habe ihren behinderten Sohn auch mal allein mit dem Logopäden gelassen, um die Therapiestunde für Besorgungen zu nutzen. "Als Mutter eines chronisch kranken und behinderten Kindes muss ich doch den Pflegekräften und Therapeuten absolut vertrauen können", sagt sie. Da ihr Sohn bis zuletzt immer freudestrahlend zur Therapie gegangen sei, die beiden immer viel gelacht hätten, gehe sie aber davon aus, dass in der Praxis nichts passiert sei. Schließlich arbeiteten dort mehrere Therapeuten, die auch mal kurz in das Behandlungszimmer gekommen seien, etwas zu holen oder abzusprechen. So sei der Chef selten unbeobachtet gewesen. Eine junge Mutter, die ihre Tochter zur Logopädie anmelden wollte, sagt, sie sei dennoch heilfroh, es nicht getan zu haben.
Der beschuldigte Logopäde hat zwei Praxen in Würzburger Stadtteilen. Zudem war er als Berater für verschiedene Kindertageseinrichtungen tätig. Es sei sehr schwer gewesen, bei dem engagierten Therapeuten noch Termine zu bekommen, heißt es.
Turnstunden bei der DJK Würzburg
In seiner Freizeit gab der Mann Kindern bei der DJK Würzburg Turnstunden. Die Vereinsverantwortlichen sind entsetzt. "Dieser Verdacht macht uns sprachlos. Wir stehen unter Schock," sagt Sonja Buchberger. Der Vorsitzenden des Sportbunds DJK Würzburg, hängt die Nachricht, dass ein bei Kindern und Eltern gleichermaßen beliebter Übungsleiter in Untersuchungshaft sitzt, weil er kleine Buben für die Produktion von Kinderpornografie missbraucht haben soll, auch am Tag danach noch spürbar in den Knochen.
Am Donnerstag hatten Staatsanwaltschaft und Polizei auch die Geschäftsstelle des 1800 Mitglieder starken Vereins im Stadtteil Zellerau durchsucht und dabei Geschäftsführerin Jutta Bouschen und ihre Mitarbeiter mit dem schrecklichen Verdacht konfrontiert. "Wir arbeiten intensiv mit der Polizei zusammen, um die Ermittlungen mit allem, was wir dazu beitragen können, zu unterstützen", sagt Buchberger. Details dürfen die DJK-Verantwortlichen "aus ermittlungstaktischen Gründen" nicht sagen. Sie betonen lediglich, es stehe aktuell überhaupt nicht fest, ob Kinder, die an den Turnstunden des Vereins teilnahmen, von den Vorwürfen betroffen sind. Alle Eltern wurden in einem ersten Schritt per Mail informiert, nächste Woche soll es weitere Informationen geben.
Tatverdächtiger hatte Kontakt zu mehreren Hundert Kindern
Unterdessen nahm die DJK die Übungsstunden, die der Mann jeden Donnerstag und Freitag angeboten hatte, umgehend aus dem Programm. Es handelt sich dabei um zwei Kurse "integratives Kinderturnen" für Mädchen und Jungen im Alter von drei bis fünf Jahren sowie um vier "Kurse für Präventive Psychomotorik" für Kinder von drei bis sieben. Insgesamt besuchten zuletzt über 80 Mädchen und Jungen die Übungsstunden des Verdächtigen. Der 37-Jährige bot die Kurse seit Herbst 2008 an, er hatte also über die Jahre hinweg Kontakt zu mehreren Hundert Kindern im Verein.
Die Turnstunden des Mannes waren sehr beliebt. Die DJK bestätigt, dass es lange Wartelisten gab. Vor allem das inklusive Konzept lockte viele Eltern. An den Übungen nahmen auch Kinder mit körperlicher Beeinträchtigung, geistiger Behinderung und Verhaltensauffälligkeiten teil. Der 37-Jährige wurde für dieses Engagement mehrfach ausgezeichnet, auch bei der Aktion "Zeichen setzen", mit der die Main-Post einmal im Jahr ehrenamtliches Engagement in der Region auszeichnet, wurde er mit einem Preis für sein "integratives Kinderturnen" geehrt.
"Erweitertes Führungszeugnis" hatte keinen Eintrag
Der Verdächtige hatte bei der DJK ein "erweitertes Führungszeugnis" vorgelegt, das seine Unbescholtenheit belegen sollte. Einen Eintrag gab es dort nicht. Der Bayerische Landessportverband (BLSV) empfiehlt Sportvereinen, sich von Personen, die Kinder und Jugendliche trainieren und betreuen, so ein Zeugnis zeigen zu lassen.