zurück
Würzburg/München
Samstagsbrief: Herr Aiwanger, Ihr Schweigen im Landtag ist hoffentlich ein Zeichen der Demut
Vize-Ministerpräsident Aiwanger hat im Umgang mit der Flugblatt-Affäre seine Glaubwürdigkeit beschädigt. Unser Autor hofft, dass er aus der Debatte gelernt hat.
Schwieg bei der Landtagssitzung am Donnerstag: Hubert Aiwanger, Vize-Ministerpräsident von Bayern und Vorsitzender der Freien Wähler in Bund und Land.
Foto: Sven Hoppe, dpa | Schwieg bei der Landtagssitzung am Donnerstag: Hubert Aiwanger, Vize-Ministerpräsident von Bayern und Vorsitzender der Freien Wähler in Bund und Land.
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 15.07.2024 16:07 Uhr

Sehr geehrter Herr Aiwanger,

einerseits schade, dass Sie die Chance nicht genutzt haben, am Donnerstag während der Sitzung des Zwischenausschusses im Landtag die noch offenen Fragen rund um das antisemitische Flugblatt aufzuklären, das vor 36 Jahren in Ihrer Schultasche gefunden wurde und aktuell die politische Debatte in Bayern beschäftigt.

Andererseits tat die nachdenkliche Stille auch ganz gut. Mit Ihren ersten lautstarken Reaktionen nach Bekanntwerden der Entscheidung von Ministerpräsident Markus Söder, sie nicht zu entlassen, haben Sie mich und viele andere nämlich stark irritiert. Von einer "Schmutzkampagne" haben Sie bei öffentlichen Auftritten gesprochen, von einer parteipolitisch motivierten "Hexenjagd". Man habe Sie "persönlich und politisch" fertigmachen wollen.

Ihr Wehklagen gipfelte im Vorwurf, Ihre politischen Mitbewerber hätten die Shoah, die Vernichtung der europäischen Juden, gegen Sie instrumentalisiert. So entstand nicht nur bei mir der Eindruck, Sie sehen eher sich als Opfer statt die Millionen von Nazi-Deutschland verfolgten und ermordeten Menschen. Von Demut und Reue jedenfalls, wie sie Söder gefordert hatte, keine Spur.

Ihre Zurückhaltung jetzt im Landtag war hoffentlich nicht nur taktisch motiviert. Vielleicht haben Sie ja mittlerweile verstanden, wo das Problem liegt. Ich würde es mir wünschen - im Interesse unserer Demokratie.

Wie steht der erwachsene Aiwanger zur vermeintlichen Jugendsünde?

Aus meiner Sicht ist es nämlich nicht so sehr entscheidend, welche geschichtsvergessenen Geschmacklosigkeiten Hubert Aiwanger als Teenager verbreitet hat. Ich möchte wissen, wie der erwachsene Hubert Aiwanger, wie allen voran der stellvertretende Ministerpräsident von Bayern, zu der vermeintlichen Jugendsünde steht.

Bei der Beantwortung dieser Frage haben Sie sich nicht mit Ruhm bekleckert. Hätten Sie gleich nach der ersten Konfrontation mit den Recherchen der Kolleginnen und Kollegen von der Süddeutschen Zeitung die ganze Wahrheit auf den Tisch gelegt, hätte es womöglich überhaupt keine Berichterstattung gegeben.

Anzeige für den Anbieter Facebook Beitrag über den Consent-Anbieter verweigert

Wider besseres Wissen zunächst mal alle Vorwürfe pauschal abzustreiten, ist im Krisenfall niemals eine gute Strategie. So haben Sie Ihre Glaubwürdigkeit schwer beschädigt.

Dass Sie weiter in Amt und Würden bleiben dürfen, haben Sie allein den taktischen Überlegungen von Markus Söder und der CSU zu verdanken. Die Freien Wähler sind einfach ein geschmeidigerer Koalitionspartner als SPD, Grüne und FDP, die die Ampel-Regierung auf Bundesebene bilden und als Feindbild im Landtagswahlkampf herhalten müssen.

Aiwanger ist im Landtag nicht mit Antisemitismus oder Rassismus aufgefallen

Dieser Tage hat mir ein lang gedienter Landtagskorrespondent berichtet, Sie hätten seit 2008, als Sie mit Ihren Freien Wählern erstmals in den Landtag einzogen, die politische Debatte mit einigen Wahrheiten, aber auch mit manchem Unsinn belebt. Antisemitische oder rassistische Ausfälle seien allerdings nicht darunter gewesen. Erfahrungen, die für Sie sprechen.

Dennoch haben Sie zuletzt auch Anlass zur Sorge gegeben, es mit der Abgrenzung zu rechten Narrativen nicht ganz so ernst zu meinen, falls ein paar zusätzliche Wählerstimmen herausspringen könnten. Dieser Satz im Juni auf der Demo gegen das umstrittene Heizungsgesetz in Erding, die schweigende Mehrheit müsse sich die Demokratie zurückholen, der hat bei mir die Alarmglocken klingeln lassen.

Das war und ist der Sprech der Demokratie-Verächter. Warum Sie so eine Formulierung um jeden Preis auch im Nachhinein rechtfertigen, habe ich nicht verstanden. Bis heute nicht. Dass die Landtagspresse Sie danach unter besondere Beobachtung genommen hat, darf Sie nicht überraschen. Das ist der Job der Kolleginnen und Kollegen.

Sehr geehrter Herr Aiwanger, auch diesmal mag es so sein, dass Sie mit Ihrer Jammerei über die Links-Grünen und ihre angeblichen Helfershelfer, mit Ihrem Stilisieren als Opfer bei Ihren Anhängerinnen und Anhängern ganz gut ankommen. Die neuesten für die Freien Wähler guten Umfrageergebnisse sprechen dafür. Dass da die Versuchung groß ist, diesem Impuls zu folgen, kann ich sogar ein bisschen nachvollziehen. Und dennoch hoffe ich, dass ihr Schweigen in der Landtagsdebatte ein ernstgemeintes Signal der Zurückhaltung, vielleicht sogar von Demut ist.

Für den heutigen Samstag haben Sie sich bei uns in Unterfranken angekündigt, auf dem Dorfplatz in Wustviel im Steigerwald. Ich werde kommen, um Ihnen zuzuhören.

Beste Grüße aus Würzburg    

Michael Czygan, Redakteur

Persönliche Post: der Samstagsbrief

Jedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den eine Redakteurin oder ein Redakteur an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte.
An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur.
Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse.
Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir von der Adressatin oder dem Adressaten Post zurück. Die Antwort finden Sie dann bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet sie auch Anlass für weitere Berichterstattung.
MP
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Michael Czygan
Antisemitismus
CSU
FDP
Freie Wähler
Holocaust
Hubert Aiwanger
Landtage der deutschen Bundesländer
Markus Söder
SPD
Samstagsbrief
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • Johannes Metzger
    Ich bin erstaunt, wieviele Menschen dem Rechtspopulisten Aiwanger immer noch auf dem Leim gehen. Letztendlich verspricht er, dass sich nichts ändern muss und alles gut wird. Wir stehen aber vor gewaltigen Herausforderungen, die die Gesellschaft nur gemeinsam lösen kann. Mit Aiwangers Saustallideologie wird das aber nicht gelingen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Johannes Metzger
    ..auf den Leim
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Hans Müller
    Ein sehr interessantes Interview!
    Hier nachzulesen

    Fall Aiwanger: Historiker Michael Wolffsohn im Interview (augsburger-allgemeine.de)
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Werner Fritsch
    Meiner Meinung nach ist das der schlechteste Samstagsbrief dieser Zeitung. Dem widerlichen Kampagnenjournalismus einer ehemals guten Zeitung nacheifern ist nicht gut. Ich finde Professor Wolfssohn hat die richtigen Worte gefunden. Vielleicht "googeln " Sie, die Redaktion, das mal.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Hiltrud Erhard
    Sehr geehrter Herr Czygan,
    Wie weit sind eigentlich die Untersuchungen bzgl des Lehrers?
    Welcher Lehrer bewahrt Unterlagen von seinen Schülern auf?
    Welcher bewahrt rechtsextremistische Pamphlets auf und warum überhaupt?
    Was hat er für eine Gesinnung?
    Wie wird generell die Herausgabe von Schülerunterlagen eingeordnet?
    Ist das ein Dienstvergehen oder fällt das jetzt unter einem besonderen öffentlichen Interesse oder unter Verdachtsjournalismus?
    Ein großer Teil der Bevölkerung findet doch gerade das Verhalten des Lehrers für indiskutabel bzw schon Verstoß gegen seine Schutzpflicht gegen Schutzbefohlenen!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Hans Müller
    Diese Frage ist berechtigt!

    Es könnte ein bewährter Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung sein.
    Ich bin gespannt, ob gegen dieser Person ein Disziplinarverfahren angestrebt wird.

    Herr Czygan bitte halten Sie uns auf dem Laufenden.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Karl Weeth
    Die Diskussion um das Flugblatt in Aiwangers Schultasche ist zweifellos wichtig, aber sie sollte nicht das Hauptproblem sein. Viel entscheidender ist der Umgang des Politikers mit dieser Situation, da es sein Ansehen maßgeblich beeinflusst. Besonders besorgniserregend sind die abstrusen Argumente, die in dieser Debatte aufkommen, sowohl von Befürwortern als auch von Kritikern. Diese sollten ihre Weltanschauungen überprüfen und die Diskussion auf sachliche Ebene zurückbringen. Weder die moralisierende Seite noch diejenigen, die die Affäre herunterspielen, scheinen überzeugende Argumente zu liefern. Als stellvertretender Ministerpräsident sollte man genug Rückgrat besitzen, um angemessen mit solchen Situationen umzugehen und sich so verhalten, dass man dem Amt gerecht wird. Es ist von großer Bedeutung, dass politische Diskussionen auf vernünftige und konstruktive Weise geführt werden, damit die Bürgerinnen und Bürger fundierte Entscheidungen treffen können.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Jochen Behr
    Beste Wahlwerbung für die Freien Wähler, der Schuss ging für Rot-Grün nach hinten los. Wird das jetzt zum neuen Ritual vor Wahlen? Ich weiß, was Du als Teenager alles in deinem Schulranzen hatte? Hatte Herr Fischer damals immer paar Steine dabei für die Ordnungshüter? Vielleicht ein anderer damals paar Pornohäftchen? Unstrittig ist, das Flugblatt geht gar nicht, hätte man damals mit einem Schulverweis ahnden müssen, warum passierte nichts? Aber nach über 35 Jahren kurz vor einer LTW das aus einer Schublade zaubern um einen Politiker zu schädigen ist auch allerunterste Schublade und ging korrekterweise nach hinten los. Hoffe das spiegelt sich in den Wahlergebnissen wieder.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Werner Beck
    Warum gibt es keinen Button: "Gefällt mir nicht!". Bei soviel Klugscheisserei ist der unbedingt erforderlich!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Ralf Eberhardt
    Die Causa Samstagsbrief macht die Vorgehensweise der Medien nicht besser. Sie ist eher Bestandteil derselben. Aber eben auch im Rahmen der Pressefreiheit zulässig. Das zeichnet uns in Deutschland aus, dass derartige Auseinandersetzungen SO möglich sind.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Steffen Cyran
    Leider verstößt Ihr Kommentar gegen die Kommentarregeln (Unterstellungen) auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Steffen Cyran
    "Von einer "Schmutzkampagne" haben Sie bei öffentlichen Auftritten gesprochen, von einer parteipolitisch motivierten "Hexenjagd""

    Genau. Nichts anderes war es auch.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Heiko Rittelmeier
    So eine "Schmutzkampagne" wie Herr Aiwanger gegen das Gebäudeenergiegesetz gefahren hat? Hier wird mit Wahrheiten gearbeitet, nicht mit Halb- oder Unwahrheiten wie seitens des Herrn Aiwanger in letzter Zeit immer öfter.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Klaus Hettrich
    Leider verstößt Ihr Kommentar gegen die Kommentarregeln auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Hartmut Haas-Hyronimus
    Ich denke, dass ihm das Schweigen von Markus Söder verordnet worden ist. Er hätte sich sonst nur wieder um Kopf und Kragen geredet.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Harry Amend
    Als kleine Kinder lernt man schon das nachtreten sich nicht gehört und vom schlechten Stil ist, vor allem wenn man nichts beweisen kann. Davon scheinen die Medien aber nie was gehört zu haben, nur wenn es dem eigenen Vorteil bringt. Den Samstagsbrief finde ich mit Verlaub völlig daneben.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Manfred Englert
    Sehr geehrter Herr Czygan,

    zu Ihrem heutigen Samstagsbrief antwortete ich Ihnen bereits.

    Eine Bitte von mir -und ich hoffe, Ihre Redaktion streicht diese nicht wieder raus- , Fertigen Sie doch bitteschön mal einen Samstagsbrief zum Verhalten der Frau Faeser, welche im Verdacht steht, Ihren ehemaligen Mitarbeiter, Herrn Schönbohm, intriganterweise aus dessen Amt gedrängt zu haben, mit Hilfe eines Mediums, in diesem Fall Fernsehen!
    Dankeschön
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Jürgen Huller
    Nette Nebelkerze, perfekt inszenierter What-about-ismus. So wie bei vielen Kommentatoren hier.

    Sie sollten in die Politik gehen, da gehört das zum Standardrepertiore, wenn man keine Argumente hat. Immer schön versuchen, das Thema zu wechseln. "Ja, aber die anderen ...". Eigenes Fehlverhalten wird nicht legitim oder besser, weil andere auch was falsch machen.

    Heute geht der Samstagsbrief um Aiwanger. Also bleiben wir doch beim Thema, oder?

    Über Faeser reden wir dann ein andermal...
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Hiltrud Erhard
    Leider verstößt Ihr Kommentar gegen die Kommentarregeln (Tonfall) auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Manfred Englert
    Würden Sie meine Kommentare gelesen haben, richtig gelesen haben, zu diesem Themenbereich, würden Sie vielleicht nicht zu solch englischen Wortungetümen greifen müssen.
    Ich lenke nicht ab, sondern kritisiere Herrn Czygan und bitte ihn, auch mal den großen Skandal den Frau Faeser verursacht, als Samstagsbrief zu bemühen.
    Ob das möglich ist, weiß ich nicht
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten