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Würzburg
Samstagsbrief: Frau Regionalbischöfin, die Missbrauchsstudie zeigt, dass die evangelische Kirche nicht besser ist
Jahrelang sah die evangelische Kirche zu, wie der Missbrauchsskandal die katholische Kirche überrollte. Die eigene Aufarbeitung hält unsere Autorin für unfassbar.
Als Regionalbischöfin ist Gisela Bornowski verantwortlich für den Kirchenkreis Ansbach-Würzburg.
Foto: Martina Mueller | Als Regionalbischöfin ist Gisela Bornowski verantwortlich für den Kirchenkreis Ansbach-Würzburg.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 26.03.2024 02:55 Uhr

Sehr geehrte Regionalbischöfin Bornowski,

Ende November haben wir in einem Interview über das Thema Missbrauch in der evangelischen Kirche gesprochen. Sie wirkten bei meiner Frage nach dem Ausmaß der sexualisierten Gewalt keineswegs beunruhigt. Sie betonten, Sie hätten in ihrer fast zehnjährigen Amtszeit keinen einzigen Pfarrer wegen eines Missbrauchsvorwurfs in Ihrem Kirchenkreis Ansbach-Würzburg suspendieren müssen.

Sie erwähnten lediglich einen Erzieher in einem Kindergarten in Schweinfurt, der sofort aus dem Dienst genommen worden sei. Und zum 2019 bekannt gewordenen Fall eines Logopäden, der in einer Würzburger Einrichtung zahlreiche Kinder schwerst missbraucht hatte, sagten Sie, dass es sich bei dem Täter um keinen kirchlichen Mitarbeiter gehandelt hatte.

Missbrauchsvorwürfe in Ihrem Kirchenkreis, in der Landeskirche Bayern? Das schien kein größeres Problem für Sie zu sein. Sehr verwundert zeigten Sie sich beim Hinweis, dass es seit Jahren heißt, die evangelische Kirche hinke der katholischen bei der Aufarbeitung hinterher. "Ich verstehe nicht, woher diese Ansicht kommt", erwiderten Sie.

Missbrauchsstudie veröffentlicht: Nur scheinbar die sicherere Kirche

Verstehen Sie es jetzt, nachdem in dieser Woche die Missbrauchsstudie der evangelischen Kirche und Diakonie veröffentlicht wurde? Können Sie sich weiter allein auf die "gute Bilanz" in Ihrem Kirchenkreis zurückziehen? Auf die laut Ihren Worten bayernweit seit Jahren etablierten Unterstützungsmaßnahmen für Betroffene?

Seit Donnerstag steht die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) heftig in der Kritik. Das Ausmaß der sexualisierten Gewalt ist weit höher als vermutet. Das Ergebnis der Studie: mindestens 1259 Beschuldigte und 2225 Betroffene seit 1946. Zuvor ging die EKD von 858 Betroffenen aus.

2010 wurde der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche bekannt. Seither hat sich die evangelische Kirche zurückgelehnt und den Eindruck erweckt, sie sei die bessere Kirche. Sie hat zugeschaut, wie der Skandal die katholische Kirche überrollte. "Wir haben ja kein Zölibat", war ein Argument dafür, dass es in der evangelischen Kirche sicherer sei für Kinder und Jugendliche. Weit gefehlt, Frau Regionalbischöfin.

Die evangelische wie die katholische Kirche: Institutionen des Verschleierns

Unfassbar ist zudem, dass es die EKD mit der Aufarbeitung nicht ernst zu meinen scheint. Übermittelt zur Auswertung wurden meist nicht – wie vereinbart – die aussagekräftigen Personalakten, sondern lediglich Details aus Disziplinarakten über Beschuldigte. Die Ausrede: Personalmangel. Nur eine von 20 Landeskirchen habe den Forschern Personalakten vorgelegt, hieß es. Sollte nicht herauskommen, wie viele Fälle es tatsächlich gibt?

Den Forschern war somit klar, dass die ermittelten Zahlen nicht einmal die Spitze des Eisbergs darstellen. Laut einer Hochrechnung auf Basis der wenigen Personalakten könnten es laut den Forschern bundesweit 9355 Kinder und Jugendliche sein, die seit 1946 von evangelischen Vertretern sexuell missbraucht worden sind.

Frau Bornowski, die Aufarbeitung ist längst nicht so gut, wie Sie mir bei unserem Gespräch vermitteln wollten. Laut dem Studienleiter sind die jetzt veröffentlichten Fälle unzureichend erfasst. Beim Thema Missbrauch ist die evangelische Kirche also nicht die offenere, die transparentere: Sie ist ebenfalls eine Institution des Verschleierns.

Sexualisierte Gewalt "eine Form der Kreuzigung"

Die amtierende EKD-Ratsvorsitzende, Bischöfin Kirsten Fehrs, sprach bei der Vorstellung der Studie von der "perfiden Gewalt" der Täter, von eklatantem Versagen von Kirche und Diakonie. Sie, Frau Bornowski, haben 2022 in Schweinfurt bei der Eröffnung der Ausstellung "Nein zu Missbrauch und Gewalt" gesagt, sexualisierte Gewalt sei "eine Form der Kreuzigung". Solche Taten würden Leben, Seelen zerstören.

Als langjährige Ansprechpartnerin der Landeskirche für Seelsorgegespräche haben Sie sicher erschütternde Einblicke erhalten. Nur so lässt sich Ihre Aussage von damals verstehen, dass Verdrängen, Verleugnen und Beschwichtigen nicht helfen würde. Es sei schwer für Betroffene, zu sagen, dass ihnen Gewalt angetan wurde. Opfer würden oft als Nestbeschmutzer dastehen.

Das hört sich nicht anders an als in der katholischen Kirche. Auch dort fühlten und fühlen sich Betroffene als höchst lästige Bittsteller. Dies bestätigte mir erst vor wenigen Tagen wieder ein Betroffener am Telefon.

Beim Thema Missbrauch bislang Kosmetik

Frau Bornowski, was die evangelische Kirche bislang beim Thema Missbrauch unternommen hat, war vor allem eines: Kosmetik. Sie installierten zwar Ansprechstellen für Betroffene oder ein Präventionsteam. Aber eine Chance zu echter Aufarbeitung hätte die Studie geboten, die jedoch die Landeskirchen durch ihre katastrophal ablehnende Haltung gegenüber den Forschern torpediert haben.

Für Ihren Kirchenkreis, Frau Regionalbischöfin, wünsche ich Ihnen, dass Sie bei unserem nächsten Gespräch wieder sagen können, dass Sie keinen Täter suspendieren mussten.

Mit freundlichen Grüßen,

Christine Jeske, Redakteurin

Persönliche Post: der Samstagsbrief

Jedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den eine Redakteurin oder ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur.
Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir von der Adressatin oder dem Adressaten Post zurück. Die Antwort finden Sie dann bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet sie auch Anlass für weitere Berichterstattung.
Quelle:
 
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  • Klaus Fiederling
    so, jetzt hammers. Nicht nur immer den Zeigefinger gegen die Kirchen erheben, zwecks Missbrauch, ist zwar schlimm bei jeden einzelnen Fall, der nicht sein darf. Aber: soeben
    in GMX gelesen, und da können auch alle Kirchenkritiker gerne nachlesen, die bei GMX
    ihr Email-Postfach haben:
    ehem. Trainer eines Fußball-Vereins in München, Name des Vereins wurde unter Geheimhaltung nicht genannt, hat bei über 800 Missbrauchsfällen Kinder und Schutzbefohlene mißbraucht, also nicht nur in Kirchen, sondern auch in Vereinen, gibt
    es solche Dreckschweine.
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  • Hans-Martin Hoffmann
    Eines frage ich mich immer wieder

    welche Frösche würden selber ihren Teich trockenlegen?

    Das Thema "Missbrauch" scheint doch immer wieder irgendwo auf, und da ist bzgl. der moralischen Gesinnung vmtl. keine Personengruppe irgendwie "besser" als eine andere. Demzufolge tendiert man dazu, schon mal allgemein für das Ansehen des eigenen Vereins und aber speziell, wenn es eine/n selber betreffen könnte, zu relativieren, vertuschen oder unter den Teppich zu kehren.

    Insofern verwundert es mich kein Stück, wenn interne Untersuchungen oder von der jeweiligen Körperschaft selbst in Auftrag gegebene externe Studien extrem wenig bis keinen Handlungsbedarf zutage fördern. Es müsste mMn eine unabhängige Stelle geben, die von sich aus solchen Anschuldigungen gezielt nachgeht, wenn hinreichende Hinweise vorliegen.
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  • Klaus Fiederling
    dann verkneife ich mir Komentare zu diesem Verein, gerade sollte es auch bei denen sein,
    die aus der Kirche ausgetreten sind, aber da kann man ja schön den Moralapostel spielen und sagen mit dem Haufen möchte ich nichts mehr zu tun haben. Dann bitte auch die Klappe halten.
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  • Martin Deeg
    ...."Wenn ich aus einem Verein ausgetreten bin, dann verkneife ich mir Komentare zu diesem Verein"....

    Gilt dieses Dogma aus der Krabbelkiste auch für Sekten wie Scientology, für mafiöse Strukturen, Kartelle, für Aussteiger extremistischer Gruppen, für Edward Snowden....?

    Aufklärung und Verbrechensbekämpfung basiert zu einem guten Teil auf "Kommentaren" von Menschen, die Strukturen und Systeme von innen her kennen.

    Desweiteren dürfen Sie davon ausgehen, dass auch Menschen, die Opfer sexuellen Missbrauchs innerhalb der Kirche wurden, mittlerweile dort "ausgetreten" sind!

    "Klappe halten" ist da ein bemerkenswerter Ratschlag, der hier in eine ganz andere Richtung weist.
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  • Klaus Fiederling
    werter Herr Deeg, ja das gehört auch zu Sekten usw. Aber man bekommt halt auch immer von manchen das Wort im Munde herumgedreht, wie auch bei Ihnen, sind Sie eigentlich in einer religiösen Organisation, ich schon.
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  • Steffen Cyran
    Whataboutismus in Reinform.
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  • Klaus Fiederling
    es ist halt ein einfaches, immer gleich über irgendwelche misstände mit dem Finger zu zeigen, gerade was Kirche betrifft, und am meisten von denen, die rein gar nichts mehr "am Hut" haben, bzw. ausgetreten sind, aus diesen Institutionen. Klar, jeder Missbrauchsfall ist einer zuviel, ob bei katholen oder evangolen oder orthodoxen oder oder ... aber mal an alle Kirchenkritiker eine Frage: wie hoch sind die Missbrauchsfälle innerhalb den Familien`? Wieviele Frauen werden zu sexuellen Missbrauch vom eigenen Mann gezwungen, wieviele Kinder bekommen heute auch noch Schläge oder Liebesentzug? Dies Zahlen werden allzugerne unter den tisch gekehrt, oder kann sie von den Kirchenkritikern hier mal jemand aufdecken, oder nimmt man das alles so hin`? Auch in Vereinen, so wie es Frau Engert treffend geschrieben hat kommt dies doch oft auch vor unter der Dusche oder im Umkleideraum....
    Möchte auch nicht wissen, wieviel da unter den Tisch gekehrt wird. Wenn ich aus einem Verein ausgetreten bin,
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  • Gerhard Zwierlein
    Doppelposting.
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  • Gerhard Zwierlein
    Die Überschrift lautet: ".. dass die evangelische Kirche nicht besser ist..." - In Fragen der Aufarbeitung oder in Fragen des tatsächlichen Mißbrauchs.

    Was heute interessieren sollte ist die Gegenwart und die Zukunft.
    --> " Und da gibt n ihrer fast zehnjährigen Amtszeit keinen einzigen Pfarrer wegen eines Missbrauchsvorwurfs in Ihrem Kirchenkreis Ansbach-Würzburg suspendieren müssen." Das beruhigt. Liebe Frau Jeske - zurück zur Überschrift: ist die evangelische Kirche nach den Zahlen der letzten 10 Jahre "besser" als die katholische Kirche. ? Dabei interessiert mich und ich denke die Mehrheit der Bürger tatsächlich nicht wieviel Mißbrauch es seit der letzten Inquisition oder von 1946 bis 1950 gab, sondern in diesem Jahrhundert. Das wäre eine Information wert.
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  • Heinrich Höllerl
    Sehr geehrter Herr Höllerl, sollte die Adressatin des Samstagbriefes eine Antwort schreiben, wird diese im Lauf der kommenden Woche veröffentlicht.
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  • Dietmar Eberth
    Das ist immer das gleiche. Organisation wie Kirche, IOC, FIA oder FIFA die mit eigenen Gerichten ihre Missstände aufarbeiten wollen und das sehr oft in vertuschen oder verharmlosen endet.
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  • Martin Deeg
    Was mich interessieren würde: empfinden solche Entscheidungsträger und Verantwortliche, die ja erheblichen Einfluss auf das Leben zahlreicher Menschen haben, noch so etwas wie Scham? Oder wird die auch outgesourct? "Verteilt" man die einfach intern....?

    Frau Bornowski? Wie fühlt man sich in einem solchen Amt, wenn man der Verantwortung und den Pflichten, die mit Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen einhergehen, so gar nicht gerecht geworden ist - und dabei "ertappt" worden ist....?
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  • Martin Deeg
    ...."was die evangelische Kirche bislang beim Thema Missbrauch unternommen hat, war vor allem eines: Kosmetik."....

    Ja, das ist die treffende Formulierung!

    Auch die Evangelische Kirche hat letztlich ein Führungsproblem, wie alle auf Autoritäts- und Hierarchiedenken aufgebauten Institutionen, wo der Machtmissbrauch quasi mit "eingebaut" ist.

    Wenn es Ärger und Beschwerden gibt, folgen die üblichen Reflexe: mauern, blockieren, intern die Reihen schließen, nach außen: bagatellisieren, mit Nelbelkerzen und Kosmetik täuschen und vertuschen.

    Die Methoden sind so alt wie die Kirchen.

    Die Frage ist für mich aber auch: warum haben diese dreisten Täuschungen und diese Kosmetik bei den Medien offenbar so lange verfangen, Frau Jeske?
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  • Lutz Saubert
    Leider verstößt Ihr Kommentar gegen die Kommentarregeln auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
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  • Lutz Saubert
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  • Alfred Holler
    Das - Ihren letzten Satz - frage ich mich auch!
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  • Lutz Saubert
    Können Sie ein funktionierendes System ohne Hierarchien nennen? Machtmissbrauch muss es nicht zwangsläufig geben.
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  • Martin Deeg
    Der christliche Glaube in seiner Reinform ist ein "System" ohne Hierarchie.

    Ebenso das Grundgesetz, zumindest in der Theorie: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich".
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  • Johannes Metzger
    Warum die dreisten Täuschungen so lange unerkannt blieben? (Bleiben) Nicht nur bei der evangelischen Kirche? Das hab ich mich allerdings auch gefragt.
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  • Irmgard Engert
    Und wenn es entsprechende Studien bei den Jugendverbänden von Feuerwehr, Sportvereinen etc. gäbe?
    Glaubt jemand ernsthaft, da käme ein anderes Ergebnis raus?
    Über 14.000 jedes Jahr vom Deutschen Kinderschutzbund dokumentierte Fälle von Missbrauch sprechen hier Bände!
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