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MARKTBREIT
Zu Besuch bei Curiosus dem Legionär
Stichwort Die Welt der Legionen auf nicht mal neun Quadratmetern: Das Malerwinkelhaus Marktbreit tüftelt an einer neuen Präsentation seiner Objekte zum Thema Römerlager.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:47 Uhr

Die Zeiten, in denen die Museen Vitrinen mit allem vollstopften, was interessant erschien – Pfeilspitzen, angelaufene Silbermünzen, Tonscherben –, sind längst vorbei. Heute geht es nicht mehr darum, den Besucher mit Masse und Glanz zu beeindrucken, sondern ihn zu erreichen. Ihn zu unterhalten, vielleicht sogar zu faszinieren und ihm im Idealfall ein wenig Erkenntnis mitzugeben.

Wenn man also ein spannendes Thema wie das Römerlager von Marktbreit vermitteln möchte, kann man Tafeln aufhängen, auf denen von der „flachwelligen Lettenkeuperebene des Steigerwaldvorlandes“ die Rede ist. Von einem „lößlehmbedeckten Oberhang“ oder einer „Lagerumwehrung“. Man kann sich aber auch überlegen, ob man das Thema nicht spannender präsentieren könnte.

Der große Raum wird für die Wechselausstellungen benötigt

Simone Michel-von Dungern, Leiterin des Museums Malerwinkelhaus in Marktbreit, tut das dieser Tage sozusagen unter erschwerten Bedingungen: Das „Römerkabinett“ ist ein Raum von nicht einmal neun Quadratmetern. Er steht auch weiterhin als einziger zur Verfügung – die sozial- und kulturhistorische Dauerausstellung „Frauenzimmer“ belegt die beiden Obergeschosse, der große Raum im Erdgeschoss wird für die Wechselausstellungen gebraucht, die regelmäßig neue Besucher ins Museum holen, so Simone Michel-von Dungern.

Die Nachbildung einer Handmühle der römischen Legionäre fasziniert Kinder im Malerwinkelhaus immer wieder. Hier sind es Maya, Johannes (beide 7) und Emma (6) während einer Ferienpassaktion.
Foto: Patty Varasano | Die Nachbildung einer Handmühle der römischen Legionäre fasziniert Kinder im Malerwinkelhaus immer wieder. Hier sind es Maya, Johannes (beide 7) und Emma (6) während einer Ferienpassaktion.

Im Kabinett war seit 2005 ausgestellt, was das Museum zum riesigen Römerlager vorzuweisen hat, das 1985 auf dem Kapelenberg in direkter Nachbarschaft zu Marktbreit entdeckt worden war – Informationstafeln, ein topografisches Modell, Repliken von Fundstücken wie Keramik oder Waffen (die Originale sind der Archäologischen Staatssammlung in München), der Nachbau einer Palisade nebst Wächter (eine Schaufensterpuppe in Kettenhemd) und eine Computerstation mit einem virtuellen Rundgang durchs Lager.

Nach der Katastrophe der Varusschlacht gaben die Römer Marktbreit auf

Das Lager, erbaut kurz vor der Zeitenwende unter Kaiser Augustus, sollte als Stützpunkt für weitere Eroberungszüge der Römer in germanisches Gebiet hinein dienen. Es war fast fertiggestellt, mit Stabsgebäude, Wirtschaftsbau, Mannschaftsunterkünften, Schutzwall und Toren und hätte 12 000 Soldaten aufnehmen können. Doch dann kam im Jahr 9 die verheerende Niederlage in der Varusschlacht im Teutoburger Wald dazwischen, und die römischen Strategen hatten andere Sorgen. Marktbreit – oder Bergium, wie das Lager hieß – ging nie richtig in Betrieb. Woher die Archäologen das wissen? Unter anderem, weil die Latrinen nie benutzt wurden.

Die bisherige Präsentation war mit Fördergeldern aus dem EU-Programm LEADER+, des Freistaats und des Bezirks umgesetzt worden und durfte deshalb zehn Jahre nicht verändert werden. Doch seit Beginn der Konzeption dieser ersten – „sehr teuren“ (Simone Michel-von Dungern) – Ausstellung sind fast zwei Jahrzehnte vergangen, in denen sich museologisch einiges getan hat.

Auch hier gilt die Erkenntnis: Menschen wollen Geschichten erzählt bekommen

Eine Erfahrung macht Simone Michel-von Dungern, promovierte und habilitierte klassische Archäologin, immer wieder: „Man kann dem Laien auch äußerst komplizierte Thematiken vermitteln, wenn man sich Gedanken macht.“ In diesem Falle hat nicht nur sie sich Gedanken gemacht: Ideen von Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums Marktbreit und von Teilnehmern eines Seminars des Studiengangs Museologie der Universität Würzburg sind in die Sonderausstellung „Aufgemischt: Römerkabinett 2018“ geflossen, die noch bis 4. November im großen Raum im Erdgeschoss zu sehen ist. Es ist einerseits eine Schau der Inhalte, andererseits sichtbare museologische Ideenwerkstatt – der Besucher kann nachvollziehen, wie im Dienste der Vermittlung mit Technik, Dramaturgie und Ästhetik experimentiert wird.

Auch hier gilt: Menschen wollen Geschichten erzählt bekommen. Storytelling, heißt das heute – stellvertretend für die Marktbreiter Römer übernimmt das nun der 19-jährige Legionär Curiosus. In einer Mappe (mit Mal- und Bastelbogen) und auf neuen Texttafeln berichtet er aus seinem Leben. Von seiner achtköpfigen Zeltgemeinschaft (contubernium), Urzelle jeder Legion, die gemeinsam marschiert, in der jeder aber für sich selbst kocht, meist Brot oder Mehlbrei (puls), eventuell mit ein wenig Käse oder Speck, Oliven oder Knoblauch („Chips, Schokolade, Gummibärchen und Limonade gibt es bei uns nicht“). Von 50-Kilometer-Märschen mit schwerem Gepäck und von seiner kargen Freizeit, in der er gerne Rundmühle spielt.

Smartphone-geprägte Jugendliche tun sich immer schwerer mit Lesen und Schreiben

Ein solches Rundmühle-Spiel kann in der Ausstellung ebenso ausprobiert werden wie eine funktionstüchtige Hand-Getreidemühle (mola manuria), wie sie Curiosus und seine Kameraden benutzt haben. Sie kommt bei den Kindern immer besonders gut an. Ehe (auch der erwachsene) Besucher es sich versieht, hat er jede Menge Details über römischen Armeealltag erfahren, über nagelbesohlte Sandalen, über Waffen, Rüstung, Münzsystem und Hierarchie. Ein Touchscreen hält pfiffige Kurzvideos bereit, in denen etwa der Aufbau des Lagers mit Zahnpasta nachgezeichnet wird. Das große „Lager-Spiel“ wiederum (es liegt in klein auch der Mappe bei) nutzt den Spieltrieb: Weiter kommt, wer zuvor Gelerntes anwenden kann. Eine Centurie besteht übrigens nicht, wie der Name suggeriert, aus 100, sondern aus 80 Mann – zehn Zeltgemeinschaften.

Simone Michel-von Dungern hat beobachtet, dass sich Smartphone-geprägte Kinder und Jugendliche – übrigens auch Gymnasiasten – heute immer schwerer mit Lesen und Schreiben tun. In der Dauerausstellung sind fünf Mäuse versteckt, noch so eine museologische Idee, die an Spieltrieb und Neugier appelliert. Die Kinder sollen beim Rundgang auf einem Bogen notieren, wo sie Mäuse entdeckt haben, und so genauer hinschauen. Das Finden klappt immer ganz gut, das Notieren nicht. So präsentierte jüngst ein kleines Mädchen ganz stolz ihr Suchergebnis: Sie hatte die Maus kurzerhand mit dem Handy fotografiert, erzählt die Museumschefin. Ihr Gegenmittel ist deshalb durchaus nicht Lesevermeidung. Vielmehr weiß sie, dass Kinder ebenso wie Erwachsene gefordert werden wollen, sobald ihre Neugier geweckt ist. Also schafft sie Leseanreize, indem sie immer wieder Quizsituationen herbeiführt.

Im April wird mit der neuen Saison auch das neue Kabinett eröffnet

Ganz ohne Lesen können Museumsbesucher eine Erfahrung aus erster Hand machen: Sie können einen Brustpanzer anlegen und den Helm eines Legionärs beziehungsweise Centurios aufsetzen. Und dabei vor allem eines lernen: sehr, sehr schwer und sehr, sehr unbequem.

Manchen Erwachsenen ist diese Präsentation zu verspielt, berichtet die Museumsleiterin. Für sie wird es deshalb auf dem Touchscreen eigene Inhalte geben. Wie viele Objekte es von der großzügig gestalteten „Aufgemischt“-Präsentation ins Kabinett schaffen werden, steht noch nicht fest. Die Schaufensterpuppe jedenfalls ist schon raus. Die Palisade, die kaum jemand als solche erkannt hat, auch. Das Ergebnis präsentiert das Museum nach der Winterpause. Wenn im April mit der neuen Museumssaison das neue Römerkabinett eröffnet wird.

Museum Malerwinkelhaus, Marktbreit: Sonderausstellung „Aufgemischt: Römerkabinett 2018“, bis 4. November. Öffnungszeiten: Donnerstag 14 bis 20 Uhr, Freitag, Samstag, Sonn- und Feiertage 14 bis 17 Uhr.

 

 
 
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