In Würzburg und Umgebung hat Leonhard Frank (1882-1961) eine liebevolle und aktive Fangemeinde. Doch während andere Autorinnen und Autoren seiner Generation dieser Tage deutschlandweit wiederentdeckt werden, gilt der in Würzburg geborene Schriftsteller vielen außerhalb Frankens immer noch als regionale Stimme oder ist gar weitgehend unbekannt. Dabei war Leonhard Frank seit seinem Erstling "Die Räuberbande" von 1914 ein Bestsellerautor, der vor allem in den Zwischenkriegsjahren in Berlin höchstes Ansehen genoss.
Die 1984 in Hamburg geborene Journalistin, Historikerin und Germanistin Katharina Rudolph hat über das Leben Franks promoviert – und unzählige Mosaiksteine zusammengetragen, um das Bild eines dramatisch wechselvollen Lebens und eines zutiefst widersprüchlichen Charakters zu zeichnen. Herausgekommen ist, übrigens mit Unterstützung der Würzburger Leonhard-Frank-Gesellschaft und im Aufbau-Verlag, die erste Leonhard-Frank-Biografie überhaupt - fast 60 Jahre nach dessen Tod. Zum Schluss ihrer mehrjährigen Arbeit sei es ihr richtig schwergefallen, Abschied vom Objekt ihrer Forschungen zu nehmen, erzählt die Autorin im Interview.
Katharina Rudolph: Das habe ich mich auch gefragt. Es gibt da nicht die eine Antwort, aber vielleicht ein paar Erklärungsansätze. Ein Problem für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Frank ist, dass die Quellenlage etwas schwierig ist. Anders als viele andere Autoren hat er zum Beispiel kein Tagebuch geschrieben. Es sind auch nicht so wahnsinnig viele aussagekräftige Briefe von ihm überliefert. Man muss da ziemlich wühlen, vor allem, wenn man etwas über die frühe Zeit finden will. Das ist sicher ein Grund, warum Wissenschaftler bisher davor zurückgeschreckt sind.
Rudolph: Für Leonhard Frank gilt dasselbe wie für viele andere Autoren seiner Generation: Sie mussten ins Exil gehen, ihre Bücher wurden in Deutschland verbrannt. Sie waren in ihrer Heimat für einen sehr langen Zeitraum nicht präsent. Gerade die jungen Leute kannten diese Schriftsteller nach dem Krieg gar nicht. Dazu kam, dass die Emigranten im Westen nach 1945 auf Misstrauen und Ablehnung stießen, unter anderem weil ihr Stil und ihre Perspektiven als überholt galten. Manche dieser Autoren wurden später wiederentdeckt, Frank bisher leider nicht so richtig.
Rudolph: Es ist schwierig das genau zu sagen, weil ich nebenher immer auch viel anderes gearbeitet habe. Aber es waren bestimmt fünf, sechs Jahre. Dass es eine so große Aufgabe werden würde, war mir am Anfang gar nicht bewusst.
Rudolph: Franks Haltungen sind zeitlos. Sein Humanismus, sein Sinn für Gerechtigkeit, sein Engagement für Menschen, die aus schwierigen Verhältnissen kommen und teils von der Gesellschaft benachteiligt werden. "Die Jünger Jesu" zum Beispiel, das ich für eines seiner besten Bücher halte, spielt in der unmittelbaren Nachkriegszeit und hat mit damals noch vorhandenen nationalsozialistischen Einstellungen und wiedererstarkendem Antisemitismus zu tun. Man kann das nie direkt auf die Gegenwart übertragen, aber natürlich sind das Themen, die immer wieder auftauchen, und mit denen man sich immer wieder auseinandersetzen kann und muss. Es gibt aber auch Bücher von Frank, die wirken wie aus der Zeit gefallen. Zum Beispiel die pazifistischen Erzählungen in "Der Mensch ist gut" von 1917. Aber ich finde, selbst die sollten wir heute wieder lesen. Weniger als Strandlektüre, sondern mehr als historisches Dokument. Das war damals ein so bekanntes Buch, in vielen Lesern hat „Der Mensch ist gut“ Protest gegen den Krieg geweckt, es hat getröstet und Mut gemacht, das belegen zig Quellen. Jeder kennt heute "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque, aber nur wenige kennen "Der Mensch ist gut" – Franks Buch ist mehr als zehn Jahre vorher erschienen!
Rudolph: Ich mag ihn tatsächlich sehr gerne. Das Buch ist ja im Prinzip meine Doktorarbeit, nur mit tausend Fußnoten weniger. Mir war von Anfang klar, ich will etwas schreiben, was nicht nur einige wenige Wissenschaftler lesen möchten, sondern vielleicht ein paar mehr Leute. Dann habe ich Kandidaten für eine Biografie gesucht, Frank ist es geworden, ohne dass ich anfangs so richtig viel über ihn oder seine Bücher wusste. Aber es erschien mir spannend, mehr über ihn herauszufinden. Mit der Zeit bin ich ihm immer näher gekommen, und er ist mir sehr sehr sympathisch geworden, gerade weil er so ambivalent ist. Es war am Ende auch schwer, ihn in meinem Buch sterben zu lassen, ihn loszulassen. Ich würde sagen, wir hatten eine sehr schöne Beziehung.
Rudolph: Ja, das ist sicher so. Er hat immer dazugehört und war doch gewissermaßen Außenseiter. So beschreiben ihn auch Zeitgenossen. Er hat sich zwar mit kritikwürdigen, gesellschaftlichen Zuständen beschäftigt – aber immer in seinen Büchern und immer am Beispiel einzelner menschlicher Schicksale. Selten im Sinne von konkreten, differenzierten politischen Ideen. Viele Kollegen haben sich aktiv in die politische Diskussion eingemischt. Frank hat das nicht gemacht, weil er es nicht so gut gekonnt hätte. Es fehlte ihm die theoretische Bildung, und das war ihm durchaus bewusst.
Rudolph: Natürlich war er hochtalentiert, aber ihn hat nicht einfach die Muse geküsst. Er hat immer hart gearbeitet, ist an seine Texte herangegangen wie ein Handwerker. Er hat an einer einzigen Seite ewig gestrichen, gefeilt, verbessert. Sodass ein Konzentrat übergeblieben ist. Das ist eine seiner großen Stärken: Er bringt zwischenmenschliche Beziehungen, Stimmungen und Atmosphären mit wenigen Worten genau auf den Punkt. Er beobachtet auch kleinste seelische Regungen unglaublich präzise.
Rudolph: Würzburg hat ihn nie losgelassen. Aber zum Beispiel irgendwann hierher zurückzugehen, hätte ihm nicht entsprochen. Er hatte sich weiterentwickelt und hätte nicht mehr an den Ort seiner Kindheit und Jugend gepasst. Aber ihm war sein ganzes Leben lang bewusst, wie sehr ihn diese Stadt geprägt hat, mit allem Positiven wie Negativen, was er hier erlebt hat. Würzburg hat ihn ganz wesentlich zu dem gemacht, der er war und immer blieb.
Rudolph: Ja, das ist der große Spaß, den man – neben vielem anderen – an so einer Arbeit hat, dass man Dinge be- und auch widerlegen kann. Es ist ja eher eine historische und weniger eine germanistische Arbeit. Ich habe versucht, Franks Leben anhand von Quellen, also Texten wie Briefen, amtlichen Meldebögen oder Akten, zu rekonstruieren. Und ich habe dabei auch seine Bücher als Quellen genutzt – also vermeintlich fiktive Geschichten. Das kann für Geschichtswissenschaftler auf den ersten Blick problematisch erscheinen. Frank hat aber sehr oft, und das nur wenig verfremdet, direkt aus eigenem Erleben geschrieben. Zum Beispiel in der "Räuberbande“. Ich habe aber immer versucht, das Beschriebene mit anderen Quellen abzugleichen. Es war faszinierend, viele Dinge zu finden, die genauso waren, wie er sie beschrieben hat. Manchmal hat er natürlich auch übertrieben, sich in ein besseres Licht gerückt. Oder kleinere Etappen seines Lebens aus dramaturgischen Gründen weggelassen.
Rudolph: Ja! Ich würde mir das sehr wünschen, weil man ihn mit sehr viel Vergnügen wieder lesen kann. Ich denke auch, dass es eine gute Zeit dafür ist, weil viele Autoren und Autorinnen seiner Generation wiederentdeckt werden. Vicki Baums "Vor Rehen wird gewarnt" zum Beispiel sieht man im Moment in fast jedem Buchladen. Warum also zum Beispiel nicht auch Franks „Karl und Anna“?
Katharina Rudolph: "Rebell im Maßanzug - Leonhard Frank, die Biografie". Aufbau-Verlag, Berlin, 496 Seiten, 28 Euro.