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Leonhard Frank und Würzburg: Der ungeliebte große Sohn
Leonhard FrankNach 17-jährigem Exil ist der Schriftsteller Leonhard Frank im Oktober 1950 zum ersten Mal wieder in seiner Heimatstadt Würzburg. Ihm schlägt Misstrauen entgegen.
Der Emigrant: 35 Jahre ist der Schriftsteller Leonhard Frank alt, als ihn 1917 der in Davos wohnende und aus Aschaffenburg stammende Maler Ernst Ludwig Kirchner porträtiert. Auch der Kriegsgegner Frank lebt zu diesem Zeitpunkt in der Schweiz und schreibt sein Antikriegsbuch „Der Mensch ist gut“.
Foto: Galerie Henze + Ketterer, Wichtrach/Bern | Der Emigrant: 35 Jahre ist der Schriftsteller Leonhard Frank alt, als ihn 1917 der in Davos wohnende und aus Aschaffenburg stammende Maler Ernst Ludwig Kirchner porträtiert.
Von unserem Redaktionsmitglied Roland Flade
 |  aktualisiert: 07.11.2019 14:43 Uhr

Die Begrüßungsszene spielt sich auf dem weitgehend zerstörten Hauptbahnhof ab. Verspätet kommt der Zug in Würzburg an. Leonhard Franks Neffe Karl begrüßt den 68-jährigen berühmten Emigranten: „Die Tante Marie steht seit drei Stund‘ auf dem Perron, war nicht zu beweg'n, in den Warteraum zu geh'n. Sie glaubte, weil der Bahnhof so zerbombt und es schon dunkel ist, dass der Zug an der Station vorbeifahr'n könnt.“ Marie, die ältere Schwester des Schriftstellers, fällt ihm weinend um den Hals.

Leonhard Frank, dessen pazifistische Bücher die Nationalsozialisten verbrannten, hat eine 17-jährige Emigration in Frankreich, Portugal und den USA hinter sich. Den ersten Besuch in Würzburg hält er später in dem autobiografischen Roman „Links wo das Herz ist“ fest. Er geht „durch die gewundenen Gassen toter Überbleibsel wie durch einen uralten Friedhof voll zerfallener Grabsteine“, schreibt er; er hat das Gefühl, dass die Stadt gestorben ist.

Mit seinem im Jahr zuvor erschienenen Roman „Die Jünger Jesu“ hat sich Leonhard Frank den Zorn vieler Würzburger zugezogen. Sie können ihm nicht verzeihen, dass er sich die dichterische Freiheit nimmt, seine kritische Sicht von Nachkriegsdeutschland in einer Handlung zu verdichten, die in der Domstadt spielt, obwohl er die dortigen Verhältnisse nach zwei Jahrzehnten Abwesenheit nicht kennen kann.

Frank macht Würzburg in „Die Jünger Jesu“ zum Hort eines neu aufflackernden Rechtsradikalismus und gibt auch manche historischen Sachverhalte ungenau oder falsch wieder. Er schreibt später, dass „Vorgänge und handelnde Personen ausnahmslos frei erdacht“ waren; da er als Schauplatz aber eine tatsächlich existierenden Stadt wählt, wollen ihm deren Bürger keine dichterische Freiheit zubilligen, sondern pochen auf Wirklichkeitsnähe. Es hilft nicht, dass Frank beteuert, er habe mit seinem Roman nicht Würzburg brandmarken wollen, sondern „die bluttriefenden Untiere des Naziregimes“.

OB Franz Stadelmayer lässt sich von der Stimmung in seiner Stadt nicht beeinflussen. „Der Oberbürgermeister, ein kultivierter, aufgeschlossener Mann, und seine Frau luden uns zu einer Autofahrt ein“, erinnert sich Franks Frau Charlott in ihrem 1982 erschienenem Buch „Sagen was noch zu sagen ist“: „Ihre Haltung hob sich von der Mentalität der städtischen Honoratioren deutlich ab. Als wir durch das zerstörte Würzburg fuhren, verstummte Frank angesichts der entsetzlichen Wirklichkeit. Tränen standen ihm in den Augen.“

Zwei Jahre später, bei einem erneuten Besuch, sorgt ein anderes von Leonhard Franks Werken erneut für einen Skandal in der Bischofsstadt. Als im November 1952 die Neuinszenierung von Franks Stück „Karl und Anna“ im provisorischen Theater am Wittelsbacherplatz ihre Premiere erlebt, erhebt sich ein Sturm der Entrüstung. Der Stoff, 1927 erstmals als Erzählung – Franks erfolgreichster – veröffentlicht, ist ein Loblied auf die Liebe, die sich nicht an gesellschaftliche Regeln hält.

Zwei deutsche Kriegsgefangene, Karl und Richard, schwärmen in einem russischen Lager von Richards Frau Anna. Karl lernt auf diese Weise Anna, die er nie gesehen hat, kennen und verliebt sich in sie. Als er fliehen kann und zurückkehrt, gibt er sich bei Anna als deren für tot erklärter Ehemann aus. Sie glaubt ihm nicht, spürt aber seine tiefe Zuneigung und erwidert sie. Als auch Richard frei ist und Karl töten will, bekennt Anna ihre Liebe zu Karl und bleibt bei ihm.

1929, elf Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, war Franks Stück schon einmal in Würzburg auf die Bühne gekommen und vom Publikum begeistert aufgenommen worden. Der Schriftsteller, damals deutschlandweit bekannt und Mitglied der Preußischen Akademie der Künste, hatte vorher unter anderem zwei auch im Ausland erfolgreiche Würzburg-Romane („Die Räuberbande“, 1914, „Das Ochsenfurter Männerquartett“, 1927) veröffentlicht. Der nach seinem Drehbuch 1928 entstandene Film „Die Räuberbande“ mit Paul Hörbiger in einer Hauptrolle war in den Sander-Lichtspielen mit großem Erfolg gelaufen.

Nun also steht „Karl und Anna“ 1952 wieder auf dem Spielplan. Das Stadttheater präsentiert die Inszenierung aus Anlass von Franks 70. Geburtstag. Die Mehrheit der Bürger ist dem Schriftsteller nicht gewogen. Zu ihrem Sprecher macht sich Feuilleton-Redakteur Anton Mayer. Bereits am 2. August 1952 hat er Franks drei Jahre zuvor erschienenen Roman „Die Jünger Jesu“ verrissen und Frank als „Schriftsteller der Tendenz und Feind der bürgerlichen Ordnung“ abgekanzelt.

Nach einer Festaufführung von „Karl und Anna“ lässt Mayer am 7. November 1952 seinem Zorn nochmals freien Lauf. „Ein Heimkehrerstück?“, fragt er und antwortet: „Nein, bestenfalls eine Reportage über Freuds Sexual-Psychoanalyse und Libido-Lehre.“ Mayer fragt weiter, „was den Intendanten des Würzburger Stadttheaters bewogen haben mag, dieses Stück auszugraben, das jedem Begriff der Ehre Hohn spricht“.

Die Wiederaufführung sei unbegreiflich „im Gedanken an die Zehntausende kriegsgefangener und verschleppter Männer, die sich in den Elendslagern des Ostens in Sehnsucht und Sorge um Frau und Familie verzehren“.

Der Artikel löst einen Meinungsstreit aus, in dem Frank von den Würzburger Organisationen der Soldaten und Kriegsopfer heftig kritisiert wird, von anderen Rezensenten und vom Oberbürgermeister aber auch Unterstützung erhält.

Wegen „Beleidigung der ehemaligen Kriegsgefangenen und ihrer Frauen“ wird die Absetzung des Stücks gefordert. Das Bischöfliche Ordinariat schließt sich an: Franks Drama sei unsittlich, zersetze die Volksmoral und unterminiere die Heiligkeit der Ehe und der ehelichen Treue.

Das Stück, das zunächst vom Spielplan genommen wird, um Ausschreitungen zu verhindern, kehrt schließlich auf die Bühne zurück, nachdem der Stadtrat mit deutlicher Mehrheit einen entsprechenden Beschluss gefasst hat. Franks wichtigster Verteidiger in der erhitzen Debatte ist erneut Oberbürgermeister Franz Stadelmayer. Am 26. November 1952 bedauert er in der Sitzung „diese Kränkung eines Dichters“ und sagt: „Ich stelle fest, dass dieses Stück nicht die Spur eines Tendenzstückes ist; die Frau Anna ist eine brave deutsche Frau, die beiden Soldaten sind brave deutsche Soldaten. Von einer leichtfertigen Moral habe ich in diesem Stück nichts bemerkt.“

Leonhard Frank hat es bis zu seinem Tod nicht nur in seiner Heimatstadt, sondern in der ganzen Bundesrepublik schwer. Mehrere Auszeichnungen wie der Kulturpreis der Stadt Nürnberg (1953) und das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland (1957) können nicht darüber hinwegtäuschen, dass er im Westen wenig gelesen und geschätzt wird.

Seine Kritiker stören sich daran, dass seine Bücher in der DDR in großen Auflagen gedruckt werden, dass DDR-Kultusminister Johannes R. Becher, ein Bekannter aus gemeinsamen Münchner Jugendtagen, zu seinen Freunden zählt und dass Frank 1955 aus den Händen von DDR-Präsident Wilhelm Pieck den Nationalpreis 1. Klasse erhält.

Nach dem Tod von Frank am 18. August 1961 wendet sich der Würzburger Stadtrat im Juli 1962 mit 24 zu 13 Stimmen gegen die Benennung einer Straße nach dem Dichter; drei Jahre später erhält dann immerhin ein Uferstreifen zwischen Viehmarktplatz und Alter Mainbrücke, wo allerdings niemand wohnt, seinen Namen. Sogar in den 90er Jahren sorgt die Namensgebung der Leonhard-Frank-Schule auf dem Heuchelhof noch für heftigen Streit.

Seit 1982 bewirkt die Leonhard-Frank-Gesellschaft durch vielfältige Aktivitäten eine Versachlichung der Debatte und heute hat die Stadt endlich ihren Frieden mit ihrem großen Sohn geschlossen. Wenn „Karl und Anna“ gelegentlich auf einem Spielplan auftaucht, erregt dies kein Aufsehen mehr.

Zukunft, die aus Trümmern wuchs

Das Buch Bilder und Texte auf dieser Seite stammen aus Roland Flades neuem Buch „Zukunft, die aus Trümmern wuchs. 1944 bis 1960: Würzburger erleben Krieg, Zerstörung und Wiederaufbau“.

Beschrieben werden darin die letzten eineinhalb Kriegsjahre und das Inferno des 16. März 1945, durch das Würzburg zerstört wurde. Nachzulesen ist aber auch, wie in den folgenden Jahren eine neue Stadt entstand. Der Band bietet auf 336 Seiten Augenzeugenberichte, 151 meist unveröffentlichte Fotos (49 davon in Farbe) und ergänzende Texte des Autors über typische Würzburger und ihre Erlebnisse. Das Buch ist für 16.95 Euro in allen Main-Post-Geschäftsstellen und im regionalen Buchhandel erhältlich.

Geschichte im Internet Videos, historische Filme, Interviews, Berichte, Fotos: www.mainpost.de/geschichte

Der Besucher: Oberbürgermeister Franz Stadelmayer (links) begrüßt im November 1952 den 70-jährigen Leonhard Frank und seine Frau Charlott im Rathaus.
Foto: Walter Röder | Der Besucher: Oberbürgermeister Franz Stadelmayer (links) begrüßt im November 1952 den 70-jährigen Leonhard Frank und seine Frau Charlott im Rathaus.
 
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  • rebnik
    ich auch gerade schreiben. Sehr guter Artikel, informativ und hochinteressant.
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  • Besten Dank an Roland Flade nach Würzburg!
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