
75 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ist weitgehend unstrittig, dass die in den ersten Jahrzehnten nach Kriegsende geleisteten Entschädigungen für im NS-Staat enteignete oder unter Zwang verkaufte Kunstwerke nicht ausreichend waren. Dass Rückgabefristen zu kurz angesetzt waren, dass viele überlebende NS-Opfer oder ihre Erben weder von diesen Fristen wussten, noch dass sie Ansprüche hätten geltend machen können.
Das größte Hindernis allerdings war (und ist) die Tatsache, dass meist nicht bekannt war, welche Wege die Kunstwerke genommen hatten, die ihren rechtmäßigen, meist jüdischen Eigentümern geraubt oder abgepresst worden waren. Der Provenienzforschung, also der Erkundung dieser Wege, kommt deshalb immer größere Bedeutung zu.

Hinzu kommt, dass es nur in Westdeutschland Ausgleichsversuche gegeben hatte, nicht so in der DDR. Erst mit der Wiedervereinigung 1990 konnten Geschädigte Ansprüche im ostdeutschen Bereich geltend machen. Dennoch ist laut Deutschem Museumsbund bis heute nur ein Teil der Raubkunst entschädigt oder zurückgegeben worden. Der Jurist Professor Hans-Jürgen Hellwig rechnet laut FAZ hoch, dass sich in den 6800 Museen in Deutschland heute 21 Millionen mutmaßliche NS-Raubkulturgüter befinden.
In der Washingtoner Erklärung von 1998 hatten sich 44 Staaten und etliche Organisationen verpflichtet, Werke der Raubkunst zu identifizieren, Vorkriegseigentümer oder Erben ausfindig zu machen und "gerechte und faire" Lösungen zu finden. Der öffentliche Druck auf Museen und Sammlungen ist seither deutlich gewachsen. Die Erklärung, zu der sich auch die Stadt Würzburg bekannt hat, bezieht sich allerdings nur auf öffentliche Träger, also Museen und Sammlungen in städtischer oder staatlicher Hand, nicht auf private Eigentümer.
Doch auch hier wandelt sich der Ton. Im November 2018 hat Kulturstaatsministerin Monika Grütters Sanktionen für Privatmuseen angekündigt, die sich der Washingtoner Erklärung verweigern. Die historische und moralische Verantwortung für die Aufarbeitung des NS-Kunstraubs, so Grütters, liege nicht allein beim Staat. Der Deutsche Museumsbund vertritt in einem Leitfaden außerdem die Auffassung, Provenienzforschung dürfe nicht aus rein wissenschaftlicher Neugier betrieben werden, sondern müsse stets zielgerichtet sein – in Richtung Restitution oder eben "gerechter und fairer Lösungen".

Tatsächlich haben inzwischen auch Privatsammlungen geraubte Bilder zurückgegeben, mehrfach etwa die Kunstsammlung Rudolf-August Oetker GmbH, die zuletzt im November 2019 ein Gemälde von Carl Spitzweg an die Nachkommen des jüdischen Sammlers Leo Bendel restituierte. Das von einer privaten Stiftung getragene Buchheim Museum in Bernried, das die Sammlungen des Malers, Autors, Fotografen, Verlegers und Filmemachers Lothar-Günther Buchheim beherbergt, betreibt seit 2017 mit Unterstützung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste und der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern systematische Provenienzforschung – ausdrücklich in Anerkennung der Washingtoner Prinzipien.
Bei all dem gerät immer wieder das Museum Georg Schäfer in Schweinfurt in die Diskussion. Ende vergangenen Jahres lehnte die Provenienzforscherin Sibylle Ehringhaus ab, weiter für das Museum zu arbeiten, das die größte Privatsammlung deutscher Malerei des 19. Jahrhunderts beherbergt. Ehringhaus hatte drei Jahre lang den Bestand auf etwaige Raubkunst untersucht, schließlich aber hingeworfen mit der Begründung, aus ihren Befunden seien keinerlei Konsequenzen gezogen worden. "Die aufklärende Aufgabe der Provenienzforschung hatte in Schweinfurt keine Unterstützung", sagte sie.
Im "Handelsblatt" vom 21. Februar legte Sibylle Ehringhaus nach. Für 23 Werke in der Sammlung lägen Rückgabe-Ersuchen von Nachfahren der einstigen jüdischen Besitzer vor, in 20 Fällen habe sich der Raubkunst-Verdacht eindeutig bestätigt. Sie empfinde die Haltung der Stiftung und der Träger des Museums als "empörend". Überschrift des Handeslblatt-Artikels: "Das Museum Georg Schäfer steht unter Druck". Die promovierte Kunsthistorikerin aus Berlin ist der Meinung, dass es keine Entschuldigung gibt, in bestimmten Fällen die Rückgabe zu verweigern. "Die Befunde liegen klar zutage", hatte sie im Gespräch mit dieser Redaktion gesagt.

Auch die New York Times griff Mitte März das Thema Museum Georg Schäfer auf. Unter der Überschrift "She Tracked Nazi-Looted Art. She Quit When No One Returned It." ("Sie spürte von Nazis geraubt Kunst auf. Sie kündigte, als niemand sie zurückgab") beschreibt die Autorin Catherine Hickley das Zerwürfnis zwischen Provenienzforscherin und Museum und benennt zurückgeforderte Werke und deren Anspruchsteller.
Das prominenteste Werk ist sicher das Porträt Martha Liebermann von Max Liebermann, das die Gestapo 1943 beschlagnahmt hatte – nach Marthas Freitod. Max Liebermann war bereits 1935 gestorben. Käthe Riezler, Tochter der Liebermanns, war mit Mann und Tochter noch die Flucht in die USA gelungen, Martha aber blieb zurück, ihre Deportation stand unmittelbar bevor. Die New York Times zitiert Liebermanns Urenkelin Katharine Wild: "Ich möchte, dass die Menschen in Schweinfurt wissen: Wir haben eine Gelegenheit. Wir könnten diese Angelegenheit beilegen."
Tatsächlich hat die Sammlung-Dr.-Georg-Schäfer-Stiftung, der die Sammlung gehört, bislang jede Rückgabe von Raubkunst abgelehnt. Begründung bis vor einigen Jahren: "Der Sammler Dr. Georg Schäfer hat diese Arbeiten weit nach Ablauf der maßgeblichen Restitutionsfristen in den 50er und 60er Jahren redlich im Kunsthandel zu marktüblichen Preisen erworben und konnte deshalb wie seine Rechtsnachfolger ohne weiteres auf den rechtlichen Bestand des Erwerbs vertrauen."

Die hier zitierte Stellungnahme der Stiftung aus dem Jahr 2007 gibt die Haltung der damaligen Vorstandsvorsitzenden Fritz Schäfer, Sohn Georg Schäfers, und Wolfgang Köster wieder. Inzwischen hat es einen Generationenwechsel gegeben. Stiftungsvorstand ist heute Fritz Ritzmann, gemeinsam mit Notar und Ex-Staatssekretär Bernd Weiß. Vorsitzender des Kuratoriums ist Hans Peter Schäfer. Ritzmann und Schäfer, beide Enkel von Georg Schäfer, beurteilen die Lage anders, sehen sich aber dennoch in einem Dilemma zwischen moralischem Anspruch und geltendem Recht. Und kommen deshalb beim Thema Rückgabe – vorerst – zu keinem anderen Ergebnis als ihre Vorgänger im Amt.
„Wir werden uns nicht auf diese Argumentation der 1960er Jahre berufen", sagt Fritz Ritzmann. "Es gibt jetzt eine moralische Neueinschätzung, erkennend, dass das, was in den 50er und 60er Jahren getan wurde, nicht ausreichend war." Aber geltendes Recht und die Satzung ließen es schlicht nicht zu, das Vermögen der Stiftung zu schmälern, sprich, Bilder herauszugeben. Ein Verstoß würde den Tatbestand der Untreue erfüllen. Das habe die Stiftung juristisch prüfen lassen. Hier treffe moralischer Anspruch auf geltendes Recht.
"Die Sammlung steckt in einer Zwickmühle zwischen öffentlicher Hand und Privateigentum. Die öffentliche Hand wie auch der private Eigentümer können nach Belieben machen, was sie wollen, die Stiftung nicht", so Ritzmann. Hans Peter Schäfer ergänzt: "Es gibt immer den Einwand, es flössen ausschließlich öffentliche Gelder in den Betrieb des Museums. Dabei geht völlig unter, dass die Stiftung diesen Betrieb mitfinanziert. Im Durchschnitt im knapp sechsstelligen Bereich jährlich."
Nun gibt es den immer wieder geäußerten Vorschlag, dennoch Werke zurückzugeben, in der Hoffnung, die Stiftungsaufsicht werde dies im Lichte des aktuellen politischen Klimas dulden. Ritzmann wäre das zu unsicher: "Noch Jahre später könnte durchaus der Vorwurf der Untreue erhoben werden. Von Straftatbeständen kann eine Rechtsaufsicht nicht befreien. Wenn man gegen geltendes Recht restituieren würde, müsste man immer hoffen, dass der gesellschaftliche Konsens darüber bleibt, dass das nicht weiterverfolgt wird. Wir aber brauchen Rechtssicherheit."
Diese Diskrepanz zwischen geltendem Recht und moralischer Verpflichtung beschäftigt längst ganze Kongresse. So forderte Hans-Jürgen Papier, ehemals Präsident des Bundesverfassungsgerichts, im vergangenen Oktober in München laut Süddeutscher Zeitung ein Restitutionsgesetz. Ein solches ist auch aus Sicht der Schweinfurter Stiftung überfällig.
In einem solchen Gesetz müssten die Modalitäten von Enteignungen und gleichzeitig von Entschädigungen geregelt sein. "Wir beschäftigen uns mit vergleichbaren Museen und Stiftungen: Die typische Situation gibt es nicht", sagt Hans Peter Schäfer. Andere, als Beispiel angeführte private Sammlungen etwa taugen nicht: „Oft versteckt sich hinter der Bezeichnung Stiftung eine GmbH oder ein eingetragener Verein. Da geht eine Rückgabe dank Vorstandsbeschluss ganz leicht. Bei einer echten Stiftung wie der unseren wäre das unmöglich."
Fritz Ritzmann: „Es gibt für echte Stiftungen, also Rechtsfähige öffentliche Stiftung des bürgerlichen Rechts, noch keine Blaupause. Ich habe das Gefühl, dass wir gerade zu einer Blaupause gemacht werden sollen. Wir würden uns ja überzeugen lassen, wir hängen nicht persönlich an den Bildern. Aber wir haben eben auch kein Zugriffsrecht.“