Neu ist das Thema nicht, der Fall Gurlitt hat es aber neu befeuert: In der Sammlung Georg Schäfer befinden sich Bilder, die im NS-Staat durch Zwangsverkauf oder Beschlagnahmung ihren rechtmäßigen Besitzern entzogen wurden – Raubkunst also. 21 sollen es sein, so die Provenienzforscherin Monika Tatzkow. Tatzkow hatte bereits 2007 publiziert, dass sich in Schweinfurt Gemälde aus der Sammlung des in Auschwitz ermordeten Kunstsammlers Max Silberberg befinden.
Georg Schäfer (1896–1975), Mitinhaber des Wälzlagerherstellers FAG Kugelfischer, kaufte ab Mitte der 1950er-Jahre deutsche Malerei und Grafik vor allem des 19. Jahrhunderts, oft in großen Chargen. 1998 haben seine Erben einen wesentlichen Teil der Sammlung – etwa 1000 Gemälde und 4000 Zeichnungen, Aquarelle und Gouachen – in die Sammlung-Dr.-Georg-Schäfer-Stiftung eingebracht, heute Bestand des 2000 eröffneten Museums Georg Schäfer. Bauherr und Eigentümer des Hauses ist der Freistaat, Betreiber die Stadt.
Alleinige Verfügungsgewalt über die Bilder hat die Stiftung. Rechtliche Ansprüche gibt es von keiner Seite, sagt Wolfgang Köster, der mit Fritz Schäfer, Sohn von Georg Schäfer, den Vorstand bildet: „Die Restitutionsfristen waren schon Anfang der 50er-Jahre abgelaufen. Georg Schäfer hat im Kunsthandel gekauft, unter unverdächtigen Umständen. Er hat Preise bezahlt, die damals üblich waren. Er hat schon deswegen – egal, wie die Vergangenheit ist – mindestens gutgläubig Eigentum erworben, was nach den Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuchs anerkannt wird.“
Es sei deshalb nahezu ehrverletzend, den Sammler Georg Schäfer als Nazi-Profiteur darzustellen. „Das ist grob falsch, weil es nicht der Intention der Sammlung entspricht.“ Schäfer habe nicht gesammelt, um mit der Kunst Geschäfte zu machen, sondern früh schon vorgehabt, die Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So hatte Erich Schelling bereits 1957 einen Entwurf für ein Gemäldemuseum vorgelegt.
„Er hat in großen Chargen gekauft, und ich kann mir nicht vorstellen, dass damals die Frage nach der Herkunft der erste Impuls war“, sagt Sigrid Bertuleit, Leiterin des Museums Georg Schäfer. Eine Frage, die 50 bis 60 Jahre später immer größere Bedeutung erhält: In der „Washingtoner Erklärung“ von 1998 haben sich 44 Staaten und etliche Organisationen verpflichtet, Werke der Raubkunst zu identifizieren, Vorkriegseigentümer oder Erben ausfindig zu machen und eine „gerechte und faire Lösung“ zu finden. Die Erklärung fordert also zuerst Forschung und dann Ausgleich, womit nicht unbedingt Rückgabe gemeint sein muss.
Sie richtet sich aber ausschließlich an öffentliche Einrichtungen, sozusagen die Rechtsnachfolger derer, die im NS-Staat institutionell sanktioniertes Unrecht begingen. Auch für die ist sie aber rechtlich nicht bindend. Und deshalb erst recht nicht für private Sammlungen. Monika Tatzkow sieht im Fall Schweinfurt dennoch sowohl die – private – Stiftung als auch Stadt und Freistaat in der Pflicht.
Museumsleiterin Sigrid Bertuleit plädiert für größtmögliche Transparenz in der Sammlung. In der derzeitigen personellen Ausstattung sei aber an zusätzliche Provenienzforschung am MGS nicht zu denken: „Dann gäbe es keine Ausstellungen mehr.“ Seitens der Stiftung sind zusätzliche Ausgaben nicht geplant: „Dort, wo wir auf solche Fälle stoßen, wird man das nicht unter den Teppich kehren“, sagt Wolfgang Köster. „Die Familie Schäfer hat einen Millionenbetrag eingebracht, aus dessen Erträgen die Stadt Schweinfurt einen jährlichen Beitrag von 140 000 bis 150 000 Euro zum Unterhalt des Museums bekommt.“
Herbert W. Rott, Hauptkonservator der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen Neue Pinakothek in München, sitzt als Vertreter des Freistaats im Museumsbeirat des MGS. „Ich habe immer wieder darauf gedrungen, dass das Thema ernst genommen wird.“ Auch er sieht in der Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Sammlungen eine moralische Schieflage. In Zeiten schnell über das Internet erreichbarer Datenbanken werde es zudem immer wieder neue Erkenntnisse geben. Aber: „Provenienzforschung ist extrem zeitaufwendig. Das bedeutet zusätzliche Stellen und zusätzliches Geld.“
Die Frage, ob der Freistaat bereit wäre, solche Mittel bereitzustellen, müsse die Politik entscheiden. Eine gesetzliche Grundlage dafür gebe es nicht. Es fehle auch an einer einheitlichen Linie, wie mit dem Thema umgegangen werden solle. „Aber wenn der gesellschaftliche Druck weiter zunimmt, wird auch hier etwas passieren.“ Rott hielte das für unbedingt wünschenswert, ohne allerdings Druck auf die Stiftung ausüben zu wollen.
Provenienzen klären und damit transparent umgehen: Das will auch der Schweinfurter Oberbürgermeister Sebastian Remelé. „Ob sich dann daraus eine Kompromisslösung ergibt, die möglichen Erben und vielleicht auch den moralischen Ansprüchen Genüge tun kann, das muss das Ergebnis der Forschung erbringen.“ Die Stadt sehe sich nicht verpflichtet, diese Provenienzforschung aktiv zu betreiben, sei aber bereit, sie zu unterstützen.
Monika Tatzkows Liste der 21 Bilder liegt weder der Stiftung noch Museumsleiterin Sigrid Bertuleit vor. Tatzkow sei in jüngster Vergangenheit auch nicht vorstellig geworden, sagt Köster. „Zwischen 15 und 20 Arbeiten sind uns von Juristen genannt, mit denen wir Korrespondenz hatten. Aber daraus ist kein Rechtsstreit entstanden“, sagt Fritz Schäfer. „Wir sind in keinster Weise im Streit mit jemandem.“ So habe sich die Stiftung in der Zeit der Eröffnung des Museums mit der Stadt Dresden außergerichtlich geeinigt. Dresden hatte vor dem Landgericht Schweinfurt auf Herausgabe von drei Gouachen von Caspar David Friedrich geklagt, die während des Krieges „abhandengekommen“ und später über den Kunsthandel in der Sammlung Georg Schäfer gelandet waren.
Rechtlich gesehen, bedeutet „abhandengekommen“, dass der ursprüngliche Eigentümer Eigentümer bleibt, dass aber der gegenwärtige Besitzer Besitzer bleibt, sofern 30 Jahre verstrichen sind. Dann greift als „rechtshemmende Einrede“ die Verjährung. Dresden verlor in erster Instanz und legte Rechtsmittel ein. Woraufhin die Stiftung die Bilder herausgab unter der Bedingung, dass sie dem Museum jederzeit für Ausstellungen ausgeliehen werden. „Bis heute haben wir das aber noch nicht in Anspruch genommen“, sagt Fritz Schäfer.
Einen aktuellen Problemfall gibt es: Das Liebermann-Gemälde „Martha Liebermann im Lehnstuhl“ hat die Gestapo 1943 nach Marthas Freitod beschlagnahmt. Es gilt damit ebenfalls als „abhandengekommen“. Auch hier greift die Verjährung. Vor zweieinhalb Jahren habe die Stiftung dem Anwalt der Erben ein Vergleichsangebot unterbreitet, so Köster, aber nie Antwort erhalten. „Wir haben erst aus der Zeitung die Bestätigung, dass er unseren Vorschlag überhaupt gelesen hat.“ Konkrete Forderungen seien aber nie gestellt worden.
Aus dem Artikel der „Süddeutschen Zeitung“ im Dezember geht auch hervor, dass das Angebot inakzeptabel war. Stattdessen ein anderer Vorschlag: Das Bild wird herausgegeben, bleibt aber als Dauerleihgabe im Museum. Eine Lösung, die sich Köster und Schäfer – vorbehaltlich der Zustimmung des Kuratoriums – durchaus vorstellen können. Fritz Schäfer: „Wir sind gewillt, diesen unguten Vorgang zum Abschluss zu bringen, das kann ich ganz klar zusagen.“ Nur: Unterbreitet hat der Stiftung diesen Vorschlag noch niemand.
Provenienz
Der Begriff Provenienz kommt aus dem Lateinischen. Das Verb provenire bedeutet herkommen, herauskommen, auftreten; im Deutschen wird Provenienz sinngemäß verwendet für „die Herkunft betreffend“. Die Aufgabe der Provenienzforschung ist laut dem Deutschen Museumsbund „die Herkunft und die Geschichte von Kulturgegenständen und den Verbleib von vermissten Kulturgegenständen zu klären“. Der bestmögliche Fall in diesem Zusammenhang ist der lückenlose Nachweis der Herkunft beziehungsweise Besitzverhältnisse. Bei den Angaben zur Provenienz, etwa für ein Gemälde, stehen folgende Angaben im Fokus: Bei welchem Kunsthändler oder Privatsammler taucht das Werk zuerst auf, wer oder welches Museum hat es anschließend erworben, wo befindet es sich aktuell? Text: cj