Dass ein Festival von der Größe des Würzburger Mozartfests von zwei Frauen geleitet wird, ist in der Branche eher ungewöhnlich. Tatsächlich haben sich Intendantin Evelyn Meining und Geschäftsführerin Katharina Strein über diese besondere Konstellation noch nicht allzu viele Gedanken gemacht. Im Gespräch allerdings zeigt sich schnell, dass viele der Ideen, mit denen das Mozartfest erfolgreich ist, einer männlichen Führungsspitze vermutlich eher nicht einfallen würden.
- Mozartfest 2019 in Würzburg: Karten, Programm, Livestreams
Frage: Intendantin und Geschäftsführerin – wie hat man sich Ihre Zusammenarbeit vorzustellen? Frau Meining hat eine Idee, und Frau Strein sagt ihr, ob sie zu finanzieren ist?
Katharina Strein: Klingt das nach zwei Fronten? Es ist vielmehr ein Miteinander. Natürlich muss jedes Festival im Ganzen finanzierbar sein, aber das heißt nicht, dass Frau Meining für einzelne Projekte konkrete Vorgaben hat. Wenn es ein Projekt gibt, das über den üblichen Rahmen hinausgeht, tauschen wir uns darüber aus.
Gab's mal eine Idee, die Sie, Frau Meining, unbedingt umsetzen wollten, und wo Sie, Frau Strein, gesagt haben, geht auf keinen Fall?
Evelyn Meining: Schon im gedanklichen Vorfeld verständigen wir uns über meine Planungsideen. Künstlerische Konzepte und der Rahmen ihrer Honorare gehören zusammen. Das heißt konkret: Es geht nicht nur darum, Ideen zu entwickeln, sondern auch zu verhandeln. Das ist ein großer und zeitaufwendiger Teil meines Jobs. Zum guten Verhandeln gehört ein Netzwerk, wichtig sind aber auch Vertrauensverhältnisse zu Künstlern und Agenten. Da profitiere ich von meinen Jahren beim Rheingau Musik Festival, wo ich nicht nur programmverantwortlich war, sondern auch Prokuristin in einem sieben Millionen-Euro-Betrieb. Ich kenne es gar nicht anders, als den Gesamthaushalt bei jeder Idee immer mit im Hinterkopf zu haben.
Man muss also ein Gespür dafür entwickeln, wie viel Spielraum man im Rahmen eines Gesamthaushalts hat, bei dem viele Posten ja gar nicht unmittelbar mit Musik zu tun haben?
Strein: Auf den ersten Blick scheint der Haushalt verhältnismäßig gut ausgestattet, aber er bricht sich herunter in viele einzelne Bereiche. Natürlich geht es bei allem immer um die Kunst. Die Künstlerhonorare sind der umfangreichste Teil. Sinn und Zweck des Mozartfestes ist es, dass Konzerte stattfinden. Damit das möglich ist, müssen viele andere Dinge berücksichtigt werden. Das reicht bis zu ebenso wichtigen Fragen wie Toilettenhäuschen bei der Nachtmusik – was kosten Anlieferung und Personal? Gerade die Spielstätten Residenz und Hofgarten bedingen hohe Aufwendungen, damit man überhaupt dort spielen kann. Das Weltkulturerbe dient zuerst als Museum und das jeden Tag bis 18 Uhr. Wenn das Mozartfest jährlich im Frühsommer dort auf Zeit einzieht, verwandeln wir den Kaisersaal in einen Konzertsaal. In kürzester Zeit müssen wir den Aufbau stemmen, und das erfordert einen relativ hohen Aufwand.
Meining: Das große Privileg dieser besonderen historischen Orte ist auch eine Herausforderung. Ein Barockschloss fordert ein Höchstmaß an verantwortungsvollem Umgang mit der historischen Substanz. Es verwandelt sich eben nicht automatisch in einen Konzertsaal. Das betrifft die akustischen Gegebenheiten, aber auch die Wirtschaftlichkeit: Die Besucherkapazitäten sind deutlich geringer als in einem modernen Konzerthaus, aber die Kosten für uns Veranstalter bleiben die gleichen.
Was wäre denn ein Projekt, das man finanziell besonders sorgfältig planen muss?
Meining: Zum Beispiel eine semiszenische Opernproduktion mit Spitzenkünstlern, die für einen einzigen Termin exklusiv nach Würzburg reisen. Das erfordert einen enormen Probenaufwand, es gibt bei einer Mozartoper sieben, acht Solisten, manchmal einen Chor. Solche Projekte sind über den Kartenverkauf mit 400 Plätzen nicht zu finanzieren. Darüber sprechen wir dann: Was kann und soll uns so ein künstlerisch zentrales Projekt wert sein, und welche Konsequenzen hat es für den Gesamthaushalt? Wie kompensieren wir das? Was bedeutet das für die anderen 65 oder 70 Konzerte? Glücklicherweise sind wir uns einig darüber, wie wir das Profil des Mozartfestesdefinieren.
Strein: Ihre Eingangsfrage war ja durchaus provokant gestellt. Da muss ich noch nachtragen, dass es mir niemals darum geht, verhindernd einzugreifen, sondern den künstlerischen Ideen und Projekten den Freiraum für die Ermöglichung zu schaffen. Also zu schauen, was braucht es, damit genau das stattfinden kann.
Meining: Wenn man für ein Projekt brennt, lassen sich auch andere entzünden: Es geht darum, Projektsponsoren oder Kooperationspartner zu finden, Türen aufzustoßen, das vermeintlich Unmögliche möglich zu machen. Da fällt mir ein Satz von Seneca ein, den ich verinnerlicht habe: „Nicht, weil die Dinge unerreichbar sind, wagen wir sie nicht. Weil wir sie nicht wagen, bleiben sie unerreichbar.“
Es gibt bei so einem Festival die unterschiedlichsten Ansprüche. Was will das Publikum? Was wollen die Künstler? Was wollen die Träger, Sponsoren, Geldgeber?
Meining: Im Idealfall wollen alle drei das Gleiche. Unsere Künstler sind neugierig und offen – wie wir selbst –, deshalb wählen wir sie aus. Und mit diesen Künstlern verwirklichen wir das Besondere. Es gibt Festivals, die ihre Qualität über sogenannte „große“ Namen definieren. Da sind die Namen das Programm. Das ist aber nur eine Frage des Geldes und hat mit Kreativität wenig zu tun. Bei uns kommen zuerst immer die Inhalte, es gibt keine Programme von der Stange. Unsere Künstler fühlen sich herausgefordert, mit ihren Programmen Antworten zu finden auf Fragen, die mit dem Festivalmotto zusammenhängen. Das ist auch für unser Publikum spannend und attraktiv: Natürlich will es auch Vertrautes hören, selbstverständlich Mozart, darauf hat es ein Anrecht. Unsere Aufgabe ist dann: Vertrautes mit Unvertrautem so zu verbinden, dass neue Hörerfahrungen möglich werden. Und wenn all das gelingt, sind auch die Geldgeber glücklich. Ein beim Publikum, den Künstlern und Medien erfolgreiches Festival ist die beste Rendite für jede Investition.
Das heißt, Sie wollen von den Künstlern eigentlich mehr, als sie sonst leisten müssen, dafür zahlen Sie aber weniger.
Meining: Klingt unvereinbar...
Strein: ...aber es funktioniert.
Meining: Die Künstler, die wir auf die Bühne bringen, sind international erfolgreich. Sie spielen 150, 200 Konzerte im Jahr. Das heißt, sie können beim Honorar flexibel sein – innerhalb gewisser Grenzen. Das Honorar ist nicht das Hauptargument für einen Künstler, sich für ein Engagement zu entscheiden. Denken Sie an Bayreuth. Dort wurden in der Vergangenheit immer niedrigere Honorare gezahlt als anderswo. Wir freuen uns, dass das Mozartfest und Würzburg in den Köpfen und Herzen unserer Künstler inzwischen so verankert ist, dass sie wissen: hier finden sie einen Ort der Mozart-Expertise, und das seit fast hundert Jahren. Es ist reizvoll, zu dieser Mozart-Interpreten-Familie dazuzugehören. Da wird die Höhe des Honorars sekundär.
Wie entsteht denn so eine Mozart-Familie?
Meining: Wir machen das Honorar wett durch die besondere Wärme, die das Festival ausstrahlt. Das spiegeln uns auch die Künstler. Hier werden sie von einem kleinen Team persönlich empfangen und umsichtig betreut. Es sind die persönlichen Gesten, durch die aus beruflichen persönliche Kontakte wachsen. Christiane Karg haben wir zum Beispiel zum Abschied ein Fotoalbum geschenkt, das ich persönlich beschrieben habe. Renaud Capuçon haben wir am Ende seine Lieblingszigarre überreicht. Kleine Gesten der Aufmerksamkeit unter Freunden.
Strein: Es spielt, glaube ich, auch eine Rolle, dass die Künstler ein Interesse daran haben, programmatisch tiefe Konzertabende zu konzipieren. Sie erarbeiten die Abende gemeinsam mit der Intendantin, bringen sich ein. Die Künstler gestalten für Würzburg neue Programme, erweitern dafür zum Teil ihr Repertoire und erfahren dadurch selbst Neues.
Es ist ungewöhnlich, dass die Führungsspitze eines so großen Festivals weiblich besetzt ist. Nun ist es immer blöd zu fragen, was Frauen in Führungspositionen anders machen. Aber einen männlichen Intendanten, der in Handarbeit in Fotoalbum gestaltet, kann ich mir dann doch schwer vorstellen.
Meining: Es ist immer noch eine Rarität, dass Frauen ein Festival, ein Opern- oder ein Konzerthaus leiten. Zumindest ist der Geschäftsführer meistens männlich. Natürlich haben Frauen andere Sensibilitäten. Ich sage bewusst: nicht bessere, andere. Sie agieren und reagieren anders. Aber wichtig ist vor allem, dass ein Künstler spürt, dass er mit der Festivalleitung inhaltlich sprechen kann. Dass er merkt: Hier geht es um die Musik.
Strein: Ich habe mir tatsächlich noch nie die Frage gestellt, ob das daran liegt, dass hier eine weibliche Führungsspitze ist. Ich glaube, es ist eher aus der Idee geboren, dass es eine Festival-Familie sein soll. Das ist dann die Grundlage dafür, dass man den persönlicheren Kontakt sucht oder eben versucht herauszubekommen, worüber sich ein Künstler besonders freut.
Meining: Wichtig ist, dass man das Leben der Künstler versteht. Wer auf Tournee ist, kann sich überall fremd fühlen. Ich habe einmal einen berühmten Pianisten am Flughafen in Frankfurt abgeholt, um ihn zur Konzertprobe zu bringen. Auf halber Strecke fragte er: »In welcher Stadt sind wir eigentlich?« Das klang so leer und müde. Deshalb wollen wir hier für 24, 36 oder 48 Stunden ein Gefühl des Angekommen-Seins vermitteln. Auch unsere Hotels und Restaurants leben diesen Anspruch in bester Weise. Schauen Sie: Ein Festival legitimiert sich durch seine Inhalte, und die müssen sich auf unsere Zeit beziehen und können in diesem Sinn gar nicht groß genug gedacht werden. Gleichzeitig lebt es davon, dass man weiß, welche Eissorte Kit Armstrong mag, dass Alfred Brendel Apfelkompott zum Frühstück möchte oder wer abends vor dem Schlafen noch eine heiße Milch mit Honig braucht. So haben die Musiker das Gefühl, hier bin ich für einen oder zwei Tage zu Hause – und es kehrt ein bisschen Ruhe ein in ein unruhiges Künstlerleben.