Streng genommen war die Ankündigung dieses Abends irreführend: Als „konzertante Aufführung“ stand „Cosi fan tutte“ im Programm des Würzburger Mozartfests. Aber der Auftritt des ausgezeichneten Sängerensembles und der Musiciens du Louvre unter Marc Minkowski zeigte, dass man keine Bühne braucht, um eine Oper auf die Bühne zu bringen – und zwar szenisch.
Zuvor allerdings hatte es schon ein wenig Skepsis gegeben. Oper konzertant im Kaisersaal? Würde nicht eben dieser Saal, denkbar prachtvollste Kulisse, die optische Regie übernehmen, sozusagen als Füller des dramaturgischen Vakuums, das herumstehende Sänger hinterlassen mussten?
Oper konzertant im Kaisersaal erschien also nicht unbedingt als selbstverständlich gute Idee. Wie Oper konzertant eigentlich nie. Es macht ja gerade den Reiz dieser Gattung aus, dass sie so unglaublich viel gleichzeitig bietet: Musik, Schauspiel, Kulissen, Kostüme – also Action, Drama, Komik, Turbulenz, Opulenz (oder Kargheit) für Ohr und Auge.
Eigentlich ist das was für Puristen, denen es nur auf die Klänge ankommt
Oper konzertant ist – wie Oper im Radio oder auf CD – eigentlich was für Puristen. Für Leute, denen es nur auf die Klänge ankommt. Heißt im Umkehrschluss: Oper konzertant funktioniert wenn, dann nur mit richtig guter Musik. Wagnerianer zum Beispiel scheint es wenig zu stören, wenn es nichts weiter zu sehen gibt (angesichts mancher Inszenierung vielleicht nachvollziehbar). So erzählte während der Bayreuther Festspiele im vergangenen Jahr ein Besucher, dass er dem Sog dieser Musik bereits in seiner Kindheit in Südamerika erlegen sei. Und zwar dank einer Radiostation, die ausschließlich Aufnahmen der 1950er und 1960er Jahre spielte...
Nun gehört Mozarts Musik, namentlich die seiner Opern, ganz bestimmt in die Kategorie „bestmögliche Musik“.Dass „Siegfried“ ohne Drache geht, hat ja Frank Castorf in Bayreuth bewiesen – aber eine „Zauberflöte“ ohne „listige Schlange“ (übrigens eine stumme Rolle)? Oder „Figaro“ ohne Versteck- und Verwechslungsspielchen? Oder „Don Giovanni“ ohne Höllenfahrt?
Man hat schon statischere szenische Aufführungen gesehen
Tatsächlich erscheint „Cosi fan tutte“ da noch als die geeignetste konzertante Oper. Schließlich überwiegt die Konversation, und die Verkleidungen von Ferrando und Guglielmo hat man auch schon auf der Opernbühne ziemlich reduziert gesehen. Wie man überhaupt schon einige szenische Umsetzungen gesehen hat, die weitaus statischer waren als diese – angeblich konzertante – beim Mozartfest.
Im Grunde hätte im Programmheft ein Regisseur genannt werden müssen, denn was das Ensemble da mit den Saaltüren links und rechts, ein bisschen Platz auf und vor der Bühne und einer Fülle witziger und anrührender Regieeinfälle (und vermutlich nicht allzu vielen Probemöglichkeiten) zuwege brachte, das war turbulenter und unterhaltsamer als mancher „echte“ Opernabend.
Die quirlige und lupenrein singende Giulia Semenzato als Despina schäkerte mit dem Fagottisten, borgte sich Minkowskis Taktstock, um die beiden schwer verliebten (und vorgeblich suizidalen) Fremden wiederzubeleben, oder quälte als falscher Notar die heiratswilligen Paare. Jean-Sébastien Bou flitzte als Don Alfonso vor der Bühne hin und her wie das Schiffchen im Webstuhl der Intrige – elegant in Stimme wie Statur und kaum zu fassen.
Die neue Konstellation der Paare passt besser - findet auch Mozart
Und dann die Paare. Schon Mozart hat es so angelegt, dass Fiordiligi (Sopran) und Ferrando (Tenor) sowie Dorabella (Mezzo) und Guglielmo (Bariton) eigentlich besser passen als die Ausgangskonstellationen. Die Sänger machten das mit wunderbar harmonierenden Stimmen und erheblicher Schauspielkunst ein ums andere Mal deutlich.
Ana Maria Labin (mit herrlicher Strahlkraft nicht nur in der Höhe und im Forte) als ziemlich durchsetzungsfähige Fiordiligi und Anicio Zorzi Giustiniani (mit leichtem, freiem Tenor) als treuherziger Ferrando. Serena Malfi (mit wunderbar dunklem, ja sämigem Mezzo) als anschmiegsam kokette Dorabella und Robert Gleadow (mit großem, warmem und staunenwert geschmeidigem Bariton) als testosterongesättigter Choleriker von gigantischer Ausstrahlung. Gleadow als Don Giovanni – das wäre mal was.
Dazu ein Orchester auf Originalinstrumenten, das die dramaturgischen und psychologischen Verwicklungen sozusagen aus nächster Nähe kommentierte. Marc Minkowski, der als ruhender Mittelpunkt das Geschehen steuerte wie ein liebevoller Bär, Les Musiciens du Louvre, deren größtes Punktstück die fabelhaften Holzbläser sind, und das Quartett aus Stefanie Wagner, Katharina Flierl, Oliver Kringel und Elias Wolf, das den Chor mehr als nur ersetzte, schufen dem Ensemble mit durchweg flotten Tempi eine innere und äußere Klangwelt, in der es an nichts fehlte: Licht und Dunkel, Enge und Weite, Emotionen aller Art.
Ganz ohne Tücken allerdings ist der Kaisersaal nicht. Was noch in der vierten Reihe transparent und knackig rüberkommt, ist in der zehnten schon deutlich vom Nachhall beeinträchtigt. Mit der Zeit stellt das Ohr sich zwar ein wenig darauf ein, aber es bleibt anstrengend. Oper konzertant im Kaisersaal? In dieser Umsetzung jedenfalls dennoch ein Erlebnis. Fand auch das beglückte Publikum.