Das Würzburger Mozartfest 2019 stellt eine mutige Frage: Ist Mozart ein Romantiker? Mutig, weil eine solche Zuordnung allem widerspricht, was in der Schule gelehrt wird. Mutig, weil es die Romantik war, die das Bild Mozarts bis zur Unkenntlichkeit verklärte und so sehr verfälschte, dass es bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts dauerte, bis wissenschaftliche und künstlerische Korrekturen allmählich griffen. Mutig, weil es das 19. Jahrhundert, also das Jahrhundert der Romantik war, das Mozart als Projektionsfläche für Geniekult und die Sehnsucht nach dem Nationalstaat instrumentalisierte. Und mutig schließlich, weil das Attribut "romantisch" in Verbindung mit Mozart im Zeitalter der historisch informierten Aufführungspraxis als Schimpfwort gilt.
Intendantin Evelyn Meining, die mit der Ausgabe 2019 vom 24. Mai bis 23. Juni ihre sechste Festivalsaison verantwortet, braucht auf der Programmpressekonferenz im Exerzitienhaus Himmelspforten nur wenige Sätze, um althergebrachte Epochen-Zuordnungen zu erschüttern: Beethoven und Schubert wirkten zur selben Zeit in Wien und starben im Abstand von nur einem Jahr (nämlich 1827 und 1828). Niemand käme deshalb auf die Idee, sie derselben Epoche zuzuordnen. Beethoven gilt als Vollender der Klassik, Schubert als Begründer der Romantik. Meining: "Habe ich Sie jetzt verwirrt?"
Die Kunstgeschichte denkt längst nicht mehr in Stilepochen, sondern eher in biografischen Kontexten, die Musikgeschichte tut sich damit bislang noch schwer. Meining hilft ein wenig nach: "Was macht Romantik und Klassik aus? Gibt es Epochen-Anfänge und -Enden?"
Natürlich lassen sich Tendenzen und Zeiträume benennen und beziffern, doch die eigentlichen Fragen bleiben letztlich unbeantwortbar, so die Intendantin. "Es ist nicht unser Anliegen, Antworten zu geben, sondern Denkanstöße." Meining zitiert Nikolaus Harnoncourt (1929-2016), Pionier der historischen Aufführungspraxis und romantisierender Neigungen gänzlich unverdächtig: "Natürlich ist Mozart ein Romantiker, weil es in seiner Musik um innere Zustände geht."
"Artiste Étoile" ist diesmal der junge Tenor Julian Prégardien, in der Nacht zur Pressekonferenz aus Montréal eingeflogen, wo er unter Kent Nagano Bachs h-Moll-Messe gesungen hat. Prégardien wird sieben Konzerte bestreiten, darunter eine "Winterreise" mit Kit Armstrong am Flügel (5. Juni), in der die beiden den Zyklus der Schubert-Lieder immer wieder mit Klavierwerken Mozarts unterbrechen. Ähnlich, wie es 1862 Clara Schumann tat, die als erste überhaupt die "Winterreise" auf die Konzertbühne holte.
Clara Schumann, die 2019 vor genau 200 Jahre geboren sein wird und der sich mehrere Programme widmen, hat wiederum Kadenzen zu Mozarts Klavierkonzert KV 466 geschrieben, das Lise de la Salle mit dem Münchner Kammerorchester spielen wird (30. Mai). So ergeben sich immer wieder Querverbindungen. Aribert Reimann etwa hat im Auftrag des Mozartfests drei Lieder von Clara Schumann für Klavier und Streichquartett bearbeitet, die Anna Lucia Richter (Sopran) und das Schumann Quartett in der Neubaukirche spielen werden (13. Juni) – neben Reimanns bekannten Bearbeitungen von Robert Schumanns sechs Gesängen op. 106.
Erschöpft vom Nachtflug wirkt Prégardien keineswegs. Als wolle er Evelyn Meinings lobende Worte bestätigen, die gesagt hatte, Prégardien sei genau richtig beim Mozartfest, "weil wir uns nur für Künstler interessieren, die sehr wach sind". Singen muss er dennoch nicht, stattdessen gibt es eine Videoeinspielung seiner Bildnis-Arie aus der "Zauberflöte" an der Oper von Dijon– gesungen ganz im Sinne Nikolaus Harnoncourts nach allen Regeln der historisch informierten Aufführungspraxis.
Kein bisschen romantisierend also, aber mit so zu Herzen gehender Innerlichkeit, dass man versucht ist zu sagen: Romantischer geht's nicht. Die Titelrolle im "Don Giovanni", der Lieblings-Mozartoper der Romantik, die nach "Così fan tutte" im Vorjahr konzertant im Kaisersaal gespielt wird (8. Juni), wird Prégardien allerdings niemals singen können – "weil ich leider kein Bariton geworden bin". Vom "Don Giovanni" gibt's außerdem eine Version für Kinder (1. und 16. Juni) und eine audio-visuelle Collage unter dem Titel "Don Giovanni Metamorphosen" im Kino Central im Bürgerbräu (21. Juni).
Annäherung an Mozart aus allen Richtungen
Das Mozartfest wird sich in bekannten und neuen Formaten aus vielen Richtungen seinem Namenspatron nähern. Die Collage, die diesmal Programm und Plakate ziert, deutet zwei dieser Richtungen an: Sie stellt das bekannte Porträt Mozarts, gemalt von dessen Schwager Joseph Lange (geboren übrigens in Würzburg), zwischen Schinkels – klassizistische – Sternenhalle aus dem Bühnenbild für die "Zauberflöte" und Caspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer", entstanden 1818 und zentrales Werk der Romantik – mit einem Blick in neblige Ferne, die in Wirklichkeit das Innere symbolisiert.
- Mozartfest 2019 in Würzburg: Karten, Programm, Livestreams
Der porträtierte Komponist ist 2019 erstmals eine Komponistin, nämlich die seit einigen Jahren in Deutschland lebende Koreanerin und Ligeti-Schülerin Unsuk Chin, deren Werke vor allem im MozartLabor erklingen werden (8. bis 11. Juni).
Neu im Programm ist die "Musikalisch-Literarische Wanderung" auf den Spuren etlicher Dichter, die einst Würzburg lobten – schließlich sind das Wandern und der deutsche Wald unverzichtbare Requisiten der Romantik. An den drei Feiertagen während des Festivals (30. Mai, 10. und 20. Juni) geht es nach Vorrecherchen von Antiquar Daniel Osthoff gut drei Stunden über den Nikolausberg mit Musik, Puppenspiel und Lesungen von Rückert, Goethe, Wagner, Rostosky und Dauthendey. Er werde sogar ein Salieri "aus dem Gebüsch springen", verspricht Evelyn Meining.
Die Salieri-Legende gibt's auch als Kammeroper
Apropos Salieri: Die Legende, der Konkurrent habe einst Mozart vergiftet, hat Alexander Puschkin 1830 in ein Versdrama gefasst. Dieses hat Nikolai Rimski-Korsakov 70 Jahre später zu einer einaktigen Kammeroper vertont, die beim Mozartfest 2019 mit den Bamberger Symphonikern und Julian Prégardien erklingen wird (15., 16. Juni).
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An vielen Stellen zeigt sich, dass die Grenzen zwischen den Stilepochen, so überhaupt vorhanden, fließend sind. Was sich nicht zuletzt in der Nähe romantischer Literatur und Lyrik zur mozartschen Ausdruckswelt zeigt. Paradebeispiel ist Eduard Mörickes Novelle "Mozart auf der Reise nach Prag", aus der die Schauspielerin Corinna Harfouch unter anderem lesen wird (15. Juni). Wie gesagt, Anstöße. Evelyn Meining: "Wann haben wir zuletzt Eichendorff gelesen, Novalis oder Hölderlin?"