Klassiker sind out. Jedenfalls im Freilufttheater. Kaum eine der großen Freilichtbühnen hat Stücke von Goethe, Schiller, Shakespeare und Co. im Programm. Auch auf Wolfgang Hofmanns erstem Spielplan für die Clingenburg Festspiele sucht man sie vergebens. Aus gutem Grund, findet der neue Intendant.
"Wenn's nicht um Zahlen ginge – sofort 'Macbeth'", sagt Hofmann, als wohnten zwei Seelen in seiner Brust: die des Künstlers, der liebend gerne Shakespeares Tragödie inszenieren würde – und die des Intendanten, der es hinkriegen muss, mit seiner Stückauswahl der Menge zu behagen. Er weiß: Auch auf der Clingenburg sind Klassiker zuletzt nicht gut gelaufen.
Shakespeare auf Umwegen
Beispielhaft dafür steht "Nathan der Weise". Lessings Versdrama wurde 2018 aufgeführt. Ein wichtiges Stück, gut inszeniert, gut gespielt. Dennoch blieben zu viele der 750 Sitzplätze im Hof der Burg über Klingenberg (Lkr. Miltenberg) leer. Im Mainfranken Theater war "Nathan" in der Saison 2016/17 vom Publikum gut angenommen worden. Doch bei Theater unter freiem Himmel gelten andere Gesetze, so Hofmann, ein alter Hase mit Regie-Erfahrung auch bei Freilichtspielen. Im Freien wolle der Zuschauer anderes sehen als auf einer herkömmlichen Bühne: "Deftige Unterhaltung" komme da besser an als die "Ringparabel", sagt Hofmann und meint das nicht abwertend. Auf der Clingenburg soll selbst das Musical "Cabaret" auf Vorbehalte gestoßen sein, weil es auch die Nazi-Zeit thematisiert: zu ernst.
Der gebürtige Wormser des Jahrgangs 1959 sieht einen "klaren Auftrag": Es gehe nicht darum, "dass sich da oben Regisseure, Ausstatter, Schauspielerinnen und Schauspieler auf dem Ego-Trip verwirklichen. Wir müssen im besten Sinne des Wortes gut unterhalten und können vielleicht auch eine kleine Horizont-Erweiterung beim Publikum erreichen." Auch ohne Klassiker.
Also gibt's In diesem Jahr nicht Shakespeare im Original – schon gar nicht den düsteren "Macbeth" –, sondern "Shakespeare in Love" nach der gleichnamigen erfolgreichen Filmkomödie. Der Klassiker kommt somit doch in den Spielplan, wenn auch auf Umwegen. Das hat schon im vorigen Jahr funktioniert: Publikumsliebling war "West Side Story" – eine Übertragung von "Romeo und Julia" ins New York der 50er Jahre.
Er kann auch anders
Als Intendant orientiert sich Hofmann stark am Publikum. Er könnte auch anders. Schließlich war er, nachdem er Philosophie, Rhetorik und Theologie in Tübingen studiert hatte, unter den ersten, die sich im neuen Studiengang "Angewandte Theaterwissenschaft" an der Uni Gießen einschrieben. Sehr progressiv. Ein Theaterkritiker sah von Gießen aus den "Untergang der deutschen Theatertradition eingeleitet", erzählt Wolfgang Hofmann grinsend. Dabei lehrten in Gießen Legenden wie George Tabori, Heiner Müller und Adolf Dresen. Die hätten ihn fachlich und persönlich geprägt, so Hofmann.
Beim Freilichttheater geht es aber nicht um eine – so Hofmann selbstironisch – "Stückentwicklung in einem Studio um 22 Uhr vor fünf Leuten". Im Freien erwartet sich jedermann ein Fest, ein Event. Da gehe es auch um Fragen wie: Was gibt es zu essen? Aus welchem Weingut kommt der Wein? "Ein Eis am Stiel in der Pause reicht nicht mehr."
Auf der Clingenburg ist Freilichttheater ein Tanz auf dünnem Eis. Den Publikumsgeschmack zu treffen ist hier noch wichtiger als in hochsubventionierten Stadt- oder Staatstheatern: Die müssen nicht andauernd nach Zuschauerzahlen schielen. In Klingenberg hinterlässt jeder Fehlgriff ein Loch in der Kasse. 85 Prozent des 1,5-Millionen-Etats müssen selbst erwirtschaftet werden, durch Eigeneinnahmen, durch Sponsoren. Hofmann: "Jeder Cent wird dreimal umgedreht."
2018 brachte ein Besucherplus
Auf der Bühne spielen und inszenieren Profis. Gemanagt werden die Festspiele, die im vorigen Jahr 28 500 Besucher in den malerischen 6000-Seelen-Ort am Main zogen, von ehrenamtlichen Mitarbeitern.
2018 verzeichneten die Clingenburg Festspiele ein Besucherplus von neun Prozent. Trotzdem, und trotz all seiner Erfahrung geht der ehemalige Oberspielleiter des Theaters in Bremerhaven "jeden Abend mit dem Gedanken ins Bett: Hoffentlich funktioniert das." Auch als Intendant, wisse man nicht alles. "Aber man weiß alles besser", sagt er lachend. Den Humor hat Wolfgang Hofmann anscheinend nicht verloren. Trotz Kostendruck und Arbeitsbelastung durch Intendanz und zwei Inszenierungen – "Sams" und "Shakespeare in Love" – für die Clingenburg. "Kein Lamento! Aber ich weiß, was ich in den letzten Monaten getan habe."