Fast auf den Tag genau vor sechs Jahren berührte William Shakespeares Liebestragödie „Romeo und Julia“ die Premierenbesucher zum Auftakt der Clingenburg-Festspiele. Zum Jubiläum – das Festival besteht seit 25 Jahren – hat man in den hoch über dem Maintal aufragenden Burgruinen Verona gegen Manhattan ausgetauscht. Das tragische Liebespaar heißt jetzt Tony und Maria und statt verfeindeter Familien bekriegen sich mit den Jets und Sharks zwei Straßengangs: Mit dem Musical „West Side Story“ gelingt dem Ensemble ein schwungvoller, mitreißender Start in die neue Spielzeit.
Die Geschichte von jugendlicher Verblendung, Fremdenverachtung und inniger Zuneigung verliert auch 61 Jahre nach der Uraufführung nicht an Aktualität und Aussagekraft: Die bittere Rivalität von Liebe und Hass hinterlässt am Ende nur Verlierer!
Komponist Leonard Bernstein hat mit seiner Mischung aus verschiedenen Musikstilen rassige Rhythmen und bewegende Melodien von klassischer Schönheit geschaffen. Deren Interpretation gelingt dem 17-köpfigen Orchester, originell hinter den Kulissen der Skyline von Manhattan platziert, unter der Leitung von Philip Tillotson mit Verve und Feingefühl in den zarten Passagen.
Marcel Krohn, der seinerzeit auch die klassische Fassung auf die Bühne brachte, hat die 27 Frauen und Männer zu einer imposanten Schauspielgruppe zusammengeschweißt. Von leichter Hand, aber mit strenger Disziplin geführt, begeistert das Ensemble mit geballter Dynamik, sprühender Spielfreude und einem passenden Mix aus grimmiger Entschlossenheit und quirligen Albernheiten.
Der nach zehn Jahren scheidende Intendant, der ganz nebenbei als Krankheitsvertretung einen richtig fiesen, rassistischen Leutnant Schrank gibt, hat mit dieser Abschiedsinszenierung nochmals einen Glanzpunkt gesetzt. Den gleichen Anspruch wie an die schauspielerische Klasse erhebt die „West Side Story“ an die Choreografie der zahlreichen Tanzeinlagen. Timo Radünz hat für dieses schwierige Metier die Verantwortung übernommen und fulminante Nummern kreiert.
Die Angriffslust der Jets, das südländische Temperament der Sharks hat er auf den Punkt gebracht. Umwerfend die wirbelnde Farbenpracht der Kleider beim „Tanz in der Turnhalle“ (Kostüme: Evelyn Straulino), bedrückend der weiß maskierte Alptraum, furios die spritzig-freche Adaption von „America“.
Alexander Ruttig als Riff gefällt mit kantiger Körpersprache und Mario Saccoccioals als heißblütiger Bernardo. Die Singstimmen von Gevorg Aperants (Tony) und Theano Makariou (Maria) bestechen mit ihrem kraftvollen und modulationsfähigen Klang. Zusammen mit der resoluten und rassigen Anita (Lucia Isabel Haas Munoz) bilden sie ein glänzend spielendes Trio, hervorragend ergänzt vom restlichen Ensemble. Jubelnder Schlussapplaus.
Auf dem Spielplan bis 12. August. Karten: Tel. (0 93 72) 30 40 oder 92 12 59