Für kurze Zeit ist die alte Turnhalle vergessen. Das verlebte Interieur scheint einer strahlenden, märchenhaften Welt gewichen zu sein. Sergej Prokofjews plastische Musik erfüllt den Raum, Cara Hopkins und Leonam Santos tanzen den abschließenden Pas de deux von „Cinderella“. Anna Vita sitzt auf einem Stuhl vor der Spiegelwand, beobachtet das Paar kritisch, aber sichtlich zufrieden. Dann spendet sie Beifall. Der Rest des Ballettensembles klatscht mit.
Anna Vita hat für ihre letzte Choreografie als Ballettdirektorin des Würzburger Mainfranken Theaters den Klassiker ausgesucht. Im Keller des ehemaligen Würzburger Mozart-Gymnasiums, der zum Probensaal für die Ballettcompagnie hergerichtet wurde, ist die erste Durchlaufprobe zu Ende gegangen. Zum ersten Mal konnte Anna Vita ihre Choreografie im Zusammenhang betrachten. Zuvor war wochenlang Bewegung für Bewegung, Szene für Szene eingeübt worden. Jetzt sitzen die Puzzleteile an ihrem Platz.
Sehen, ob die Geschichte funktioniert
„Das ist auch für mich ein spannender Moment“, sagt Vita. Denn erst da zeige sich, ob man die Geschichte, die sie erzählen will, verstehen könne. Geschichten erzählen: Es ist das, was Anna Vita am Herzen liegt – und womit sie seit 2004 in Würzburg Erfolg hat. Vita-Ballette waren fast immer Publikumshits – vom Crossover-Projekt „Schneewittchen breaking out“über „Die Päpstin“ bis zum Krimi-Kammerballett „Die Rattenfalle“, von „Nussknacker“ bis zu „Romeo und Julia“. Mit „Der Steppenwolf“ hatte sie auch als Opernregisseurin Erfolg.
Sie gestikuliert, korrigiert, führt Tanzschritte und Bewegungsabläufe vor: Anna Vita ist in ihrem Element. Nach der Durchlaufprobe arbeitet sie mit einzelnen Tänzerinnen und Tänzern oder kleinen Gruppen noch Details aus. Um die böse Stiefmutter zu charakterisieren, hat sie sich ein besonderes Merkmal ausgedacht: Kaori Morito tanzt mit einem Gehstock. Klopft damit herrisch auf den Boden. Umschlingt damit ihre Töchter und Cinderella, lässt ihn durch die Luft sausen. Auch mit ihr geht Anna Vita noch einmal Feinheiten durch.
Parodie und Magie haben gleichermaßen ihren Platz
Mit dem Stock zu tanzen, sei zunächst gar nicht so leicht für sie gewesen, sagt Kaori Morito. Und: „Nein, so etwas habe ich bislang noch nicht gemacht.“ Sie spricht englisch, wie das bei allen Proben üblich ist, die Tänzerinnen und Tänzer kommen aus vieler Herren Länder.
Anna Vita erzählt „Cinderella“ – man kennt den Stoff als „Aschenputtel“ aus Grimms Märchenbuch – auf ihre eigene Weise. Bei ihr sucht der Prinz mithilfe eines Internet-Dating-Portals eine Partnerin. „Es ist auch als Parodie auf moderne Partnersuche gedacht“, sagt die 53-Jährige. Schon die Probe in der kahlen Turnhalle, die ohne Kostüme und Bühnenbild abläuft, zeigt witzige Details in der Choreografie. Der Zauber des Märchens kommt trotzdem nicht zu kurz. Dafür sorgt schon die Musik: „Prokofjews Musik ist sehr bildhaft. Man hört, was er gewollt hat.“
Tanz ist Emotion und Hochleistungssport
Am Ende der dreistündigen Probe wirken die Tänzerinnen und Tänzer noch immer bemerkenswert konzentriert und körperlich fit – obwohl sie schon vormittags vier Stunden gearbeitet haben. Tänzeralltag. „Tanz ist Emotion“, betont Anna Vita gerne. Aber Tanz ist auch Hochleistungssport.
„Die Lieblingsprojekte in meiner Würzburger Zeit waren ,Medea‘ und ,Das Bildnis des Dorian Gray‘, überlegt Anna Vita. Hier konnte sie die Musik für den Stoff – und das, was sie damit sagen wollte – gezielt aussuchen. „Britten und Elgar haben für ,Dorian Gray‘ super gepasst.“ Für „Medea“ wählte sie Schostakowitsch und Barber.
Zum Abschied mit „Cinderella“ ein Klassiker
Zum Abschied hat sie sich aber einen Ballett-Klassiker vorgenommen. „,Cinderella‘ wollte ich machen, solange ich noch eine eigene Compagnie habe“, sagt sie. Die hat sie zunächst nicht mehr. Anna Vita wird Gastspiel-Produktionen an anderen Häusern übernehmen. Doch sie hofft wieder auf ein festes Engagement. Nur dann könne sie, wie in Würzburg, eine Compagnie kontinuierlich aufbauen – was den Aufführungen und damit letztlich dem Publikum zugute kommt.
Nach der Durchlaufprobe folgt der nächste spannende Moment: Die erste Probe mit dem Philharmonischen Orchester unter Kapellmeisterin Marie Jacquot. In der Turnhalle lief eine CD. Dann kommen Kostüme (Veronika Silva-Klug) und Bühnenbild (Anika Wieners) hinzu. Und jedes Mal muss an Feinheiten gefeilt werden. Damit „Cinderella“ bei der Premiere am Samstag die volle Wirkung entfalten kann.
„Cinderella“ steht zwischen 28. April und 14. Juli auf dem Spielplan des Würzburger Mainfranken Theaters. Am 7. Juni gibt es zum Abschied von Anna Vita einen Galaabend. Vorverkauf: Tel. (09 31) 39 08-124.