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WÜRZBURG
Mainfranken Theater: Der innere Kampf gegen den Steppenwolf
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 03.12.2019 08:58 Uhr

Der Vorhang fällt. Stille. Wie wird das Publikum reagieren? Wie wird es moderne Musik aufnehmen und eine Oper nach einem Buch, das jeder zu kennen glaubt? Eine gefühlte Ewigkeit vergeht, bis die ersten Zuschauer zaghaft klatschen. Dann bricht der Jubel los im fast ausverkauften Großen Haus des Würzburger Mainfranken Theaters. Er währt mehr als zehn Minuten und schließt alle Beteiligten an der Uraufführung des „Steppenwolf“ ein.

Der Schluss der Oper stellt das Publikum zunächst ruhig, weil er so effektvoll ist. Aber ganz ohne vordergründigen Effekt auskommt: Ein nachdenklicher Harry Haller sieht nahezu optimistisch in die Zukunft, glaubt, das Spiel des Lebens nun erneut – und besser! – spielen zu können. Die Musik dazu ist zurückhaltend.

Ganz anders sind die zweienhalb Stunden zuvor. Regisseurin Anna Vita und Ausstatterin Verena Hemmerlein stellen Harry Hallers seelischen Ringkampf mit dem Steppenwolf in sich, mit der Welt und dem Leben in spektakulären, oft surrealen Bildern dar. Vita, Ballettdirektorin des Hauses, choreografiert bei ihrem Regiedebüt nahezu ein Ballett der Dinge. Innenwände schieben sich aus dem Hintergrund um Harry Haller, eine bürgerliche Häuserfassade schwebt aus dem Bühnenhimmel, links vorne scheint eine Pflanze ihren eigenen Tanz aufzuführen.

Drehbühne und Hubpodien sind häufig im Einsatz. Vorhänge und Stoffbahnen eröffnen, je nach Beleuchtung, überraschende Einblicke und legen Seelenzustände frei. Da tanzt und feiert im Hintergrund die Gesellschaft – und Harry Haller ist im Vordergrund davon sichtbar ausgeschlossen.

Emotionen in Bewegung

Als versierte Choreografin kann Anna Vita natürlich mit Musik umgehen, kann Bewegungen punktgenau abstimmen, kann die Emotionen, die aus dem Orchestergraben wuchern, in Bewegung auf der Bühne umsetzen. Emotion: Das ist die Stärke der Gattung Oper. Im „Steppenwolf“ wird sie genutzt.

Librettist Rainer Lewandowski hätte es denn auch als schwieriger empfunden, ein Schauspiel aus dem Hermann-Hesse-Roman zu machen, in dem es vorwiegend um innere Vorgänge geht. Der Autor nutzt auch Gedichte, die Hesse im Vorfeld des Romans zum Thema veröffentlichte, für Arien. Das Libretto springt geschickt durch Szenen der Erzählung. Der Hesse-Fan erkennt genügend markante Zitate.

Und vor allem: Lewandowski („Heute weder Hamlet“) lässt die Hauptfigur von zwei Darstellern spielen. Eine ist der bürgerliche Harry Haller, der andere der Steppenwolf, der Haller bisweilen wie eine Marionette führt, ihm das Rasiermesser an die Kehle setzt. Die Verdopplung ermöglicht es, Monologe in Dialoge der gespalteten Persönlichkeit aufzulösen.

Was der Text allein nicht leisten kann, leistet die Musik von Viktor AAslund, einem bekennenden „Steppenwolf“-Fan („Habe ich mehr als einmal gelesen“). Der einstige Kapellmeister des Mainfranken Theaters malt farbenreich düstere Seelenzustände ebenso wie leichte Stimmungen (auch mithilfe einer Jazzcombo). Lyrik kennt diese schillernde Komposition ebenso wie schrille Effekte. Musicalelemente klingen durch, auch Anklänge an Filmmusik sind hörbar. Im heute üblichen Repertoire-Betrieb droht beinahe unterzugehen, wie gut Musik das Bühnengeschehen kommentieren und unterstützen kann. Weil die üblichen alten Opern eine alte Sprache sprechen, die uns heute nicht immer etwas sagt.

Cinemascope-Komposition

Der „Steppenwolf“ mit AAslunds moderner Tonsprache ist so auch ein Plädoyer für mehr Uraufführungen, für mehr modernes Musiktheater. Dirigent Sebastian Beckedorf und das groß besetzte Philharmonische Orchester bringen die Cinemascope–Komposition des Schweden facettenreich zur Geltung.

Den Darstellern verlangt die Oper, in der viel gesprochen wird, nicht nur sängerisch, sondern auch schauspielerisch einiges ab. Das haben alle drauf, opernhaft-holzschnittartiges Agieren ist die Ausnahme. Daniel Fiolka und Bryan Boyce fesseln als Harry Haller und Steppenwolf mit ihrem teils gnadenlosen, teils ironischen Wechselspiel.

Silke Evers verleiht Hermine, die Harry Haller auf den Weg ins Leben führt, von Anfang an eine geheimnisvolle Aura. Barbara Schöller erscheint koboldhaft als Goethe und Mozart, Polina Artsis ist Maria, Freundin von Hermine und Haller. Pablo ist mit dem vor allem im Musical erfahrenen Rupert Markthaler besetzt. Sein Part ist entsprechend komponiert. Das passt als Kontrast zur „seriösen“ Oper. Steht er doch für die – aus Harry Hallers Sicht – unseriöse Halbwelt. Pablo ist es denn auch, der Harry Haller per Drogenrausch ins „magische Theater“ versetzt.

 

Mit Chorszenen (Einstudierung Michael Clark) und Ballett ist der „Steppenwolf“ eine große Oper – und in dieser Umsetzung für Würzburg eine großartige Sache. Ex-Intendant Hermann Schneider – der schon in Linz ist – hat damit noch einen echten Coup gelandet.

Nächste Vorstellungen: 11., 21. 31. Mai. Vorverkauf: Tel. (09 31) 39 08-124

 
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