- Was ist das für ein Stück? "So nah und doch so fern" ist ein Tanzstück von Dominique Dumais, der Ballettdirektorin des Mainfranken Theaters. Dumais hat eine eigene Bewegungssprache entwickelt, die eher dem modernen Tanz als dem Ballett verpflichtet ist. Dazu kommen Elemente des Swing und des Slapstick.
- Worum geht es? Das Stück nimmt direkten Bezug zu den Abstandsregeln, denen wir derzeit alle unterworfen sind. Es geht um Vereinsamung, um Sehnsucht, um die Angst vor Berührung und den Verlust selbstverständlicher Nähe.
- Was ist das Besondere daran? Durch den Einsatz verschiebbarer, durchsichtiger Wände können die Tänzerinnen und Tänzer einander optisch näherkommen, bleiben aber doch rigoros getrennt. "So nah und doch so fern" eben. Außerem: Es gibt einiges zu lachen.
Vor Beginn sieht die Bühne aus wie eine Gedenkstätte: Ein leerer schwarzer Raum, der Boden bedeckt mit warmen Lichtern. Als sollte uns bewusst gemacht werden, dass wir alle gemeinsam etwas verloren haben. Vielleicht die Selbstverständlichkeit von Nähe, vielleicht das Vertrauen in unsere Bedürfnisse, vielleicht die Hoffnung auf Besserung.
Dass "So nah und doch so fern", das Tanzstück über die Pandemie, das schon vor Monaten herauskommen sollte, nun endlich in der Blauen Halle Premiere feiern konnte, kann indes getrost als Zeichen der Hoffnung gewertet werden. Die Gäste wiesen bereitwillig Testergebnisse oder Impfpässe vor, die vorsichtige Freude über den Neubeginn kulturellen Lebens war deutlich spürbar.
Die Figuren stieben auseinander wie gleichgepolte Magneten
Es beginnt mit einem Zerfall, einer Zerfaserung. Die elfköpfige Compagnie funktioniert anfangs wie eine Art Organismus. Wie ein Korallenriff in wechselnden Strömungen oder ein Weizenfeld im Wind. Doch diese Einheit löst sich alsbald auf und wird auch nicht mehr entstehen. Immer wieder verdichtet sich das Stück zu Episoden, zu Soli oder brüchigen Konstellationen, dazwischen herrscht eine Art Findungsverwirrung. Es gibt kaum mehr Beziehungen, und da wo sie entstehen könnten, stieben die Figuren immer wieder auseinander wie gleichgepolte Magneten.
Dominique Dumais setzt nicht auf große Bilder, sondern auf Individuen. Zusammen mit Dejana Radosavljevic (Bühnen- und Kostümbild) und Mariella von Vequel-Westernach (Licht) schafft sie Räume, die sich die Tänzerinnen und Tänzer zu Musik von Bach bis Arvo Pärt oder Meredith Monk immer wieder neu selbst gestalten, aber auch immer wieder neu erobern müssen. Zwei verschiebbare rechte Winkel aus Plexiglas werden dabei zur Klammer, zum Korridor oder zum Käfig.
Interessanterweise verzichtet Dumais auf viele Ideen, die sich mit diesem Werkzeug förmlich aufdrängen würden. Oder besser: streift sie immer nur kurz. Etwa die Möglichkeit, die Scheiben als Spiegel zu nutzen. Auch der Moment, indem die Wände ein großes X bilden und vier Tänzerinnen und Tänzer, eine oder einer in jedem Winkel, sich plötzlich ganz nah kommen, ist ausgesprochen kurz, der starke optische Eindruck flüchtig.
Aus Gemeinschaft wird Zweisamkeit – das kann Innigkeit bedeuten aber auch Isolation
Stattdessen sind es eher die Episoden, die bannen: Das akrobatische Solo von Neuzugang Yester Mulens García. Die skurrile Aufziehpuppen-Einlage mit Tisch der bekanntermaßen komödiantisch begabten Debora Di Biagi. Oder die hinreißende Slapsticknummer von Tyrel Larson und seinem Minisofa: Das Sofa als Symbol des Lockdowns, Larson findet darauf einfach keine Ruhe, quetscht sich zurecht, gleitet herunter, fällt darüber und damit um.
Das Schlussduett dürfen die WG-Genossen Alba Valenciano López und Marcel Casablanca ganz legal ohne Abstand tanzen. Das letzte Bild: die beiden eng umschlungen, gefangen (oder eben geschützt) im Glaskubus. Aus Gemeinschaft ist Zweisamkeit geworden. Hier kann es Innigkeit bedeuten aber auch Isolation. Ob die beiden die Wahl haben, bleibt offen.
Mainfranken Theater in der Theaterfabrik Blaue Halle: "So nah und doch so fern", Tanzstück von Dominique Dumais. 65 Minuten ohne Pause. Weitere Vorstellungen 30. Mai, 5., 6., 19., 26. Juni, 1. Juli, wechselnde Anfangszeiten.
Karten: im Webshop unter www.mainfrankentheater.de, per E-Mail karten@mainfrankentheater.de und Tel. (0931) 3908-124. Bei einer Inzidenz in der Stadt Würzburg zwischen 50 und 100, benötigen Gäste einen bescheinigten Corona-Schnelltest (nicht älter als 24 Stunden) oder PCR-Test (nicht älter als 48 Stunden). Eine Testmöglichkeit vor Ort gibt es nicht.