Italienische Operngalas ohne Tenor scheinen so etwas wie eine Würzburger Spezialität zu werden. Nach dem Rathauskonzert im Juli 2021 nun also das Konzert zum Jahreswechsel in der Blauen Halle mit dem Philharmonischen Orchester, dem Chor und Extrachor des Mainfranken Theaters, der Sopranistin Akiho Tsujii und dem Bariton Hinrich Horn.
Der Untertitel "Neujahr in Venedig" des mit Arien und Chören reichlich bestückten Konzerts, das am 1. und 2. Januar nochmal zu hören ist (eventuell Restkarten an der Abendkasse), erschließt sich zwar nicht unbedingt von selbst, schließlich spielt nur "Otello" in Venedig, die anderen Schauplätze der Ausschnitte aus Opern von Rossini, Donizetti, Bellini, Giordano, Puccini und natürlich Verdi sind die Schweiz, Schottland, Japan, Rom, Paris oder ein "Loch im Gebirge" (Dirigent und Moderator Enrico Calesso, dem partout das Wort "Höhle" nicht einfallen will).
Aber das macht nichts, an diesem langen, aber ausgesprochen gehaltvollen Abend stehen nicht die Mottos im Vordergrund. Der wie immer bestens vorbereitete Chor kann sich nach Herzenslust austoben, vom effektvollen "Zigeunerchor" aus dem "Troubadour" über das anrührende, leider sehr aktuelle Leid der schottischen Flüchtlinge aus "Macbeth" bis hin zum magischen "Summchor" aus "Madama Butterfly".
Tenor-Hits gibt's diesmal nur instrumental zu hören
Und dann sind doch noch ein paar Tenor-Hits wie "Nessun dorma" und "E lucevan le stelle" zu genießen: im Konzert für Klarinettenquartett und Orchester über Themen von Puccini von Yannik Helm, uraufgeführt an diesem Abend vom fabelhaften ensemble clarezza mit Claudia Mendel, Christoph Müller, Martin Möhler und Julia Müller-Bohn. Ein süffiger, unterhaltsamer Zusammenschnitt schöner Stellen im Schnelldurchlauf.
Das leichte instrumentale Intermezzo bildet ein gutes Gegengewicht zur Schwere der meisten Arien, etwa Wilhelm Tells inständige Bitte an den Sohn stillzuhalten ("Resta immobile"). Sie wissen schon: Pfeil und Apfel... Oder der Appell des sterbenden Rodrigo an Don Carlo. Oder das Entsetzen des Gérard in "Andrea Chénier" über die mörderischen Auswüchse der französischen Revolution.
Hinrich Horn verkörpert seine Rollen mit trotziger Grandezza oder abgrundtiefer Verzweiflung
All das sind typische Arien für den Bariton, der in der italienischen Oper bekanntlich für die dunkleren Figuren zuständig ist. Hinrich Horn verkörpert sie – je nach Rolle – mit trotziger Grandezza oder abgrundtiefer Verzweiflung. Vor allem aber mit schlackenfreier, klarer, tragender und nuancenreicher Stimme. Und weckt damit Vorfreude auf seine nächste große Partie.
Doch der Star dieses Abends ist ohne Zweifel Akiho Tsujii, die einmal mehr alle bezaubert. Und völlig verdient den mit 3000 Euro dotierten Theaterpreis 2022 erhält, den der Theater- und Orchesterförderverein jährlich vergibt, so keine Pandemie dies verhindert. Ihre Arien sind jede für sich genommen ein Ereignis.
Laudator Ulrich Konrad, stellvertretender Vereinsvorsitzender und Ordinarius am Institut für Musikforschung der Uni Würzburg, würdigt die aus Osaka, Japan, stammende Künstlerin gewohnt hintergründig und pointiert. Lobt die Leichtigkeit, mit der sie "in der Stratosphäre der Stimme" singe, betont aber auch, dass dies nur ein Element ihrer Fähigkeiten sei: "Wir ehren ja schließlich keine gut geölte Zwitschermaschine." Akiho Tsujii gehe in Rollen wie der Gilda in "Rigoletto", der Pamina in der "Zauberflöte" oder der Olympia in "Hoffmanns Erzählungen" immer wieder an die Grenze des physisch Machbaren und lote "ohne Netz und doppelten Boden" seelische Abgründe aus.
Die Geehrte bedankt sich mit einer herzlichen Würdigung ihrer Kolleginnen und Kollegen und beschenkt das Publikum sogleich mit einer weiteren Kostprobe ihrer Kunst: "Sempre libera" aus der "Traviata", ein emotionales wie stimmliches Wechselbad von höchsten Anforderungen - makellos, intensiv, authentisch, einzigartig schön dargeboten. Wer so eine Violetta im Ensemble hat, sollte die nächste "Traviata"-Produktion eigentlich schon in der Schublade haben.