
Als Mozarts neues Streichquartett in C-Dur 1785 auf den Markt kam, dachten die Menschen, dass beim Druck der Noten etwas schiefgegangen sein musste. Kunden in Italien schickten prompt die Partituren zurück – wegen offensichtlicher Fehlerhaftigkeit. Andere waren, nachdem man ihnen erklärt hatte, dass das Stück genau so gedacht sei, so entsetzt, dass sie sich nicht anders zu helfen wussten, als die Noten zu zerreißen.
Was war geschehen? Das Quartett in C-Dur trägt heute die Verzeichniszahl KV 465 und den Beinamen "Dissonanzen-Quartett". Weil es, selbst für heutige Ohren, ziemlich schräg beginnt. Das Cello spielt den Ton C. Soweit, so gut. Doch dann stimmt die Bratsche mit einem As ein, das in C-Dur nichts zu suchen hat. Und dann kommt auch noch die zweite Geige mit einem Es, wenig später die erste Geige mit einem A, das sich wiederum mit dem G reibt, das die Bratsche inzwischen spielt. Das klingt durch und durch falsch.
In der Musiktheorie heißt das "Querstand". Jeder Tonsatz-Professor würde es sofort rot anstreichen. Auch Prof. Ulrich Konrad, Ordinarius am Institut für Musikforschung der Universität Würzburg und ausgewiesener Mozart-Kenner. Und doch gilt das "Dissonanzen-Quartett" heute als eines der faszinierendsten Meisterwerke Mozarts überhaupt. Wie kann das sein?
Das Motto des Mozartfests 2022 lautet "Alles in einem: Freigeist Mozart". Beim ersten Vortragstermin der "Allzeit..."-Reihe in der Vinothek des Staatlichen Hofkellers nach zweijähriger Zwangspause ging Konrad genau dieser Frage nach: War Wolfgang Amadé Mozart tatsächlich ein Freigeist? Also ein Mensch, der sich an keinerlei Regeln, Normen oder Gesetze gebunden fühlte?

Vieles in seiner Biografie deutet auf eine große geistige Unabhängigkeit hin: So versuchte Mozart, sich aus dem absolutistischen höfischen System zu lösen, das damals über jegliche Kunst bestimmte, und seine Musik einer anderen Instanz zu unterstellen: dem Markt, den es so eigentlich noch gar nicht gab. "Das ist weit überwiegend geglückt. Der Preis dafür war allerdings sehr hoch und mit enormen Zwängen verbunden", sagt Ulrich Konrad.
Vor drei Jahren sollte das Motto für 2022 noch "Querdenker Mozart" lauten
Bei den Planungen dieser Mozartfest-Saison vor drei Jahren sollte das Motto übrigens noch "Querdenker Mozart" lauten, sagte Intendantin Evelyn Meining zu Beginn des Abends. "Eigentlich ein gutes Wort", so Meining, "aber inzwischen ist es verbrannt." Ulrich Konrad ergänzte: "Das Wort ist in die falschen Köpfe geraten, und in diesen Köpfen war offensichtlich sehr viel Platz..."
Immerhin: Das Phänomen habe gezeigt, dass wir heute zu wenig über den Begriff der Freiheit nachdenken. Konrad: "Freiheit ist nicht: Tun und lassen, was man will." Eine Fülle von Einschränkungen regle das menschliche Miteinander, auch und gerade, um jedem Individuum so viel Freiheit wie möglich zu gewähren, ohne die Freiheit des anderen zu gefährden. Das gelte auch für die Kunst: "Keine Kunst kann frei sein von einem Bezugssystem."

Was bedeutet das für Mozart? Sind das "Dissonanzen-Quartett" oder der "Musikalische Spaß", der in völliger Kakophonie endet, Plädoyers gegen Regeln? Konrad zieht die Stücke als Anschauungsmaterial, oder besser: Anhörungsmaterial heran. Und kommt schnell zu dem Schluss: Mozart ignoriert nicht die Kompositionsregeln seiner Zeit, die damals allen Hörerinnen und Hörern vertraut waren. Sondern er spielt mit ihnen. Weil er es konnte. Weil er die Regeln im wahrsten Sinne beherrschte: "Alle Komponisten von Rang waren zuallererst hochbegabte Kenner eines Systems", sagt der Musikforscher. "Wenn Wagner oder Schönberg so tun, als hätten sie es nie gelernt, dann flunkern sie. Das ist einfach Unfug."
Das "Dissonanzen-Quartett" endet ganz vorschriftsmäßig in reinstem C-Dur
Konrad vergleicht das Komponieren mit einem Fußballspiel: Der Platz, seine Größe und Gliederung, die Spielregeln sind klar definiert. Und doch gleicht kein Fußballspiel dem anderen. Jedes Spiel ist vollkommen unvorhersehbar.

Wolfgang Amadé Mozart ist in Ulrich Konrads Bezugssystem ein freier Geist. Aber kein Freigeist. Don Giovanni hingegen ist ein Freigeist reinsten Wassers. Die Opernfigur in einem der "Menschenversuche" (Konrad), die Mozart mit seinem Librettisten Lorenzo da Ponte anstellte, schert sich um keinerlei Gesetz und wird dafür zum Schluss direkt in die Hölle geschickt – für Konrad ein klares Statement Mozarts und da Pontes gegen völlige Anarchie.
Das "Dissonanzen-Quartett" endet übrigens ganz vorschriftsmäßig in reinstem C-Dur. Der Komponist hatte seinen Spaß. Ein letztes Mal Ulrich Konrad: "Mozart denkt mit kühlem Kopf: Wie kann ich den Eindruck erwecken, alle Regeln werden gebrochen?"
Mozartfest-Karten: Es wird gebeten, das Mozartfest-Kartenbüro möglichst telefonisch zu kontaktieren: (0931) 372336. Die Karten kosten zwischen 5 und 205 Euro. Schüler und Studierende: 50 Prozent Ermäßigung auf reguläre Karten und Last-Minute-Tickets für 12 Euro. Weitere Infos unter www.mozartfest.de