zurück
Würzburg
Erschreckend aktuelles Anne-Frank-Stück: Das Mainfranken Theater zeigt die Sinnlosigkeit von Hass und Krieg
Auch ohne Ukraine-Krieg wäre das Theaterprojekt – leider – zeitlos relevant. Aber die Bilder und Nachrichten aus Butscha oder Mariupol machen es beklemmend aktuell.
'Lasst mich ich selbst sein, dann bin ich zufrieden!' Anouk Elias spielt am DenkOrt Deportationen die Anne Frank.
Foto: Nik Schölzel | "Lasst mich ich selbst sein, dann bin ich zufrieden!" Anouk Elias spielt am DenkOrt Deportationen die Anne Frank.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:24 Uhr
  • Was ist das für ein Stück? Das Stück ist zweiteilig: Es besteht aus einem kurzen, geführten Spaziergang vom Theater zum Bahnhof, vorbei an Orten, die mit den Deportationen der Juden im Nationalsozialismus zu tun haben. Am DenkOrt Deportationen spielt Anouk Elias dann einen einstündigen Monolog aus dem Tagebuch der Anne Frank.
  • Wie ist das Thema aufbereitet? Auf der Basis der Recherchen des Arbeitskreises Stolpersteine und des Johanna-Stahl-Zentrums für jüdische Geschichte in Unterfranken wird in kurzen Audiobeiträgen an exemplarische Schicksale erinnert. Das schauspielerisch umgesetzte Tagebuch ist die logische Fortsetzung und Ergänzung.
  • Lohnt der Besuch? Unbedingt. Das "Projekt im städtischen Raum" des Mainfranken Theaters ist nicht nur vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs erschreckend aktuell. Neben der wichtigen Erinnerung an Menschen, die ohne jeden Grund aus dem Leben gerissen wurden, wird vor allem eines unmittelbar erfahrbar: die Sinnlosigkeit von Hass und Krieg.

Noch vor wenigen Wochen wäre dies ein Stück gewesen, das zwar durch den wieder aufflammenden Judenhass in vielen Ländern und Kriege an vielen Stellen der Welt Anspruch auf Aktualität hätte erheben können. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs bekommt "Das Tagebuch der Anne Frank", ein Projekt im städtischen Raum des Mainfranken Theaters, konzipiert von Oliver Meyer und Philine Bamberger, aber eine zutiefst verstörende Relevanz: Knapp 80 Jahre nach der – vorerst – größten Menschheitskatastrophe scheint es, als wären wir keinen Schritt weitergekommen.

Es beginnt mit einem kurzen Spaziergang. Audiobeiträge, zu hören über kleine Empfangsgeräte, die jeder Besucher und jede Besucherin erhält, erinnern an deportierte und ermordete Jüdinnen und Juden aus Unterfranken. Überlebende berichten von den Gräueln der Transporte und im Konzentrationslager.

Assoziationen zu den Bildern und Nachrichten aus der Ukraine drängen sich unausweichlich auf

Die Beiträge, gelesen von Schauspielerinnen und Schauspielern des Ensembles, werden an Stellen abgespielt, an denen einst ganz andere Gebäude standen. Die Schrannenhalle am heutigen Karl-Faulhaber-Platz etwa. Unter anderem hier wurden die Menschen eingesperrt, bevor sie Richtung Bahnhof in die Deportation getrieben wurden. Es sind Gebäude, die in einem Krieg zerbombt wurden, den ein zutiefst menschenverachtender und gnadenlos effektiver Staat vom Zaun gebrochen hatte. Assoziationen zu den Bildern und Nachrichten aus der Ukraine drängen sich, jenseits aller historischer Einordnungsversuche, unausweichlich auf.

Stolperstein für Hermann Weissbart, ermordet 1942 in Izbica.
Foto: Mathias Wiedemann | Stolperstein für Hermann Weissbart, ermordet 1942 in Izbica.

Angekommen am DenkOrt Deportationen am Hauptbahnhof, begegnet den Besucherinnen und Besuchern (30 pro Vorstellung sind vorgesehen) plötzlich diese vitale, fantasievolle, witzige, warmherzige junge Frau. Anne Frank, dargestellt von der fabelhaften Anouk Elias (Regie: Toomas Täht). Ein zappeliger Backfisch voll überschüssiger Energie, der in Ermangelung einer echten besten Freundin dem Tagebuch alles anvertraut, was ihn bewegt.

Anouk Elias flitzt an den steinernen, hölzernen, metallenen Bündeln, Koffern und Rucksäcken des DenkOrts vorbei, klettert darin herum, richtet sich hier und dort kleine Lager ein. Es ist ein ständiger Wechsel zwischen Unbehaustheit und flüchtiger Sesshaftigkeit, der frappierend schlüssig das Wechselbad der Gefühle widerspiegelt, dem Anne Frank ausgesetzt ist.

Hier steigt Anne Frank ganz buchstäblich von allen Podesten herab

Frappierend auch, wie selbstverständlich, ja selbstvergessen Anouk Elias dieses Mädchen zum Leben erweckt, das so schnell "vernünftig" werden muss. Es hat – im Wissen um Anne Franks Ermordung im KZ Bergen-Belsen – etwas unendlich Trauriges und zugleich zutiefst Tröstliches, auf dieser ungewöhnlichen Bühne die Lebensfreude, den Mut, die Hoffnungen, die Träume, die Verliebtheit aber auch die Ängste, die Wut und die Schuldgefühle dieses außergewöhnlichen jungen Menschen zu erleben.

Sollte Anne Frank je in der Gefahr gewesen sein, zu einer Art Gedenk-Ikone zu versteinern, hier steigt sie – ganz buchstäblich – von allen Podesten herab. Und wird so zur Vertreterin einer nahbaren, fehlbaren, liebenswerten Menschlichkeit. "Ich will nicht umsonst gelebt haben. Ich will fortleben, auch nach meinem Tod", schreibt sie in ihr Tagebuch. Das jedenfalls hat sie erreicht.

Mainfranken Theater Würzburg: "Das Tagebuch der Anne Frank", Projekt im städtischen Raum. Die weiteren Termine: 14., 19., 22., 27., 28. April; 4., 6., 8., 19., 24., 28. Mai. 20 Uhr (am 8. Mai 18 Uhr) Treffpunkt Theatervorplatz. Karten: www.mainfrankentheater.de, Tel. (0931) 3908-124, karten@mainfrankentheater.de

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Würzburg
Mathias Wiedemann
Anne Frank
Antisemitismus
Hass
Konzentrationslager
Mainfranken Theater
Mainfranken Theater Würzburg
Nachrichten
Theaterprojekte
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen