Am 25. April ist Gertrud „Trudi“ Tast aus Gerbrunn 79 Jahre alt geworden. Es war ein ruhiger, kein außergewöhnlicher Geburtstag – ganz im Gegensatz zu ihrem vierten im Jahr 1942. An diesen Tag erinnert sich die Seniorin bis heute. Aus einem betrüblichen Grund: Ohne dass ihr dies damals bewusst war, hat sie als Kleinkind die Deportation der Würzburger Juden in die Vernichtungslager miterlebt.
Eine große schweigende Menschenkolonne
Damals wohnte Trudi Tast mit Mutter Theresia Brückner und ihrem sechsjährigen Bruder Sepp auf der Sieboldshöhe. Vater Philipp war im Kriegseinsatz beim deutschen Afrika-Korps. Am Vormittag des 25. April 1942 war man unterwegs zum Würzburger Ratskeller zum versprochenen Geburtstagsessen. Tast erinnert sich: Der Weg führte am Südbahnhof vorbei und dem damaligen „Bayerischen Schokoladenhaus“ zum Ringpark. Und dort kam ihnen eine große seltsame Menschenkolonne schweigend entgegen. 852 Juden aus Mainfranken wurden an diesem Tag in ein NS-Ghetto im besetzten Polen deportiert.
„Verwahrlost oder heruntergekommen“
In ihrer kindlichen Erinnerung kamen ihr diese Leute „irgendwie verwahrlost oder heruntergekommen“ vor. Es waren Männer, Frauen, Kinder aller Altersgruppen. Sie waren mit Rucksäcken bepackt und Umhängetaschen, trugen Koffer. Frauen schoben Kinderwägen. Diese Menschen liefen zu dritt oder zu viert nebeneinander und wurden von Soldaten und Polizisten gewehrbewaffnet bewacht.
„Ich will auch so einen schönen Stern haben!“
Plötzlich löst sich Bruder Sepp von der Hand seiner Mutter und läuft auf die Gruppe zu. Er deutet einer Frau auf die linke Brustseite, wo der Davidstern war, und sagt in kindlicher Einfalt zu ihr: „Ich will auch so einen schönen Stern haben!“ Die Frau beugt sich zu ihm herab, streichelt seinen Kopf im Gehen und sagt zu ihm: „Ach du dummer Bub, sei froh, dass du nicht so einen Stern hast“ – und läuft dann mit ihren todgeweihten Glaubensbrüdern weiter. So erinnert sich Frau Tast noch heute. Die damalige Kinderfrage, was das für Leute seien, blieb unbeantwortet.
Ab August 1941 mussten alle jüdischen Mitbürger im Großdeutschen Reich den Davidstern als Erkennungsmerkmal tragen. Hitler hatte die letzten Skrupel verloren. Es ging um die „Endlösung der Judenfrage“.
Im Ratskeller gab es Spiegeleier
Mutter und Kinder liefen danach weiter Richtung Stadtmitte. „Im Ratskeller gab es dann Spiegeleier, Kartoffeln und Spinat“, weiß die 79-Jährige heute noch. 1943 kam der Vater schwer verwundet vom Afrika-Feldzug zurück und in die Missionsklinik. Mit einem steifen Bein jetzt kriegsdienstuntauglich, war er bis 1944 noch Wehrmachtsangehöriger. Als die Amerikaner ins total zerstörte Würzburg kamen, waren alle froh, dass die Kriegsschrecken ein Ende hatten.
Von den 2043 jüdischen Mitbürgern, die bei den verschiedenen Deportationen aus Würzburg von den Nazis in die Züge getrieben und Richtung Osten transportiert wurden, überlebten nur 60 den Holocaust in den verschiedenen Konzentrationslagern.
Nachkriegssorgen
1945-1947 bekam Mutter Brückner noch drei Kinder. Ein weiteres Brüderchen verstarb aber nach vier Monaten. Plötzlicher Kindstod. Die Nachkriegssorgen der Familie mit dem kriegsversehrten Vater waren fünf Kinder großzuziehen und beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg mitzuhelfen. Vater Brückner wurde Amtsbote beim Versorgungsamt in der Würzburger Zellerau. Von der Sieboldshöhe radelte er da täglich mit einem Bein strampelnd zu Arbeit. Gertrud Tast kam als 16-Jährige zum Kaufhof in Würzburg und war dort 46 Jahre lang tätig.
Die letzten Jahre als Restaurant-Chef-Assistenz, wo sie bei Gästen und Vorgesetzten durch ihre offene, freundliche und hilfsbereite Art sehr beliebt war. Dort schaut sie noch öfters vorbei und wurde vom jetzigen Restaurantchef kürzlich zu einem Geburtstagskaffee eingeladen.
Gedenken an Juden-Deportationen
Würzburg gedachte der Juden-Deportationen am 10. Mai 2011 mit einem bewegenden Erinnerungsweg vom Deportationsdenkmal (Friedrich-Ebert-Ring) zum ehemaligen Aumühl-Ladebahnhof. 3000 Menschen nahmen daran teil und trugen 852 Namenstafeln der deportierten Juden, die ins damalige Durchgangs-Ghetto Izbica im besetzten Polen gebracht wurden. Frau Tast war bei dem Marsch dabei und trug das Namensschild eines der jüdischen Holocaust-Opfer – das Schild Nr. 167 für die 1885 geborenen Anna Liebmann aus Bad Kissingen, die mit ihrem Mann Daniel, einem Kaufmann, gleich im Ghetto Izbica ermordet wurde.