Neubeginn nach schwieriger Zeit und Neubeginn in schwieriger Zeit: Beim Eröffnungskonzert des Mozartfests in der Würzburger Residenz mischte sich die Erleichterung über den Wegfall der Corona-Auflagen, also über den Wiedergewinn der Freiheit, mit der Sorge um die Freiheit eines ganzen Kontinents. "Die Freiheit Europas ist einer Bedrohung ausgesetzt, wie das lange nicht für möglich gehalten wurde", sagte Oberbürgermeister Christian Schuchardt in seiner Begrüßungsrede im endlich wieder vollbesetzten Kaisersaal.
Diese Bedrohung rufe dazu auf, sich mit dem Freiheitsbegriff neu auseinanderzusetzen. "Die wahre Freiheit ist nichts anderes als Gerechtigkeit", zitierte Schuchardt den Dichter Johann Gottfried Seume (1763-1810), einen Zeitgenossen Mozarts also. "Es braucht freie Geister, um die gesellschaftliche Entwicklung voranzutreiben", so der Oberbürgermeister.
Da passt es gut, dass das diesjährige Festival den Titel "Freigeist Mozart" trägt. Das Motto sei bereits vor drei Jahren festgelegt worden, sagte Intendantin Evelyn Meining. Damals habe niemand ahnen könnten, welche Aktualität es erlangen würde. Meining erinnerte an das erste Mozartfest nach Ende es Zweiten Weltkriegs 1951 – "in einer Stadt, die kaum mehr lebensfähig war" – und schlug den Bogen zu den Bildern aus der Ukraine, "deren Grausamkeiten sich kaum aushalten lassen".
Das Mozartfest wagt Kontraste, Brüche, Perspektivwechsel
Während Regierungspräsident Eugen Ehmann in seinem kurzen Grußwort die Musik als Möglichkeit der Zerstreuung und Entspannung lobte, um danach quasi gestärkt in die reale Welt zurückzukehren, versteht sich das Mozartfest seit einigen Jahren als gesellschaftliche Diskursplattform. Mit der Komponistin Isabel Mundry, die heuer als Artiste Étoile eigens Werke schreibt und darüber hinaus einige Programme zusammengestellt und die dazu passenden Ensembles eingeladen hat, wagt das Festival Kontraste, Brüche und Perspektivwechsel.
Einen ersten Eindruck, wie groß diese Kontraste sein werden, lieferte ihr Stück "Traces des moments" (Spuren der Augenblicke) für Klarinette (Karl Rauer), Akkordeon (Teodoro Anzelotti), Violine (Theresa Jensen), Viola (Sarah Luisa Zrenner) und Violoncello (Ulrich Witteler). Isabel Mundry schickt Töne in den Raum, konfrontiert sie mit anderen Tönen, schichtet Klänge ineinander, verdichtet sie, entwirrt sie wieder, befragt sie, verwandelt sie.
Das muss man als Hörer erstmal aushalten
Das klingt dissonant, scharf, nicht selten schroff, das muss man als Hörer erstmal aushalten. Und doch: Die nahezu körperliche Erfahrbarkeit dessen, was Klang bewirken, wie Töne einen Raum verändern können, ist faszinierend. Isabel Mundrys Werke sind akribisch durchdacht und haben dennoch eine magnetisch-sinnliche Ausstrahlung. Auf die muss man sich freilich einlassen wollen und können, und an diesem Abend, zwischen Werken von Mozart und Haydn, schien das manchen Gästen ein wenig schwerzufallen. Möglicherweise mischte sich danach in den Jubel der Begeisterten auch ein wenig der Applaus der Erleichterten.
Den vermeintlich konventionellen Teil bestritten die Bamberger Symphoniker unter der Leitung des Engländers Andrew Manze, Jahrgang 1965. Sein Dirigierstil wirkt höchst unkonventionell, er benutzt keinen Taktstock, sondern setzt beide Hände, Arme und den ganzen Köper ein, um die Musik, die er hören will, regelrecht herauszumeißeln. Die Bamberger haben schon öfter mit ihm zusammengearbeitet und folgen seinem Schwung mit Süffigkeit und Präzision.
Manze hat seine Karriere als Barockgeiger begonnen und ist heute auch und gerade als Dirigent der ganz großen Sinfonik von Mahler bis Bruckner gefragt. Sein Gespür für die kleinen Verschrobenheiten in den Werken der großen Klassiker hat er darüber nicht verloren, wie sich etwa in Mozarts Klavierkonzert Nr. 23 in A-Dur zeigte.
Seong-Jin Cho, der Pianist, den die Intendantin an den "besseren Lang Lang" bezeichnet
Das verbindet ihn mit dem koreanischen Pianisten Seong-Jin Cho, Jahrgang 1994, den Evelyn Meining als "den besseren Lang Lang" bezeichnet. Seong-Jin Cho beherrscht auch die große Geste und den virtuosen Lauf, aber am stärksten ist er, wenn er die Momente des Übergangs, der Ungewissheit, der Spannung zelebriert, etwa in der originalen Kadenz Mozarts, die in seiner Deutung fast wie eine Nachschöpfung Beethovens wirkt.
Die Eckpunkte dieses Konzerts der Kontraste bildeten Igor Strawinskis "Concerto in ré für Streichorchester" aus dem Jahr 1946, das zunächst ein regelrechtes Versteckspiel veranstaltet, um nur ja nicht in Dur oder Moll zu verfallen, dann aber in behaglichste Wiener Seligkeit mündet. Und Haydns Sinfonie Nr. 91, die gerissen die Hörgewohnheiten der Zeitgenossen ihres Schöpfers herausfordert. Auch hier gilt: Nur wer mitmacht, kann gewinnen. In diesem Fall also: Nur wer offen hinhört, wird Neues, Bereicherndes entdecken.
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