Es wird unendlich viel produziert in dieser Pandemie. Manches davon ist überflüssig, vieles gut, einiges herausragend. Wie haben vier Beispiele herausgesucht, die Sie nicht übersehen sollten.
Michael Wollny und Christian Brückner mit "Traumbilder": Heinrich Heine aus nächster Nähe
Dass Michael Wollny gerade den Preis der deutschen Schallplattenkritik bekommen hat, ist keine Überraschung. Schließlich ist es das dritte Mal und auch nur ein Preis unter sehr vielen, die der 1978 in Schweinfurt geborene Pianist in stetem Strom gewinnt. Längst gilt Michael Wollny als Deutschlands wichtigster und international erfolgreichster Jazzmusiker. Den Preis gibt's diesmal für das Album "Traumbilder", das er gemeinsam mit dem Schauspieler Christian Brückner (die deutsche Stimme von Robert De Niro) aufgenommen hat. Brückner liest Texte von Heinrich Heine (1797-1856), Wollny improvisiert dazu.
Nach dem sperrigen Elektronik-Album "XXXX" wird es nun entschieden lyrischer. Christian Brückner findet genau die richtigen Tonfälle für Heines emotionale Zustände, von grimmig über spottlustig, gelegentlich anzüglich bis hin zu unglücklich verliebt. Ob Heinrich Heine am Vaterland verzweifelt, listig nachweist, dass die protestantische Religion gar keine richtige Religion ist, oder in äußerster Seelennot einer verlorenen Liebe nachweint – Michael Wollny formuliert dazu Emotion aus nächster Nähe und interpretierenden Kommentar gleichzeitig.
Er schafft gleichsam symbiotische Klangräume für die Sprache. Seine musikalischen Mittel zwischen Neoromantik, Blues und Jazz sind vergleichsweise konventionell. Das – wie immer – Frappierende ist die traumhafte Sicherheit, mit der er die dunkle Basslinie, den Moll-Akkord, die gläserne Dissonanz oder die sich unverhofft aufhellende Melodie einsetzt. Damit stellt er sich ganz selbstverständlich auf eine Stufe mit den Vorgängern, die Heine in Kunstliedern vertont haben, also Schubert, Schumann, Brahms, Richard Strauss, Alban Berg und viele andere.
Christian Brückner und Michael Wollny: "Traumbilder", ACT Music
Jochen Volpert: Abschluss der instrumentalen Gitarren-Trilogie mit "Eight"
Als mit dem ersten Lockdown Live-Auftritte unmöglich wurden, hat der Würzburger Gitarrist Jochen Volpert beschlossen, die eine oder andere Idee, die er schon länger mit sich herumtrug, auf CD zu bannen – rein instrumental, mit Unterstützung befreundeter Musiker, die ihre Beiträge via Netz ablieferten. "Meine Frau Carola Thieme, die sonst in der Band singt, hat gesagt: Da hast Du den Laptop, mach mal!", erzählt Volpert.
Herausgekommen sind gleich drei Alben, die Trilogie "Six", "Seven" und "Eight", deren letzter Teil soeben erschienen ist. Jedes Album ist unverkennbar Volpert, der sich ebenso kundig wie virtuos durch die Geschichte des Blues, Rock, Funk und auch ein bisschen des Jazz spielt – mal fetzig, mal hart, mal erdig, mal melodisch. Da sind natürlich jede Menge Einflüsse zu hören, gelegentlich wohl auch bewusste Anspielungen, aber es ist gar nicht so besonders spannend, sich zu überlegen, wo welche Idee ihre Wurzeln haben könnte.
Denn die Volpert-Trilogie ist ein riesiges Reservoir wunderbarer Gitarrenmusik. Wobei man durchaus nicht Gitarrenliebhaber sind muss, um hier seinen Spaß zu haben. Hier bewegt sich einer mit Lust, Witz, Überblick und ungeahntem Sinn für den hartnäckigen Ohrwurm durch Klänge, die mehr als eine Generation geprägt haben.
Jochen Volpert: "Six", "Seven", "Eight", world of audio records, Bestellung über info@jochenvolpert.de
Samira Spiegel: Die Geigerin und Pianistin ist bei ihrem Debüt "Inspired by Bach"
Die Geigerin und Pianistin Samira Spiegel aus Sulzthal (Lkr. Bad Kissingen), Jahrgang 1994, weigert sich seit früher Kindheit erfolgreich, sich für eines der beiden Instrumente zu entscheiden. Sie arbeitet und konzertiert mit beiden gleichermaßen, immer wieder im selben Konzert, mitunter sogar im selben Stück. Vor einigen Monaten hat sie mit "Inspired by Bach" ihre Debüt-CD vorgelegt. Natürlich mit Werken für beide Instrumente. Die Eckpfeiler bildet Johann Sebastian Bachs Chaconne aus dem d-Moll-Partita für Violine solo, einmal in der Bearbeitung für Klavier von Ferrucio Busoni, einmal in der Originalversion.
Dazwischen Werke von Friedrich Liszt, Eugène Ysaÿe, Francis Poulenc und dem 1988 geborenen Komponisten Damian Scholl – alle inspiriert von Bach, alle auf der höchsten Schwierigkeitsstufe, alle makellos wiedergegeben. Eingespielt hat Samira Spiegel das Album im November 2020 im Leipziger Gewandhaus, bei einem strikt auf 72 Stunden begrenzten Aufenthalt, weil sie sich sonst vorher in Quarantäne hätte begeben müssen – so lauteten damals die Corona-Regeln.
Von Eile oder gar Hast ist allerdings nichts zu spüren. Im Gegenteil: Samira Spiegel legt hier kein Sturm-und-Drang-Debüt hin, es scheint vielmehr, als wolle sie mit Bedacht und großem Nuancenreichtum so viele Gedanken der Komponisten offenlegen wie möglich. Dabei nähert sie nicht Bach der Romantik an, wozu die wuchtigen Klavierwerke verleiten könnten, sondern umgekehrt. Alles bleibt durchhörbar, auch und gerade in den hochdramatischen Passagen, die dadurch umso packender rüberkommen. Bleibt nur noch eine Frage: Wie könnte das nächste Konzeptalbum dieser außergewöhnlichen Begabung aussehen?
Samira Spiegel: "Inspired by Bach", Genuin Classics Leipzig
Markus Rill & The Troublemakers: "Everything We Wanted" lässt keine Wünsche offen
Falls jemand einen Gegenbeweis suchte für die These, dass der kulturelle Langzeit-Lockdown alles künstlerische Schaffen ausbremste – der höre Markus Rill. Viele Musikerinnen und Musiker hatten viel Zeit für "home recording". Das nutzte der Songschreiber, der in Würzburg und München lebt, aus. "Everything We Wanted" heißt das Album, das Markus Rill mit seiner Band "The Troublemakers" und ein paar Gästen geschaffen hat. Es ist schon Rills 14. Album in einem Vierteljahrhundert – und es ist nicht nur gewohnt gut. Es ist stark.
Abwechslungsreiche Americana-Songs, knackiger Folk, entspannter Soul und mitreißender Rock’n’Roll, kleine Geschichten in berührenden, poetischen Texten – das ist man vom 51-jährigen Unterfranken, der im Brotberuf Reporter dieser Redaktion ist, gewohnt. Bei "Everything We Wanted" kommt all das eingängig, stimmig, kurzum aufs Beste zusammen.
Dieses Album klingt durch und durch nach Rill. Man muss nicht mehr zur Charakterisierung die Reibeisenstimme bemühen. Man muss bei diesem Sänger und Gitarristen 25 Jahre nach seinem Debütalbum nicht mehr die Vorbilder nennen, ihn nicht mehr vergleichen mit den Folk-Größen und Rootsrock-Legenden aus den USA. Rill ist Rill.
Sicher, aus Nashville und Memphis zieht der Songwriter nach wie vor Inspiration. Aber seine Lieder, seine Musik sind eindringlich – und eigen. Auch persönlich, ja. Dazu die Troublemakers mit Drummer Leonardo von Papp, Bassist Chris Reiss und dem vielseitig Vielsaitigen Maik Garthe – eine kraftvolle, beseelte Platte mit 14 Liedern aus dem Leben im Jetzt.
Und in diesem Jetzt – die Virus-Lage erlaubt es – gibt es Rill und seine Unruhestifter auch wieder live. Nächste Gelegenheit: gleich diesen Sonntag, 27. Februar, 20 Uhr, im Keller Z87 auf dem Würzburger Bürgerbräu-Gelände.
Markus Rill & The Troublemakers: "Everything We Wanted", Rocknrillmusic/Blue Rose Records