"Ich bin ein typischer Das-Glas-ist-halb-leer-Mensch", sagt Gábor Hontvári, Erster Kapellmeister am Würzburger Mainfranken Theater. Die Jury des 9. Internationalen Dirigentenwettbewerbs Georg Solti in Frankfurt fand Hontváris metaphorisches Glas jedenfalls weit mehr als nur halb voll und erkannte ihm im Oktober unter 437 Bewerbern den mit 10 000 Euro dotierten zweiten Preis zu, den er sich mit dem Deutschen Johannes Zahn teilt. Den ersten Preis gewann die Neuseeländerin Tianyi Lu, ein dritter wurde nicht vergeben.
Gábor Hontvári, geboren 1993 in Györ (Ungarn), seit vergangener Saison in Würzburg, ist Absolvent der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar und Stipendiat des Dirigentenforums des Deutschen Musikrats. Mit Wettbewerben kennt er sich aus: 2015 gewann er den Dirigierwettbewerb der mitteldeutschen Musikhochschulen, Anfang 2019 den zweiten Preis und den Publikumspreis beim Wettbewerb "Campus Dirigieren" in Nürnberg und im selben Jahr noch den zweiten Preis beim Deutschen Dirigentenpreis.
Der Solti-Wettbewerb ist einer der größten weltweit, die zehn Kandidaten der Finalrunden durften das hr-Sinfonieorchester und das Frankfurter Museums- und Opernorchester leiten. Es hatte vorab zwar eine Repertoireliste gegeben, aber was in den ersten beiden Runden gespielt werden sollte, sagte die Jury erst in der ersten Probe an – die Kandidaten mussten binnen Minuten entscheiden, wie sie vorgehen wollten, denn auch ihre Arbeit mit den Orchestern floss in die Bewertung ein.
"Vorher war es furchtbar, aber als es dann soweit war, habe ich die Situation genossen. Das war produktiver Stress", sagt Hontvári. Für die Finalrunde bekam er dann den vierten Satz von Beethovens siebter Sinfonie zugelost und für das Preisträgerkonzert in der Alten Oper dessen Coriolan-Ouvertüre. Zwei ähnlich sperrige Stücke, die ohne einen kundigen Dirigenten nur schwer zu bewältigen sind.
Der Preis selbst ist für Gábor Hontvári nicht das Wichtigste
Dass er weiß, was er will, zeigte Hontvári gleich, indem er einige Einträge in den Noten der Streicher änderte. "Das war sicher nicht der diplomatischste Weg, es kostete Zeit, aber es hat sich gelohnt", erzählt er. Normalerweise haben Dirigenten mehrere Proben, um eine Sinfonie einzustudieren, hier mussten alle Ansagen praktisch sofort umgesetzt werden.
Dass er sich in einem Wettbewerb befand und nicht im künstlerischen Alltag, habe er schnell vergessen, erzählt Hontvári. Auch die Tatsache, dass ein überakustischer Probenraum und die coronabedingt großen Abstände die Arbeit nicht erleichterten. "Es geht immer darum, das beste aus der Partitur zu holen." Das gehe immer dann am besten, wenn man eine überzeugende Interpretation vorweisen könne: "Dann kann man alles machen."
Der Preis selbst und die Aussicht auf attraktive Engagements sind für Gábor Hontvári "nur das Zweit- oder Drittwichtigste", sagt er: "Ein Wettbewerb ist ein Spiegel, der die besten und die schlechtesten Seiten zum Vorschein bringt." Welche das bei ihm sind, will er nicht verraten. Nur so viel: "So sehr mein Perfektionismus und mein Maximalismus mich auch bestimmen, wichtig ist, dass man sich immer wieder neu über die Möglichkeit freut zu musizieren."
Während Gábor Hontvári in Frankfurt die coronabedingten Einschränkungen nicht allzu sehr behinderten, hat die Pianistin und Geigerin Samira Spiegel beim Klavierwettbewerb ClaMo vom 16. bis 18. Oktober im spanischen Murcia Auflagen und Ungewissheit unangenehm zu spüren bekommen: Bis kurz vorher war nicht klar, ob sie würde anreisen können, und ob sie sich bei ihrer Rückkehr würde in Quarantäne begeben müssen.
"Ich habe lange hin und her überlegt. Dann habe ich auf Risiko gespielt und bin hingefahren", erzählt die 1994 geborene Musikerin. Es hat sich gelohnt: Sie gewann den mit 3000 Euro dotierten ersten Preis. Vor Ort mussten die elf Teilnehmer der Endrunde aus ganz Europa negative Tests vorweisen. Was gut war, wie Samira Spiegel sagt: "Wir waren immer als Gruppe unterwegs."
Ein echtes Handycap: Es gab so gut wie keine Einspielmöglichkeiten
Ernsthaft störend war hingegen, dass es wegen der Auflagen praktisch keine Einspielmöglichkeiten gab. In der ersten Runde, die sie mit Préludes von Debussy begann, war das noch "halbwegs ok", sagt sie, "da kam ich irgendwie rein". Aber das erste Klavierkonzert von Mendelssohn mit all den schnellen Läufen mit kalten Fingern spielen zu müssen, sei "die Hölle" gewesen. "Aber so weiß ich jetzt wenigstens, dass ich auch uneingespielt spielen kann. Allzu oft sollte man das aber nicht machen, das wäre nicht gesund. Das ist wie bei einem Sportler."
Auch für sie zählt nicht so sehr der Preis an sich (es ist ihr fünfter auf dem Klavier), sondern seine Folgen gerade in diesen Zeiten: Im kommenden Jahr sind internationale Konzerte mit Orchester in Aussicht gestellt. Außerdem ist es immer gut, daheim etwas vorweisen zu können: In Graz, wo sie vor kurzem in der exklusiven Klasse von Markus Schirmer ein Aufbaustudium begonnen hat ("Postgradual advanced studies"), und bei den Stiftungen, die ihr Stipendien gewährt haben.
Für Samira Spiegel sind die vielfältigen Corona-Regeln nicht nur bei internationalen Wettbewerben eine Herausforderung, sondern im ganz normalen Musikerinnenalltag: Sie pendelt zwischen Graz in Österreich, ihrem Elternhaus in Sulzthal und Detmold in Nordrhein-Westfalen, wo sie sich an der Musikhochschule auf das Konzertexamen Geige (Gegenstück zur Promotion) vorbereitet.
Immer wieder muss geklärt werden, wo gerade welche Regeln gelten, wann sie wo einen negativen Test vorweisen muss, wo Quarantäne droht und was überhaupt stattfinden kann. So ist die Vorbereitung auf eine Reihe von Konzerten, die im November geplant waren, komplett hinfällig. "Alles ist furchtbar kompliziert", sagt Samira Spiegel. Wenn, wie in dieser Woche, auch noch Plattenaufnahmen an einem weiteren Ort hinzukommen, in diesem Fall Leipzig, wird es vollends schwierig.
In Leipzig darf sie sich 72 Stunden aufhalten, ohne einen negativen Test vorzuweisen oder in Quarantäne zu gehen. Die Aufnahmen im Gewandhaus sind auf drei Tage angesetzt. Das reicht gerade so. "Zur Sicherheit werde ich wohl am letzten Abend sofort wieder abreisen", sagt Samira Spiegel.