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Würzburger Songwriter über Bob Dylan: "Steter Quell der Frustration!"
Inspirierend, faszinierend, frustrierend. Songwriter Markus Rill hält Bob Dylan für den größten lebenden Künstler des 20. Jahrhunderts: Wie und wieso er ihn heute würdigt.
Hat acht Songs des großen Vorbilds aufgenommen: der Würzburger Sänger und Songwriter Markus Rill. 
Foto: Axel Link | Hat acht Songs des großen Vorbilds aufgenommen: der Würzburger Sänger und Songwriter Markus Rill. 
Alice Natter
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:16 Uhr

Ende April ist der Würzburger Sänger und Songwriter Markus Rill vom Berliner Musiker Tobias Panwitz gefragt worden, ob er nicht Lust habe, gemeinsam Bob Dylans 80. Geburtstag zu feiern. Ein Online-Konzert am 24. Mai, eine virtuelle Feier mit mehr als zwei Dutzend Künstlern aus 14 Ländern.

Markus Rill, im Brotberuf Redakteur und als Reporter für diese Redaktion in Main-Spessart im Einsatz, sagte zu: „Guter Anlass, eine schöne Bandversion von ‚Man In The Long Black Coat‘ zu veröffentlichen, die ich noch nie präsentiert hatte.“ Und weil der 51-Jährige gerade dabei war, sich die zwangsstille Corona-Zeit mit Homerecording zu vertreiben, kam er auf die Idee, vielleicht noch ein, zwei weitere Dylan-Songs aufzunehmen und zu veröffentlichen. „Und dann fielen mir noch ein, zwei Songs ein, die ich vielleicht machen könnte und dann noch welche . . .“

Ein Gespräch, was daraus wurde und warum Bob Dylan für ihn der Größte ist.

Frage an den Musiker, Songwriter, Fan. Welchen Stellenwert hat Bob Dylan für Markus Rill?

Markus Rill: Für mich als Songschreiber ist wie glaube ich für jeden anderen Songschreiber Dylan ein steter Quell der Inspiration. Und der Frustration! Inspiration, weil er zeigt, welche Möglichkeiten Songschreibern offen stehen. Folksongs, Countrysongs, Gospelsongs, Soul-Nummern, inhaltlich erzählende Songs, poetische Sachen, sarkastische Texte, ganz subjektive und ganz universelle Songs.

Und die  Frustration?

Rill: Frustration, weil er alles auf einem derart hohen Niveau getan hat, dass man sich selbst das Songschreiben fast sparen könnte – weil man diesen Genius nicht in sich trägt und nicht erreichen kann.

Genius klingt nach Verehrung.

Rill: Grundsätzlich, glaube ich, ist es nicht zu hoch gegriffen, wenn man sagt, Dylan ist wahrscheinlich der größte noch lebende Künstler des 20. Jahrhunderts. Wer sind die größten Künstler des 20. Jahrhunderts? Hemingway, Picasso, Warhol . . . Wer kommt da sonst in Frage.

Was wäre, wenn . . .  wärst Du Musiker geworden ohne Bob Dylan und seine Songs?

Rill: Ich bin 1970 geboren, als ich in den Achtziger Jahren mich mit Musik befasst habe, war Dylan nicht auf dem Gipfel seiner Popularität und Schaffenskraft. Zu Dylan und den damals schon legendären Alben kam ich über Leute wie John Mellencamp oder Bruce Springsteen. In den Achtzigern war Dylan nicht besonders unwiderstehlich. Ganz toll war dann, als „Oh Mercy“ in den frühen 90ern rauskam. Das war das erste aktuelle Album, das ich ganz, ganz, ganz stark fand. Und seit „Time Out of Mind“ von 1997 hat Dylan wieder ganz große Alben produziert. Die haben heute kulturell und  gesellschaftspolitisch nicht mehr diese Wirkung wie die frühen Alben. Aber sie sind – künstlerisch, musikalisch - fantastisch.

Deshalb die Bewunderung?

Rill: Ich finde es absolut bemerkenswert, dass Dylan ein immer kreativer, angetriebener, hochinteressanter Künstler und Musiker geblieben ist. Ich mag auch die Rolling Stones sehr, bitte nicht missverstehen. Aber wenn die Stones heute ein Konzert spielen, dann besteht das zu 85 Prozent aus den großen Hits, und du weißt vorher, welche Songs da kommen werden. Und sie klingen auch so, wie du sie kennst.

Bei Dylan gibt's Überraschung. 

Rill: Wenn du Dylan heute beim Konzert hörst, hast du überhaupt keine Ahnung, welche Songs er spielt. Vor allem aber hast Du überhaupt keine Ahnung, wie sie klingen werden. Weil sie auf nahezu jeder Tour komplett neu arrangiert sind. Das mag frustrierend sein, wenn man seine eigenen Lieblingslieder nicht in den Versionen hört, die man hören möchte. Aber für den Musikinteressierten ist es faszinierend! Wie er den Songs durch diese Veränderungen immer neue Bedeutung gibt und abgewinnt. Mal klingt ein Song ironisch, mal heiter, mal klingt er düster und ganz schwer. Ich kenne keinen anderen, der derart frei mit seinem Werk umgeht und derart aktiv seine Songs selbst interpretiert. Es gibt keinen anderen mit diesem Mut.

Wie war's bei Deinem ersten Dylan-Konzert? Begeistert oder frustriert?

Rill: Als ich Dylan zum ersten Mal live gesehen hab‘, Anfang der 90er in Bad Mergentheim, war er vielleicht nicht ganz nüchtern. Auf jeden Fall nicht auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft. Minutenlang hat er auf seiner Mundharmonika rumgehupt, bis er gemerkt hat, dass er in der falschen Tonart spielt. Dann ging er nach hinten und hat die nächste Harp geholt. Die war aber auch in der falschen Tonart. Aber in den letzten Jahren, das waren überragende Konzerte. In Nürnberg, in Würzburg – ganz toll. Ich finde es beeindruckend, wie Dylan es schafft, künstlerisch aktuell und lebendig zu bleiben.

Den Literaturnobelpreis hat er inzwischen. Und andere Legenden sitzen mit 80 im Lehrsessel.

Rill: Er könnte es sich auch leicht machen, alle vier, fünf Jahre auf Tournee gehen und in Fußballstadien seine größten Hits spielen mit einer Riesenshow. Das will er nicht. Er will Musik machen. Und will im Wortsinne musizieren, live, auf der Bühne.

Nicht alle können mit der Legende etwas anfangen. Warum sollte man Dylan mögen?

Rill: Es gibt ganz viele Dylan-„Experten“, die seinen Müll durchwühlen und seine Texte bis auf die letzte Nuance zu durchleuchten glauben. Ich fand diese „Theme Time Radio Hour“, die er einige Jahre lang jede Woche gemacht hat immer zu einem bestimmten Thema wie Wetter oder Autos oder Tanzen, sehr aufschlussreich. Diese Sendung und seine Tätigkeit als Radio-DJ hat mir Dylan wesentlich näher gebracht als das Dutzend Bücher, das ich über ihn gelesen habe.

Was ist die Erkenntnis, der Schluss daraus?

Rill: Ich habe verstanden, dass er einen sehr verschlagenen Sinn für Humor hat. Und ganz viel, was wir in den Texten zu deuten versuchen, erklärt sich einfach mit seiner Freude am Wortspiel und seiner Lust daran, zu formulieren und zu fabulieren. Das war in der Sendung so, und das ist in seinen Songs so.

An diesem Montag feierst Du mit 28 anderen Musikern bei einem Online-Konzert. Alle haben Livevideos eingschickt. Und bald gibt es ein Album von Markus Rill mit Dylan-Songs?

Rill: Mich hat die Einladung darauf gebracht, wie nahe der Geburtstag liegt. Und mir sind noch ein, zwei Songs eingefallen, die ich vielleicht machen könnte und dann noch welche . . . Zwischendurch habe ich Annika Fehling, Maik Garthe und Robert Oberbeck davon erzählt. Sie hatten Lust, sich zu beteiligen ... und jetzt kann man das Ergebnis hören. War als online-only Release geplant, aber es ist denkbar, dass ich in Kleinauflage CDs und Vinyl produziere.

Acht Songs von Dylan zum Achtzigsten von Dylan. Keine Hemmung? Keine Angst davor, ihn zu covern?

Rill: Es ist kein lange geplanter Tribut. Und es ist nicht meine finale Interpretation von Dylan’s Opus. Es macht einfach Spaß, die Songs zu spielen. Und Spaß gibt es so wenig in einer Pandemie . . . „People are crazy, times are strange“, das ist eine Zeile aus Dylans „Things Have Changed“. Seltsame Zeiten, seltsame Leute. Da hat er mal wieder recht.

Markus Rill singt Bob Dylan. 
Foto: Rill | Markus Rill singt Bob Dylan. 

 „Times Are Strange – 8 for Bob’s 80th“ von Markus Rill sind online zu hören auf markusrill.bandcamp.com.

 
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