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Karlstadt
4 Gründe, warum sich ein Besuch im neuen Museum in Karlstadt lohnt
Das beschauliche Karlstadt ist um eine Attraktion reicher. Neue und neueste Kunst in einem uralten Haus: Warum diese Verbindung so gut funktioniert.
Im neuen Museum Karlstadt ist jeder Blickwinkel interessant.
Foto: Patty Varasano | Im neuen Museum Karlstadt ist jeder Blickwinkel interessant.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:48 Uhr

Eigentlich wollte die Diözese hier einmal ein Museum zur Kunst der Renaissance einrichten. Die Stadt Karlstadt wiederum übernahm es, den historischen Gebäudekomplex in der Hauptstraße aus dem 14. bis 16. Jahrhundert zu sanieren. Doch 2017, kurz vor dem Spatenstich, revidierte die Diözese ihr Museumskonzept und stieg aus dem Projekt aus. Jürgen Lenssen, emeritierter Domkapitular und ehemaliger Kunst- und Baureferent der Diözese, sprang ein: Er schenkte der Stadt einen Teil seiner privaten Kunstsammlung.

Nun, nach fünfjähriger Bauzeit, ist das Gebäude prachtvoll saniert und beherbergt eine stadtgeschichtliche Abteilung und eben die Dauerausstellung "ZeitBrüche" mit 206 Arbeiten aus der Sammlung Lenssen, acht Leihgaben und drei Zustiftungen aus dem 20. und 21. Jahrhundert. Eröffnung war Anfang Mai. Hier sind 4 gute Gründe, dem Museum Karlstadt einmal einen Besuch abzustatten.

1. Der Sammler

 Jürgen Lenssen in einem der Museumsräume.
Foto: Mathias Wiedemann |  Jürgen Lenssen in einem der Museumsräume.

Wer Jürgen Lenssen, der vor kurzem 75 Jahre alt geworden ist, noch nie begegnet ist, lernt ihn hier auf besondere Art kennen. Eine seiner Seiten zumindest: die Seite des Sammlers, für den Kunst nicht nur Ausdruck menschlicher Kreativität, sondern auch spirituelle Kraftquelle ist. Und der über die Jahrzehnte ganz persönliche (Kauf-)Entscheidungen getroffen hat für die Werke, die hier ausgestellt sind, beziehungsweise von Künstlerinnen und Künstlern mit Schenkungen bedacht wurde.

Doch selbst diese gut 200 Arbeiten sind nur ein Ausschnitt aus Lenssens Beständen: Bereits 2011 hat er der Diözese über 200 Werke für das Museum Burg Miltenberg gestiftet – mit der Maßgabe, dass sie nur dort gezeigt werden dürfen. Darunter sind Namen wie Joseph Beuys, Sigmar Polke, Michael Triegel und Wolfgang Mattheuer.

Es wäre sogar noch genug übrig für ein weiteres Museum, sagt er mit einem Grinsen. Fragt man ihn, ob es ihm schwergefallen sei, sich zu trennen, antwortet er ebenso lakonisch wie pragmatisch: "Ich habe keine Kinder."

Wobei es selbstverständlich Kunstwerke gibt, von denen er sich nie trennen würde. Etwa das Bild, das ihm eine Künstlerin kurz nach dem Tod seines Vaters geschenkt hat: "Sie hat mitten in der Nacht bei mir geklingelt und gesagt, hier, ich glaube, das kannst du jetzt brauchen", erzählt Lenssen.

2. Die Sammlung

Jürgen Lenssen und sein Lieblingsbild, ein Gemälde von Mimmo Paladio
Foto: Mathias Wiedemann | Jürgen Lenssen und sein Lieblingsbild, ein Gemälde von Mimmo Paladio

Auch die Karlstädter Abteilung der Sammlung Lenssen ist mit Grafik, Gemälden und Skulpturen reich an großen Namen wie Michael Morgner, Wolfgang Mattheuer, Alfred Hrdlicka, Le Corbusier, Ernst Barlach, Emil Schumacher, Alfred Kubin oder Salvador Dalí. Aber auf die Namen kommt es hier nicht an. Hier geht es in jedem Raum um existenzielle Fragen, die alle Menschen unausweichlich betreffen: um Wechselhaftigkeit und Endlichkeit des irdischen Lebens, um die Frage nach dem Danach, um Gottesbilder.

Am besten also, man begibt sich einfach auf Entdeckungstour. Um etwa dem jungen Bildhauer Thomas Hildenbrand und seinen fliegenden, aufsteigenden, abstürzenden Figuren zu folgen. Oder um Jürgen Wolfs sarkastischen Witz zu genießen, der auf dem Gemälde "MS Luther" ein abgewracktes Schiff auf dem Trockenen zeigt.

Der Künstler Harald Lange hat eine dieser alten Schullandkarten übermalt: Oben steht noch "Weltvorkommen von Kohle, Eisen, Erdöl, Gold und Uran", als wäre die Erde ein einziger Rohstoff-Selbstbedienungsladen. Aber das eigentliche Bild zeigt nun eine Kreuzabnahme und einen Erzengel. Darüber steht in sachlichem Weiß das Wort "contact".

Man könnte auch die vielen Variationen des Kreuzmotivs erkunden und dabei Jürgen Lenssens Lieblingsbild kennenlernen: ein farbstarkes, maximal reduziertes Gemälde von Mimmo Paladio, Jahrgang 1948 und damit nur ein Jahr jünger als Lenssen, einem Vertreter der italienischen Transavantgarde, die gerne mit den deutschen Jungen Wilden verglichen wird.

3. Das Haus

Die Räume im Museum sind ihrerseits sehenswert.
Foto: Patty Varasano | Die Räume im Museum sind ihrerseits sehenswert.

Das Miteinander von Alt und Neu ist spektakulär. Wer dachte, Kunst komme grundsätzlich am besten in neutralen weißen Räumen zur Geltung ("White Cube"), wird hier eines besseren belehrt. Offenliegendes Fachwerk, Reste von Stuck oder Freseken, gotische Türstürze, darunter Luther-Zitate aus der Zeit, als das Haus der Kirche gehörte, Putz in allen Erdfarben, Bruchstein, Ziegel, Holzbalken: jede Menge ablenkendes Beiwerk, sollte man meinen. Aber die Kunst geht damit eine verblüffend organische Verbindung ein.

Sicher, das vom Karlstädter Architekturbüro Wiener großartig sanierte Haus ist eine Attraktion für sich. Dank all der minutiös konservierten Details, die erhalten blieben, weil viele Vorbesitzer sich  keine Modernisierung leisten konnten, atmet jeder Raum Geschichte. Und doch treten diese Elemente ganz automatisch zurück, sobald man sich auf eines der Kunstwerke konzentriert. Es scheint, als seien die Arbeiten dem Haus auf unerklärliche Weise willkommen. Wenn man Jürgen Lenssen darauf anspricht, lächelt er nur. Wie einer, dem das von Anfang an klar war.

4. Die Hängung

Eine Lithografie von Alfred Kubin hängt allein an einer Fachwerkwand, die ansonsten mit Sinnsprüchen bedeckt ist. Man hätte denken können, sie würde in so starkem Umfeld ihre Wirkung nicht entfalten können. Das Gegenteil ist der Fall.
Foto: Patty Varasano | Eine Lithografie von Alfred Kubin hängt allein an einer Fachwerkwand, die ansonsten mit Sinnsprüchen bedeckt ist. Man hätte denken können, sie würde in so starkem Umfeld ihre Wirkung nicht entfalten können.

"Das ist eine private Hängung", sagt Jürgen Lenssen. Will sagen eine, die sich wenig um vermeintliche chronologische oder kunsthistorische Zwänge schert. Allerdings hat Lenssen durchaus Mottos für die Räume definiert, die das Oberthema "ZeitBrüche" ausdifferenzieren: "Todeserfahrung und Lebenssehnsucht" etwa. Oder "Umbruch als Erfahrung" und "Umbruch als Notwendigkeit". Oder "Umbruch prägt Gottesbilder". Viele der Arbeiten könnten in mehreren Räumen hängen, weil sie so vielschichtig sind, dass sie nicht nur eine Interpretation zulassen.

Aber es sind eben Lenssens Zuordnungen, die etwas über ihn aussagen. Über den Priester, der sich offen mit unterschiedlichen Gottesbildern auseinandersetzt. Über den Kurator, der sich gestattet, seine persönliche Beziehung zu Künstlerinnen und Künstlern zum Kriterium zu machen. Und schließlich über den Sammler, der etwas von Bestand hinterlassen möchte.

Dabei geht Lenssen völlig frei vor: Er hängt großformatige Gemälde in kleine Räume und gesteht im Gegenzug kleinen Skulpturen viel Raum zu. Eine Lithografie von Alfred Kubin etwa hängt allein an einer Fachwerkwand, die ansonsten mit Sinnsprüchen bedeckt ist. Man hätte denken können, sie würde in so starkem Umfeld ihre Wirkung nicht entfalten können. Das Gegenteil ist der Fall.

Museum Karlstadt:  Hauptstraße 9, Tel. (0 93 53) 90 66 88, museum@karlstadt.de
Öffnungszeiten: April bis Oktober von Montag bis Sonntag, 10 bis 18 Uhr.

 
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