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Neues Museum in der Mildenburg: Das wahre Bild des Göttlichen
Sie sind auf mystische Weise entstanden. Sie wirken angeblich Wunder. In den Kultbildern der Ostkirche steckt die Wahrheit unter der Oberfläche. Ikonen haben auch dem Nichtgläubigen viel zu sagen.
Von unserem Redaktionsmitglied Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 26.04.2023 16:24 Uhr

Es ist Farbe auf Holz. Aber es ist kein Bild. Es ist kein Kunstwerk. Ein Bild stellt etwas dar, das in der Wirklichkeit vorhanden ist. Beim Kunstwerk drängt auch noch die Weltsicht des Künstlers in den Bildinhalt. Das kann so weit gehen, dass ein Bild ausschließlich eine Seelenlandschaft des Malers zeigt. Die sichtbare Wirklichkeit ist dann komplett aus dem Bild verschwunden.

Die Ikone – das Kultbild des orthodoxen, östlichen Christentums – bildet nicht ab. Sie repräsentiert nichts. Sie steht nicht für irgendetwas. Sie ist es selbst. Während der Künstler seiner Intuition folgt, hält sich der Ikonenmaler an Vorgaben. Er fertigt Kopien eines Vorbildes, das auf geheimnisvolle Weise entstanden ist: als sogenanntes „Acheiropoieton“, also nicht von Menschanhand gemacht, sondern von Gott geschenkt. Das geht – der Legende nach – zum Beispiel so: Eine Frau reicht auf dem Weg nach Golgatha dem gefolterten Jesus ein Tuch, damit er sich Schweiß und Blut abwischen kann. Als Jesus das Tuch zurückgibt, hat sich sein Gesicht darauf abgebildet. Neben dem „Schweißtuch der Veronika“ gelten auch das Volto Santo im italienischen Manoppello mit dem angeblichen Antlitz Jesu und das Grabtuch von Turin als nicht von Menschenhand gemacht. Die katholische Kirche sieht im Grabtuch mit seinem beidseitigen Körperabdruck eines Gegeißelten und Gekreuzigten eine Ikone. Weil sie göttlichen Ursprungs sind, haben Ikonen in der Sicht vieler Gläubiger die Macht, Wunder zu wirken.

„Die westliche Kunst versucht, sich dem Unvorstellbaren zu nähern. Die Ikone ist dessen Gegenwart“, so Jürgen Lenssen, Kunstreferent der Diözese Würzburg, bei der Eröffnung des „Museum.Burg.Miltenberg“. In der Ikone trete das Göttliche dem Menschen gegenüber. Die Dauerausstellung auf der Mildenburg zeigt die unterschiedlichen Sichtweisen religiöser Darstellungen der West- und der Ostkirchen (siehe Kasten rechts).

Der Ikonenmaler versucht das Mystische, die göttliche Präsenz in seinen Kopien weiterzugeben. Malen wird zur heiligen Handlung. Es gibt keine künstlerische Eitelkeit, keine Effekthascherei. Er ist sich bewusst, dass er das wahre Antlitz Jesu malt, das wahre Gesicht der Muttergottes. Dabei geht es nicht um Äußerlichkeiten, nicht um die Form eines Kinns oder die Farbe der Augen. Wahrheit, Wahrhaftigkeit hat damit nichts zu tun. Es geht um das, was unter der Oberfläche aus Farbe liegt. Die Ausstrahlung einer Ikone kann – gerade durch ihre schlichte Oberfläche – selbst den an Reizüberflutung gewöhnten Menschen des 21. Jahrhunderts erreichen, der auf die vermeintliche Objektivität von Fotografien und Fernsehbildern fixiert ist.

Ikonen erzählen auf ihre eigene Art auch dem Nichtgläubigen, dass es gar nicht so sehr auf die Oberfläche ankommt. Ganz anders, ironisch, vermittelt das auch das Bild des Diogenes, 1985 von Robert Höfling gemalt. Es empfängt den Besucher der Mildenburg gleich in der Eingangshalle und scheint förmlich zu schreien: „Nimm Äußerlichkeiten bloß nicht ernst!“

Museum.Burg.Miltenberg

Das Außergewöhnliche an dem neuen Museum in der Mildenburg ist das Zusammenwirken – teilweise auch der Kontrast – von Kunst und historischem Bauwerk. Freunde mittelalterlicher Architektur kommen auf ihre Kosten: Das frisch renovierte Wahrzeichen Miltenbergs bietet enge spitzbogige Durchgänge, große Kamine, Stuckdecken, Fresken, Wendeltreppe – und einen sehenswerten Rittersaal. Spektakulär sind die Ausblicke von der hoch gelegenen Burg oder dem Bergfried auf das weite Maintal, die engen Gassen und die malerischen Fachwerkhäuser von Miltenberg. Bei der Restaurierung des im Kern fast 800 Jahre alten Bauwerks wurde ein Fahrstuhl eingebaut. Der Besuch von Burg und Ausstellung ist so auch für Rollstuhlfahrer möglich. Die Mildenburg ist nach über 30 Jahren erstmals wieder für die Öffentlichkeit zugänglich. Erster Öffnungstag ist Sonntag, 3. Juli (ab 11.30 Uhr). 211 Ikonen aus dem 17. bis 19. Jahrhundert, und 234 Werke aktueller Kunst (Gemälde und Skulpturen) machen den Besuch zu mehr als nur einer Burgbesichtigung. Sie bieten Einblicke in zwei, teils sehr gegensätzliche, Auffassungen religiöser Darstellungen. Die Dauerausstellung ist über zwei Stockwerke verteilt. Darüber hinaus wird es im Dachgeschoss künftig Wechselausstellungen der im Museum vertretenen Künstler geben. Jürgen Lenssen, Domkapitular und Kunstreferent der Diözese, hat für die Ausstellung seine Privatsammlung zur Verfügung gestellt. Die moderne Kunst in der Mildenburg stammt aus seinem Besitz, den er der Diözese gestiftet hat – mit der Maßgabe, dass die Werke nur in Miltenberg gezeigt werden dürfen. Darunter sind Werke von Joseph Beuys, Sigmar Polke, Michael Triegel und Wolfgang Mattheuer.

Blick in den Rittersaal. Träger des Museum.Burg.Miltenberg ist die Stadt Miltenberg. Dennoch sind die Räume in der Mildenburg Teil des Museumskonzepts des Bistums Würzburg, das die Ausstellungsstücke zur Verfügung stellt. Das Bistum setzt einerseits auf das zentrale Museum am Dom in Würzburg, zusätzlich aber noch auf dezentrale Museen, die über ganz Unterfranken verteilt sind. In ehemaligen Kirchen und Klöstern, historischen Bauten, einem Barockschlösschen und jetzt auch in einer Burg sind Werke vom Mittelalter bis zum 21. Jahrhundert zu sehen. Derzeit sind es neun Museen, zwei weitere sollen folgen. Insgesamt stehen aktuell über 6000 Quadratmeter Ausstellungsfläche zur Verfügung, wie die Katholische Nachrichtenagentur meldet. Die Kunstsammlung der Diözese Würzburg sei somit das weltweit größte kirchliche Museum nach dem Vatikanischen Museum. Öffnungszeiten (3. Juli bis 31. Oktober): Dienstag bis Freitag 13 bis 17.30 Uhr, Samstag, Sonntag 11 bis 17.30 Uhr. November bis April geschlossen. Internet: www.museum-miltenberg.de

Gottesmutter des Zeichens (Russland, 18. Jahrhundert).
Foto: hele | Gottesmutter des Zeichens (Russland, 18. Jahrhundert).
Gottesmutter als Wegweiserin (18. Jh.)
| Gottesmutter als Wegweiserin (18. Jh.)
Robert Höfling: Diogenes (1985)
| Robert Höfling: Diogenes (1985)
Hl. Nikolaus (Russland, 19. Jahrhundert)
| Hl. Nikolaus (Russland, 19. Jahrhundert)
 
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