Punkt 20 Uhr erlischt die Hallenbeleuchtung in der Würzburger s.Oliver Arena; es erklingen Fanfarentöne, die an Abenteuerfilme mit strahlenden Helden erinnern. Dazu tänzelt Bob Dylan auf die Bühne. Am Klavier stehend, dem Publikum zugewandt, begleitet von seiner vierköpfigen Band, spielt er "Things Have Changed", den Song, der ihm 2001 den Oscar einbrachte. Dylan versteht sich auf programmatischen Subtext. Dieser Auftritt, mit Glitter am Anzug, sagt: Ich bin gut drauf, ich bin heute gut gelaunt.
Und tatsächlich begibt sich Dylan in den nächsten rund 100 Minuten auf eine Abenteuerreise durch sein Programm. Wie ein Vierjähriger mit bunten Bauklötzchen spielt der 77-Jährige mit den Songs seines umfangreichen Backkatalogs. Er nimmt sie auseinander und setzt sie neu zusammen. Und während das im Mai 2018 in Nürnberg nach Werkstattarbeit klang und durchaus düstere Töne hervorbrachte, dominiert im April 2019 der Spaß am Spiel.
Songs spielen und mit den Songs spielen
Bei "Highway 61 Revisited" steht diesmal der treibende Beat im Vordergrund, nicht der Auftrag des zornigen Gotts an Abraham, seinen Sohn zu opfern. "Simple Twist Of Fate" ist am Dienstag kein Klagelied auf die Wendungen des Schicksals, eher der Song eines Mannes, der gelernt hat, den Dingen mit Gelassenheit zu begegnen. Selbst "Pay In Blood" mit Zeilen wie "ich zahle mit Blut, aber nicht meinem eigenen" kommt fast heiter rüber.
Weil Dylan sich nicht erklärt, kein einziges Wort ans Publikum richtet, bleibt dem Zuhörer nur die Interpretation. Der Mann aus Minnesota versteht es, in seinem vielschichtigen Werk genau jene Nuancen zu betonen, nach denen ihm der Sinn steht. Und was früher rätselhaft wirkte, wo die Werk-Exegeten einst tief und ergebnislos schürften, das erklärt sich heute mit dem hintersinnigen Humor, den Dylan in seiner von 2006 bis 2009 laufenden Radiosendung offenbarte. Glitzer am Anzug, den trägt der Meister nur mit einem Augenzwinkern.
Mit diesem Spieltrieb und Witz bearbeitet er seine Songs, stellt sie auf den Kopf. "When I Paint My Masterpiece", in der Originalaufnahme ein beschwingtes Stück, präsentiert er als Ballade. "Like A Rolling Stone", in der Mitte des Sets platziert, beginnt flott, ehe Dylan die letzten Zeilen der Strophen dehnt und das Publikum auf den Chorus warten lässt. "How does it feel?" (Wie fühlt sich das an, wie findet Ihr das?) scheint er die Fans zu fragen.
Exquisite Band
Dabei unterstützt ihn seine exquisite Band mit Geschmack und Zurückhaltung. Drummer George Receli bietet Groove und Druck bei moderater Lautstärke. Nur beim letzten Song darf er sich mal austoben und das Drumsolo des Surf-Klassikers "Wipe-Out" zitieren. Bassist Tony Garnier begleitet Dylan nun schon seit 1989, keiner ist länger dabei. Donnie Herron setzt Akzente mit Banjo und Geige oder bindet den Sound mit sämiger Steelgitarre. Gitarrist Charlie Sexton versteht sich als Teamplayer und Zuarbeiter und ist trotzdem die zentrale Figur der Begleitmusiker.
Wenn zwischen den Songs das Licht erlischt, stecken Dylan und Sexton oft kurz die Köpfe zusammen, ehe sich aus dem Soundbrodeln die nächste Nummer herauskristallisiert. Kein Wunder, dass Dylan seinen Spaß hat mit dieser Band und diesen Songs, älteren und neueren, darunter gleich vier vom 2012er Album "Tempest". Die drei zuletzt veröffentlichten Werke mit Fremdmaterial, mit Stücken, die schon Sinatra gesungen hatte, ignoriert er.
Zum Abschluss gibt's nochmal Schmackes mit "You Gotta Serve Somebody". Danach tritt Bob Dylan in die Bühnenmitte, schaut ins Publikum und stemmt neckisch wie ein Laufstegmodel die Hand in die Hüfte – eine Art wortlose Verabschiedung. Freilich kommt er nochmal zurück für eine Walzerversion von "Blowin' In The Wind" sowie "It Takes A Lot To Laugh, It Takes A Train To Cry".
Würzburg hat einen aufgeräumten Bob Dylan erlebt. Auf einem Tischchen am Bühnenrand standen den ganzen Abend über seine Oscar-Trophäe und eine Büste – vermutlich ein Hinweis auf seinen Literaturnobelpreis, mit Augenzwinkern versteht sich.