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NEW YORK
Bob Dylan – Der Rätselhafte
75. Geburtstag: Während die Rolling Stones und andere Fast-Altersgenossen nur mehr Entertainer sind, ist Dylan Künstler geblieben. Auch auf der Zielgeraden seiner Karriere. Aber: Was weiß man von ihm?
Der junge Dylan: Das Bild entstammt dem Prachtband „Bob Dylan – Bilder eines Lebens“ von Ty Silkman (Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf, 160 Seiten, über 200 Schwarz-Weiß- und Farbabbildungen, 24 x 30 cm, 29,95 Euro). Im Text: Dylan 2013.
Foto: Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags / dpa | Der junge Dylan: Das Bild entstammt dem Prachtband „Bob Dylan – Bilder eines Lebens“ von Ty Silkman (Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf, 160 Seiten, über 200 Schwarz-Weiß- und Farbabbildungen, 24 x 30 ...
Markus Rill
Markus Rill
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:05 Uhr

Geboren in Duluth, Minnesota als Robert Allen Zimmerman am 24. Mai 1941. Im New York der 60er Jahre Woody Guthrie und sich selbst gefunden. Als Protestsänger gefeiert, gegen dieses Etikett protestiert. In Newport ausgebuht, in Manchester „Judas“ genannt. Mit den Beatles Joints geraucht, mit The Band im Keller musiziert. Motorradunfall, Jesus-Phase und Never Ending Tour. Diese Daten sind jedem bekannt, der sich für Bob Dylan, der am Dienstag 75 wird, interessiert. Sie ließen sich schon zu früheren Geburtstagen lesen und sind dieser Tage auch anderswo präsent. Widmen wir uns wichtigeren Fragen.

How does it feel?

Wie mag sich das wohl anfühlen, Bob Dylan zu sein? Wahrscheinlich ist er der am meisten durchleuchtete und analysierte Pop- und Rockmusiker der letzten 50 Jahre und vielleicht trotzdem der am wenigsten verstandene, der immer noch rätselhafteste.

. . . to be on your own?

Klingt vielleicht komisch, einem weltberühmten Songschreiber, der 150-mal im Jahr vor Tausenden Menschen auftritt, zu unterstellen, er sei auf sich gestellt. Aber von seinen Weggefährten sind nicht mehr allzu viele übrig. Albert Grossman, Levon Helm, John Lennon und George Harrison unter der Erde. Joan Baez schon lange entfremdet. Die Traveling Wilburys aufgelöst. Dylans höchst unterhaltsamer „Theme Time Radio Hour“ nach zu urteilen, zählt der ehemalige J. Geils Band-Sänger Peter Wolf zu Dylans Kumpels, Van Morrison und Neil Young zu den geschätzten Kollegen. Welches Verhältnis er zu seinen Kindern, darunter dem erfolgreichen Musiker Jakob, pflegt? Ob es eine Herzdame gibt, für die Dylan „Stay With Me“ und ähnliches schmachtet? Das weiß Wikipedia so wenig wie diese Redaktion.

. . . a complete unknown?

Tatsächlich, unbekannt ist der private Dylan. Ganz anders als bei Elvis, dem einzigen anderen, der die populäre Musik als Einzelperson in diesem Ausmaß revolutioniert hat, weiß man von Dylan nicht, ob er Erdnussbutter-Sandwiches verspeist, mit Pistolen auf Fernseher schießt oder Karate übt. Gut, Schauspielerin Gina Gershon erzählte mal, sie habe mit Dylan im Box-Gym trainiert. Ebenso gut (oder schlecht) könnte man sich Dylan als Philatelisten oder Gleitschirmflieger vorstellen. Das hat Methode. Dylan stellt seine Arbeit in den Mittelpunkt, nicht sein Privatleben. Das geht sogar so weit, dass die Menschen in einem Wohnviertel einen der größten noch lebenden Künstler des 20. Jahrhunderts für einen Landstreicher halten, wenn er sein Hotel im Kapuzenpulli verlässt, um am Nachmittag vor einem Konzert einen Spaziergang zu machen (geschehen 2009 in New Jersey). Picasso, Dalí oder Andy Warhol wäre das eher nicht passiert, allenfalls Hemingway.

Immerhin: Die von Dylan selbst moderierte „Theme Time Radio Hour“, deren genau 100 Episoden von Mai 2006 bis April 2009 wöchentlich im amerikanischen Satelliten-Radio zu hören waren, erklärte besser, wie Dylan so tickt, als sämtliche Biografien, Text-Exegesen und Müll-Untersuchungen der Dylanologen, Greil Marcusse und Webermänner. Humor hat der alte Grantler, Freude an Sprachwitz und der absurden Verwendung von Klischees. Wer nun Dylan singen hört, er werde Tanzstunden nehmen und den Jitterbug lernen („gonna take dancing lessons, do the jitterbug rag“ vom Oscar-prämierten Song „Things have changed“) hört dazu sein kehliges Lachen. Vieles, was vorher undurchdringlich-metaphorisch erschien, stellt sich einfach als Freude an der eigenen Sprachgewandtheit heraus, manches auch als Pastiche aus Texten von C.G. Jung, Jack London und Ovid (wie die Dylanologen herausgefunden haben).

. . . no direction home . . .

In welcher Richtung Dylans Heimat liegt? Im Norden, oben in Minnesota oder im Osten, in New York, Greenwich Village? Im Folk von Woody Guthrie und Pete Seeger, im Rock 'n' Roll von Little Richard und Keith Richards, im Blues von Blind Willie McTell und Robert Johnson, im Country von Hank Williams und Jimmie Rodgers oder gar im Jazz von Hoagy Carmichael, Gershwin und Sinatra? Diese eine Frage lässt sich wohl beantworten: In all diesen Orten und Stilen fühlt Dylan sich wohl. Überall dort, wo gute Songs zu Hause sind. Zuletzt wilderte er mit Vorliebe im American Songbook.

. . . like a rolling stone?

All diese Fragen stellte Dylan 1965 im Song „Like a rolling Stone“, einer bitterbösen Abrechnung mit einer Person oder auch dem Zeitgeist. Mit 75 ist er freilich selbst ein Rastloser, ein rollender Stein, seit fast 30 Jahren auf der Never Ending Tour, begleitet von einer formidablen Band um den texanischen Gitarristen Charlie Sexton. Jeden Sommer tourt er im Paket mit einem Künstler, den er respektiert, durch amerikanische Kleinstädte und Baseballstadien, mal mit Willie Nelson oder John Mellencamp, diesen Sommer mit Mavis Staples.

Im Frühjahr oder Herbst – gern auch zweimal im Jahr – ist er in Europa unterwegs. Dabei ist er mehr rollender Stein als selbst die Rolling Stones. Denn während Jagger & Co. – wenige Jahre jünger als Dylan – sich für das Abspielen und Wiederholen ihrer größten Hits, für Spektakel und Lichtshow bejubeln lassen, fordert der Troubadour aus Minnesota sein Publikum noch immer heraus. Er spielt nur das, worauf er Lust hat, einige komplett neu arrangierte Hits, viele Songs seiner letzten Alben. Während die Stones und andere Fast-Altersgenossen nur mehr Entertainer sind, ist Dylan – dass er sich nach dem walisischen Dichter Dylan Thomas benannt hat, ist wohl eine Legende – Künstler geblieben. Auch auf der Zielgeraden seiner Karriere.

Wer Dylan in den 1980ern und frühen 90ern gesehen und gehört hat, und dies mit den Alben und Auftritten der letzten Jahre vergleicht, weiß, dass auf den bald 75-Jährigen eine seiner paradoxesten Textzeilen zutrifft: „I was so much older then, I'm younger than that now“ („Damals war ich sehr viel älter; heute bin ich jünger“).

Welche Dylan-Alben man gehört haben sollte

Bringing It All Back Home (1965): Auf seinem fünften Album erweitert Dylan erstmals seinen Folksound um Rockelemente. Eine Revolution. Mit „Subterranean Homesick Blues“ und „Mr. Tambourine Man“. Blonde On Blonde (1966): Ein gutes Jahr später schon hat er diesen „dünnen, wilden Quecksilber-Sound“ perfektioniert. Ein Doppelalbum mit Albernheiten („Rainy-Day Women“), Magischem („Visions of Johanna“) und berückend Schönem („Just like a Woman“). Das opus magnum, locker aus der Hüfte. Blood On The Tracks (1975): Überwiegend akustisch und trotz schwieriger Entstehungsgeschichte wie aus einem Guss. Gilt als Dylans Scheidungsalbum, ist aber vielschichtiger, siehe „Tangled up in blue“. Time Out Of Mind (1997): Großartige Songs über Leben, Liebe und Tod, atmosphärisch in Szene gesetzt. Nach einer langen Dürrephase in den 80ern und 90ern mal wieder ein rundum überzeugendes Dylan-Werk und der Auftakt zu einem starken Karriere-Schlussspurt. Tell-Tale Signs (2008): Alternative Versionen und Outtakes, dazu Soundtrack-Beiträge und Live-Versionen – im Grunde also Resteverwertung.

Aber für Dylans Reste würden geringere Songschreiber morden. Zudem ist er sehr gut bei Stimme. Faszinierend. Fallen Angels (2016): Wie auf dem Vorgängeralbum nimmt sich Dylan der Songs des American Songbook an. Stücken, die früher Sinatra gesungen hat, gewinnt er mit Raspelstimme neue Nuancen ab. Melancholisch, nostalgisch.

Bob Dylan charged by Paris prosecutor.       -  Bob Dylan 2013
Foto: Didier Plowy / Mcc (FRENCH MINISTRY OF CULTURE) | Bob Dylan 2013
 
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