Seit der israelisch-palästinensische Konflikt wieder aufgeflammt ist, sind viele Menschen in Deutschland auf die Straße gegangen – Freunde wie Feinde Israels. Bei den Protesten fallen antisemitische Parolen, auch wurden israelische Flaggen verbrannt und es flogen Steine auf Synagogen. Der Würzburger Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, sieht den wachsenden Antisemitismus in Deutschland mit Sorge. Ein Gespräch über seltsame Allianzen und Defizite der Justiz.
Frage: Herr Schuster, wie sehr überraschen Sie antisemitische Ausschreitungen wie jetzt in Berlin oder Gelsenkirchen noch?
Schuster: Ehrlich gesagt hat mich das nicht überrascht. Erinnern Sie sich an das Jahr 2014: Da hatten wir eine ganz ähnliche Situation in Deutschland. Natürlich darf in einer Demokratie jeder demonstrieren und seine Meinung frei äußern, das gilt auch für pro-palästinensische Demonstrationen. Was aber nicht geht: dass in solchen Demonstrationen antisemitische Parolen skandiert oder gar Steine auf Synagogen geworfen werden. Die in Deutschland lebenden Juden, die zum weitaus größten Teil auch deutsche Staatsbürger sind, haben mit dem Nahostkonflikt nichts zu tun.
Wo ziehen Sie die Grenze zwischen Israel-Kritik und Antisemitismus?
Schuster: Kritik an der Regierungspolitik des Staates Israel ist völlig legitim – so wie es in Deutschland völlig legitim ist, Entscheidungen der Bundesregierung zu kritisieren. Wer dem Staat Israel allerdings sein Existenzrecht abspricht oder zum Boykott Israels aufruft, überschreitet eine Grenze. Hier wird es schnell antisemitisch: Man sagt Israel – und meint die Juden.
Sie haben nach den jüngsten Ausschreitungen ein konsequenteres Einschreiten der Polizei gefordert. Ist unsere Polizei zu lasch?
Schuster: Lasch ist vielleicht das falsche Adjektiv. Fakt ist aber, dass sie ihren Aufgaben nicht immer gerecht wird. In Gelsenkirchen konnte verhindert werden, dass die Demonstranten bis zur Synagoge vordringen, da hat die Polizei einen guten Job gemacht. Wenn Demonstranten aber antisemitische Parolen brüllen oder zu Gewalt gegen Juden aufrufen, erwarte ich von der Polizei, dass sie auch durchgreift, dass sie ermittelt, die Täter benennt und das zur Anzeige bringt. Nur so kann die Justiz auch Strafen verhängen.
Sind jüdische Einrichtungen in Deutschland gut genug geschützt?
Schuster: Nach dem Attentat von Halle im Oktober 2019 wurden alle Schutzmaßnahmen noch einmal überprüft und angepasst. Bei besonderen Lagen muss es allerdings auch möglich sein, diesen Schutz noch zu verstärken. Bei uns in Würzburg, zum Beispiel, bewacht die Polizei das jüdische Gemeindezentrum bei Gottesdiensten oder Veranstaltungen. Entsprechend erweitert muss der Polizeischutz auch werden, wenn irgendwo eine anti-israelische Demonstration angemeldet wird.
Es hat sich eine seltsame Allianz aus Rechtspopulisten, Corona-Leugnern und Impfgegnern gebildet. Wie tief sitzt der Antisemitismus in diesem Milieu?
Schuster: Diese sogenannten Querdenker sind von Rechtsextremisten und -populisten unterwandert, auch Politiker der AfD bekennen sich ganz offen dazu. Und da steigen dann auch noch Impfgegner, Esoteriker und christliche Fundamentalisten mit ins Boot. Der gemeinsame Feind, das Böse, wenn Sie so wollen, sind in diesen Kreisen schnell die Juden. Diese neuen Allianzen beobachte ich mit großer Sorge.
Antisemitismus wird vor allem unter „rechtsextrem“ verbucht. Wie gefährlich ist der Antisemitismus von links und aus dem muslimischen Lager?
Schuster: Den Großteil der antisemitischen Straftaten können wir dem rechtsextremen Bereich zuordnen. Offiziell sind das etwa 90 Prozent, dazu muss man wissen, dass Straftaten, bei denen die Täterschaft unklar ist, automatisch in die Kategorie „rechts“ fallen – insofern ist diese Zahl mit Vorsicht zu genießen. Der von Ihnen erwähnte Antisemitismus von links artikuliert sich vor allem als israelbezogener Antisemitismus und findet sich auch in der Mitte der Gesellschaft. Wie stark der Antisemitismus von muslimischer Seite ist, haben wir bei den jüngsten Demonstrationen alle gesehen. Ich scheue mich jedoch, dafür die Migrationskrise 2015/2016 verantwortlich zu machen. Solche Demonstrationen haben wir auch schon früher gesehen.
Brauchen wir auch härtere Strafen?
Schuster: Ja – auch wenn die Bundesregierung das Strafrecht bei Antisemitismus erst gerade verschärft hat. Die größeren Defizite aber sehe ich bei der Justiz, die auf dem rechten Auge doch eine gewisse Sehschwäche hat. Zum Kampf gegen den Antisemitismus gehören immer mindestens zwei: ein entschlossener Gesetzgeber und eine Justiz, die dieses Recht auch entschlossen umsetzt. Bei uns in Unterfranken, das nur als Beispiel, hat ein Redner bei einer Anti-Corona-Demonstration vor kurzem die Maßnahmen der Bundesregierung mit dem Vorgehen der Nationalsozialisten gegen Juden gleichgesetzt. Das wurde zur Anzeige gebracht, die Anzeige aber wurde von der Staatsanwaltschaft nicht weiter verfolgt. Sie war der Meinung, dass der Mann nicht den Holocaust relativiert hat, was strafbar gewesen wäre, sondern dass er nur von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht hat. Diese Logik verstört mich sehr.
In Sachen Existenzrecht kann ich mitgehen, in Sachen Boykott nicht mehr. So einige Staaten dieser Welt werden boykottiert oder mit Sanktionen behängt, teilweise aus nichtigeren Gründen. Wenn ein Staat völkerrechtswidrig Land annektiert und dieses in eindeutiger Absicht besiedeln lässt, ist Boykott ein mögliches Mittel, gerade da Kritik ja seit Jahrzehnten nichts fruchtet. Übrigens sind 20% der israelischen Staatsbevölkerung Araber, ein Boykott des Staates Israel kann daher nicht antisemitisch im engeren Sinne sein.
Sie sagen immer, wer Kritik an Israel äußert, ohne gleichzeitig Kritik an allen anderen Unrechtsregimen zu äußern, sei ein Antisemit. Was ist dann ein Zentralratsvorsitzender, der Kritik an den (natürlich zu verurteilenden) Raketenangriffen der Hamas äußert, nicht jedoch an der völkerrechtswidrigen Siedlungspolitik und Besetzung palästinenscher Gebiete durch Israel?
Aber ich frage mich schon, warum eine Religionsvertretung wie der Zentralrat der Juden in Deutschland, dann immer so offen Partei für die Regierung Israels ergreift. Damit schüttet man doch erst Recht Öl ins Feuer. Sicherlich hat man als deutscher Jude zum Land Israel eine ganz besondere Verbindung, aber das könnte ein Grund sein, warum viele Idioten in unserem Land denken Juden = Israel.
Ja was soll denn dann dafür verantwortlich sein???
Auch wenn manche Medien immer stärker versuchen diese ungute Entwicklung Querdenkern und Corona-Leugnern in die Schuhe zu schieben, so sind die Fernsehbilder - und auch die Statistiken der Polizei - eindeutig!
Das Problem ist eindeutig hausgemacht und diejenigen, die schon frühzeitig davor gewarnt haben, die werden heute sogar noch mitverantwortlich dafür gemacht!
Manche sind eben nicht nur auf einem Auge blind, sondern sogar auf beiden! Sie verschließen die Augen vor der Wirklichkeit und reden sich ihre Sicht der Dinge schön!
Oder Sie schauen hier...
https://taz.de/Demonstrationen-gegen-Israel/!5767396/
Aber bestimmt gehen diese Fakten ebenso gegen Ihr Meinungsbild u. es handelt sich vorurteilsgeprägt auch um ein RECHTSkonservatives Blatt oder mindestens der Korrekturleser des Artikels saß im Pendler-Bus schon einmal neben Rechstsympathisanten.
Es nervt.
Die brandaktuelle poliz. Kriminalstatistik 2020 kam gerade raus.
Gewalttaten sind zu verurteilen, ob rechts, links oder dergl. Schlimmer ist, das Gewalttaten/Misshandlungen gegen Kinder/Schutzbefohlene 2020 deutlich (10%) zugenommen haben auf ca. 6000 Fälle u. 152 verloren ihr Leben. Das Thema findet medial kaum Erwähnung.
Schauen Sie nun mal, wie viel dagegen lt. offizieller Statistik durch rechte Gewalt in 2020 ihr Leben ließen u. deren mediale Verarbeitung.
https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/PolizeilicheKriminalstatistik/PKS2020/pks2020_node.html;jsessionid=57AEE68CB90E7FEA09912F47FDA048AB.live0611
Gemerkt?
Sie verschließen die Augen vor der Wahrheit, wie auch viele andere Mitmenschen, besonders aus dem Umfeld der Abwärts für Deutschland.
Es gibt in Deutschland leider immer noch diesen mehr oder eher weniger versteckten Antisemitismus. Er war nie ausgerottet nach der Zeit der Nazi Diktatur. Er war nur weniger sichtbar bis zum Aufblühen der jüdischen Gemeinden nach der Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion.
Der Attentäter von Halle beispielsweise hatte keinen Migrationshintergrund und wollte dennoch ein Blutbad an jüdischen Mitbürgern in Deutschland anrichten. Und viele Menschen aus dem Umfeld der Leerdenker verschwurbeln in ihren Gedankenblasen Impfabneigung und Hass auf angeblich "jüdisches Großkapital" oder Bill Gates ohne auch nur ansatzweise Begründungen für ihr Gedankenschlecht zu haben.
Dieser Spruch "die Juden sind an allem schuld" hat sich generationenübergreifend in deutsche Köpfe eingebrannt, leider. Er ist nicht abgeschüttelt nach 1945 bei der Masse.
Ist das so verwunderlich? Israel sieht sich selbst als Nationalstaat des jüdischen Volkes, wird also schlechthin als DER Staat der Juden wahrgenommen.
Tja und seit den 1930ern gibt es pausenlos Krieg, Streit, Gewalttätigkeiten, Raketenangriffe usw. zwischen den dortigen Bewohnern. Wie soll diese Denke ("Die Juden sind an allem Schuld") denn aus den Köpfen verschwinden unter solchen Bedingungen?
Ausgerechnet in der Wiege des Christentums werden alle christlichen Werte mit Füssen getreten, nein eher mit vorgehaltener Waffe bekämpft. Beide Seiten sind hier in der Verantwortung, doch besonders Israel bringt sich, als Hochtechnologiestaat, immer wieder in die Schlagzeilen.
Da wirds schon schwer mit irgendeinem Verständnis....
"Man sagt Israel – und meint die Juden.": Josef Schuster, sprich bitte nur für Dich selbst!