Bei manchen politischen Kehrtwenden kann man sich nur noch verwundert die Augen reiben: Bayerns Wirtschafts- und Energieminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) zum Beispiel hatte bekanntlich sehr lange und sehr vehement den Bau großer Stromtrassen in Bayern abgelehnt. "Ich will keine dieser Trassen", beteuerte er etwa noch 2020.
Kurz nach der vergangenen Landtagswahl verkündete Aiwanger nun aber Mitte November ebenso breitbeinig das genaue Gegenteil seiner früheren Position: Neben den Trassen SuedLink und SuedostLink brauche Bayern eine dritte große Stromautobahn aus Norddeutschland, verlangte er – und garnierte seinen Kurswechsel sogar noch mit heftigen Attacken auf die für die Trassenplanung zuständige Bundesnetzagentur. Deren Chef Klaus Müller sei schließlich "grüner Parteigänger" und habe "vielleicht bei vielen Themen eine andere Vorstellung als der Freistaat Bayern", polterte er.
In einem achtseitigen Schreiben, das dieser Redaktion vorliegt, machte Aiwanger der Bundesnetzagentur zeitgleich sogar weitere massive Vorwürfe: Deren Planung enthalte "mehrere offenkundig fehlerhafte Annahmen". So werde der künftige Strombedarf in Bayern "erheblich unterschätzt".
Zwischen den Zeilen kann man gar den Vorwurf herauslesen, dass dies aus politischen Gründen durchaus vorsätzlich passiert sein könnte. Auch unterstelle die Netzagentur viel zu hohe Stromimporte aus Österreich nach Bayern. Die gesamte langfristige Netzplanung bis 2045 müsse trotz langjähriger Abstimmung auch mit dem Freistaat Bayern deshalb sofort geändert werden, verlangte Aiwanger – um "zumindest die gravierendsten Mängel zu beheben".
Stromleitung nach Schwaben: Einst durch Oberbayern geplant, nun aber durch Unterfranken?
Was das alles mit Unterfranken zu tun hat? Möglicherweise eine ganze Menge. Zwar hält Aiwanger sich zu möglichen Trassenführungen einer dritten Stromautobahn bedeckt. Die dritte Leitung soll aber offenbar nach Schwaben führen, wo Aiwanger ein Strom-Defizit befürchtet. "Und die Leitungsführung, so hört man, würde dann wohl über Unterfranken und Mittelfranken zum Netzknotenpunkt Gundremmingen gehen", glaubt der Grünen-Energieexperte Martin Stümpfig.
Diese plötzliche Kehrtwende wäre aus unterfränkischer Sicht doppelt brisant: Denn die ursprüngliche Trassenplanung für Bayern sah vor gut acht Jahren vor, Schwaben über die SuedOst-Link-Trasse von Landshut aus über das nördliche Oberbayern zu erschließen – ein Plan, den der damalige CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer verhinderte.
"Erst die Leitung nach Schwaben durch Oberbayern blockieren und jetzt, wenn die Planungen fertig sind, zu Lasten Frankens wieder fordern", schimpft der Mittelfranke Stümpfig: Mit dieser Dreistigkeit schlage Bayerns Staatsregierung "dem Fass echt den Boden aus".
Doch nicht nur bei den Grünen, auch in der unterfränkischen CSU ist man sauer auf Hubert Aiwanger und seine Energiepolitik: "Aiwanger ist ein Populist, der in Regierungsverantwortung von der Realität eingeholt wird", findet der Bundestagsabgeordnete Alexander Hoffmann. Bei der Stromversorgung gehe es schließlich um die Zukunft des Industriestandorts Bayern. "In Sachen Stromtrassen hat sich Aiwanger längst in seinen eigenen Widersprüchen verheddert", schimpft der CSU-Politiker aus Main-Spessart: "Das hat fast schon was von Realsatire."
Zum Lachen ist Hoffmann allerdings nicht zumute: Schon bei der Neben-Trasse P43 habe Aiwanger "die Region verkauft", schimpft er. Aiwanger hatte 2019 einen Umweg über Unterfranken für die ins Rhein-Main-Gebiet führende Stromleitung zugestimmt, aber einen fast unsichtbaren Verlauf per Erdkabel entlang der Autobahn A7 versprochen. Beides ist nun Makulatur, die Trasse soll nun über Land durch den Landkreis Main-Spessart führen.
Aiwanger hätte sich zumindest für den A7-Verlauf der P43 einsetzen müssen, findet Hoffmann: "Doch bis heute kommt von ihm nur das Schweigen im Walde."
Bundesnetzagentur widerspricht Aiwanger: Netzplanung basiert auf "validen Annahmen"
Sowohl der Grüne Stümpfig als auch CSU-Mann Hoffmann bezweifeln zudem die Notwendigkeit der von Aiwanger nun geforderten dritten Stromautobahn. Die Bundesnetzagentur teilt auf Nachfrage mit, dass den aktuellen Planungen "bei aller verbleibenden Ungewissheit über die Zukunft valide Annahmen zugrunde" liegen – also auch ohne eine neue Aiwanger-Trasse genug Strom nach Bayern fließen kann.
Der Netzbetreiber Tennet schlägt stattdessen zur Netzstabilisierung eine Stich-Trasse von der Leitung P43 zum Netzknotenpunkt Trennfeld vor – was allerdings ebenfalls für Main-Spessart eine zusätzliche Belastung wäre. Eine Energiewende ohne neue Leitungen könne es zwar nicht geben, findet deshalb der regionale CSU-Landtagsabgeordnete Thorsten Schwab: "Aber es wäre schon Aiwangers Aufgabe als bayerischer Energieminister, diese Leitungen so zu verteilen, dass es nicht immer nur einen Landkreis trifft."
Rückblickend kann ich für Deutschland aber nur ein kollektives Staatsversagen erkennen.
Wir haben mehr als 50 Jahre Atomkraftwerke ohne Endlager betrieben. Dann eine Ausstiegskommödie in mehreren Akten.
Das gleiche Unvermögen beim Ausbau der Windkraft. Erst die Windräder im Norden hochziehen und dann irgendwann mal die Trassen in den Süden bauen. Nun kaufen wir kein Gas mehr aus Russland und schalten die Atomkraftwerke ab, die der dumme Rest der Welt z.T. verdreifachen will. Dafür produzieren wir dreckigen Kohlestrom und fabulieren vom Aufbau von Energie-Speichern auf Basis von Wasserstoff und Batterien. Gleichzeitig wollen wir fossile Heizungen u.a. mit Wärmepumpen ersetzen und Elektroautos anstelle der Verbrenner etablieren.
Das ist nicht zu vernünftigen Preisen umzusetzen. Fazit: Das Chaos geht weiter, nur in eine andere Richtung.
Wer hat dem Wirtschaftsminister Aiwanger verraten, dass Strom nicht einfach so aus der Steckdose kommt. Es ist aber gut möglich, dass er das morgen schon wieder vergessen hat.
Zur Erinnerung. Markus Söder hatte 2011 mit Rücktritt als Bayerischer Umweltminister gedroht, wenn der Atomausstieg nicht spätestens bis2022 erfolgt sei.
Die CSU hat eine dezentrale Stromversorgung in Bayern massiv behindert, indem sie den Ausbau von Windkraft gestoppt hat (10-H Regel). Jetzt braucht Bayern halt viel mehr Strom aus dem Norden, und die örtlichen CSU Abgeordneten beklagen den dafür notwendigen Bau von Leitungen.
Gleichzeitig denkt Ministerpräsident Söder von der CSU über neue Atomkraftwerke nach. Da können die örtlichen CSU Abgeordneten gleich mal die „Monstertrassen“ anschauen, wie sie vom ehemaligen AKW Grafenrheinfeld wegführen, ist ja nicht so weit. Die wurden ja auch im Atomwahn der CSU gebaut. Solche Leitungen wird es dann schon noch einige brauchen, für die neuen AKWs. Von einem Endlager ganz zu schweigen.
DAS ist Populismus!
Gestern hatte ich kurz einen Anruf im Juliusspital in Würzburg. Auf einmal tote Leitung.
Die nette Dame am Telefon meinte, wir hatten kurz einen Stromausfall im Krankenhaus.
Irgendwann kommt dann der große Blackout, dank Abschaltens der AKW`s. Wer sorgt für genügend Stromersatz??
Unwahrscheinlich. Allein Bayern hat in diesem Jahr (bis September) schon 2,5 GW Netto-Zubau (abzgl. alter Anlagen) an Erneuerbaren Energien. Und das ist sogar noch ausbaufähig: Aiwangers geplante 1200 Windräder haben etwa zusammen etwa 3-4 GW Leistung.
https://www.augsburger-allgemeine.de/wirtschaft/erneuerbare-energien-bayern-fuehrt-beim-ausbau-der-erneuerbaren-id68468186.html
https://umweltinstitut.org/energie-und-klima/meldungen/erneuerbare-energien-bayern/
Um das etwas einzuordnen: 2022 haben die letzten 4 AKWs etwa 35 TWh Strom erzeugt (etwa 6% der gesamten Stromerzeugung) oder 2022 hat Deutschland etwa 20 TWh Strom exportiert (davon 9 TWh nach Frankreich).
In diesem Jahr wurden bis jetzt etwa 13,3 GW Erneuerbare Energien in ganz Deutschland zugebaut. Dieser Zubau erzeugt jährlich etwa 20 TWh Strom.
https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/ausbau-erneuerbare-energien-2225808
Da haben Sie Recht das ist immer zuviel. Aber solche Augenblickswerte bringen recht wenig.
Die 600g/kWh kommen von Kohle und Gas. Aber wie wollen Sie das reduzieren? Das kann nur durch Zubau von erneuerbaren Energien und zunehmen Ausbau von Batteriespeicher und Wasserstoff. verringert werden.
"Für das Gesamtjahr rechnen die Experten mit einem Rückgang um 65 Millionen Tonnen. Der Grund dafür liegt vor allem im Rückgang des Energieverbrauchs – sowie damit einhergehend in der rückläufigen Stromerzeugung aus Erdgas und, noch deutlich stärker, aus Braun- und Steinkohle.
https://www.pv-magazine.de/2023/11/02/energiebedingte-co2-emissionen-sind-in-den-ersten-drei-quartalen-2023-um-elf-prozent-gesunken/
anstatt nach dem gesetzlich festgelegten ausstieg aus der kernenergie im jahre 2011 die energiewende in angriff zu nehmen mit dem ausbau der erneuerbaren, ausbau der netzinfrastruktur, entwicklung von speichertechnologie usw.usf. hat man was gemacht?
genau das gegenteil!
und ein wirtshausminister wie der herr aiwanger stellt sich jetzt hin und schiebt die schuld auf andere, die natürlich irgendwas mit den grünen zu tun haben.
und wenn der chef der bundesnetzagentur "vielleicht bei vielen Themen eine andere Vorstellung als der Freistaat Bayern hat",
dann vermutlich deshalb, weil die bayerische staatsregierung vor lauter kehrtwendungen selbst nicht mehr weiß was sie gerne hätte...
Sie wollen ja wahrscheinlich darauf hinaus, dass es die grundlastfähige Atomkraft braucht, damit alles (wieder?) gut wird. Aber weit gefehlt.
In Frankreich gab es 2022 insgesamt 56 AKWs. Aber wegen der zunehmenden Trockenheit (weniger Kühlwasser!) und wegen Sicherheitsmängel in diesen Anlagen hat Frankreich 2022 netto 15,3 TWh (15.300.000.000 kWh) elektrische Energie aus Deutschland importieren müssen. Kosten ca. 4.2 Mrd €.
Insgesamt hat Deutschland im Jahr 2022 26,3 TWh exportiert. (Bundesnetzagentur)
Die Parole der Gegner der Erneuerbaren Energien "Jetzt kaufen wir halt den Atomstrom aus Frankreich" ist ganz offensichtlich eine dreiste Behauptung der Unwahrheit.
Es ist genug Offshore Strom da, hätte die Staatsregierung langfristig für Leitungen gesorgt, käme er auch schon in Bayern an…
Und der Stromausfall lag wohl eher an dem großen Wasserschaden vor dem Juliusspital….
nicht mal das bekommen sie hin...