Vor zwei Jahren war die Erleichterung bei den Bürgermeistern im nord-östlichen Landkreis groß. Netzbetreiber Tennet legte einen Vorschlag für den Verlauf der umstrittenen Höchstspannungsstrecke P43 vor und der Landkreis Main-Spessart war nicht betroffen. Die zirka 130 Kilometer lange Stromleitung, auch Fulda-Main-Leitung genannt, sollte östlich am Landkreis vorbeilaufen. Das hat sich geändert. Betreiber Tennet hat nun einen neuen Vorschlag öffentlich gemacht.
Demnach tritt die Stromleitung zwischen Michelau und Weickersgrüben nahe der Roßmühle in den Landkreis Main-Spessart ein, quert die Gemeinden Karsbach und Gössenheim, berührt möglicherweise das Gemeindegebiet von Gemünden und Karlstadt, führt weiter über Eußenheim und Arnstein auf dem Weg nach Bergrheinfeld. Exakt lässt sich das noch nicht sagen, da Tennet nur einen Korridor mit dem groben Verlauf mit einer Breite von einem Kilometer vorgelegt hat (siehe Grafik). Darüber soll zum Jahreswechsel die Bundesnetzagentur entscheiden und auf dieser Basis wird der metergenaue Verlauf festgelegt.
P43 wird auf Masten gebaut
Zur Erklärung: Die sogenannte Fulda-Main-Leitung hat nichts mit der SuedLink-Stromtrasse zu tun, die ebenfalls derzeit geplant wird. Der SuedLink ist eine Gleichstromleitung, die möglichst verlustfrei gewaltige Mengen Strom aus dem Norden in den Süden bringen wird. Die P43 dagegen ist eine Wechselstromleitung, die das gesamte Stromnetz in Deutschland stabilisiert. Während die Leitungen von SuedLink komplett in der Erde verschwinden, wird die P43 auf Masten gebaut.
Die Bürgermeister der Gemeinden in Main-Spessart, durch die nun die P43 verlaufen soll, zeigten sich überrascht. "Die haben die Katze gestern erst aus dem Sack gelassen", meinte Gräfendorfs Bürgermeister Johannes Wagenpfahl. Begeistert sei er natürlich nicht. Er stelle sich die Frage, was daran noch zu ändern ist. Die A7-Variante, so habe er in einer Online-Veranstaltung am Mittwochabend erfahren, falle durch ein Wasserschutzgebiet bei Riedenberg (Lkr. Bad Kissingen) aus, in das keine Strommasten gebaut werden können.
Auch der Arnsteiner Bürgermeister Franz Josef Sauer zeigt sich nicht glücklich über die neuen Pläne. Dass das Wasserschutzgebiet bei Bad Brückenau der Grund sein soll, kann er nach jetzigem Kenntnisstand nur schwer nachvollziehen: "Auch bei uns im Werntal liegen intensive Wasserschutzgebiete." Dennoch gelte es nun, sich nicht von ersten Emotionen leiten zu lassen. Der interkommunale Verein MSP-Link – der sich kritisch mit großen Infrastrukturprojekten auseinandersetzt – wollte eigentlich das nächste Mal im Dezember tagen. Das werde nun schneller gehen müssen: "Ob wir da noch Chancen haben, müssen wir sehen", sagt Sauer.
Große Chancen rechnet sich Eußenheims Bürgermeister Achim Höfling nicht aus. Auch er sei überrascht gewesen: "Ich habe gehofft, dass das an uns vorübergeht", sagt er. Allerdings halte er es für falsch, rein aus Prinzip eine Antihaltung einzunehmen. Tennet habe großen Aufwand betrieben, möglichst alle Kommunen mit einzubeziehen und seine Entscheidungen nachvollziehbar zu machen: "Ich glaube nicht, dass uns hier offensichtliche Verfahrensfehler auffallen und kann mir nicht vorstellen, dass rechtlich dagegen anzugehen ist."
Verärgerte Bürgermeister
Der Karsbacher Bürgermeister Martin Göbel hat am Mittwochnachmittag aus dem Radio erfahren, dass seine Gemeinde jetzt von der Leitung betroffen ist. "Ich wurde bis jetzt noch nicht von Tennet angerufen." Er sei kein Gegner der Trasse, sie sei wichtig. "Wenn die Trasse kommt, ist für mich wichtig, dass sie so weit wie möglich von den Häusern wegkommt." Er fragt sich, warum die Trasse nicht bei Hammelburg quer nach Osten laufe, was seiner Ansicht nach die kürzere und billigere Variante wäre.
Klaus Schäfer, Bürgermeister von Gössenheim, hat am Donnerstag aus der Zeitung erfahren, dass die Leitung durch sein Gemeindegebiet gehen wird. Das sei ärgerlich und die Trasse sicher keine Schönheit, aber man müsse das Beste daraus machen und beim genauen Verlauf mitreden. Der Strom für Elektroautos und dergleichen müsse ja irgendwoher kommen, man könne nicht nur nach dem St.-Florians-Prinzip sagen, dass die Leitung woanders verlaufen solle.
Auch Gemündens Bürgermeister Jürgen Lippert hat erst am Donnerstagmorgen beim Blick in sein Postfach durch eine am späteren Mittwochabend vom Landratsamt verschickte Mail vom neuen Verlauf erfahren. Seine letzte Information, die gar nicht so alt sei, sei gewesen, dass die entlang der A7 weiterhin die Vorzugstrasse sei. Betroffen könnten auf Gemündener Gemarkung die Stadtteile Aschenroth und Adelsberg sein, aber wenn dann vermutlich nur wenig, das komme auf den genauen Trassenverlauf an.
Die Landkreisverwaltung wurde von der Redaktion ebenfalls um eine Stellungnahme gebeten. Landrätin Sabine Sitter war auf dem Bayerischen Landkreistag, für sie antwortet Sebastian Kühl, Leiter der Landkreisentwicklung: "Die Entscheidung der Tennet trifft uns nicht aus heiterem Himmel", sagt er. Es seien bei den vorher bevorzugten Varianten neue Raumwiderstände aufgetaucht. Deshalb erscheine nun der Korridor durch den Landkreis Main-Spessart als die offenbar sehr knapp von Tennet bevorzugte Variante. Kühl kündigte an, gemeinsam mit den betroffenen Kommunen den Korridorvergleich zu prüfen und sagte aber auch, "die Energiewende lässt sich nur mit neuen Stromtrassen umsetzen".
Am Donnerstag, 19. Oktober, informiert Tennet alle Interessierten: In der Scherenberghalle in Gemünden gibt es von 18 bis 21 Uhr Info-Stände und die Planer stehen Rede und Antwort.