Der Simbach in Ostbayern ist am Mittwoch binnen kurzer Zeit von 50 Zentimetern auf über fünf Meter angeschwollen. Die Experten des Landesamts für Umwelt in Augsburg sprechen von einem „mehr als 1000-jährigen Hochwasser“. Wie war das möglich?
Schuld an der Katastrophe von Simbach ist ein seltenes Wetterphänomen, sagt Volker Wünsche vom Deutschen Wetterdienst (DWD). Innerhalb eines großen Tiefdruckgebiets hatten sich kleine, besonders intensive Tiefdruckzellen gebildet. Dazu fehlte noch der Wind, und so lagen Wolkenfelder fast unbeweglich in der Luft über Teilen Niederbayerns und Österreichs. Sie regneten enorm stark ab. Von Dienstag bis Mittwoch fielen in der Umgebung von Simbach bis zu 150 Liter Regen pro Quadratmeter. Zum Vergleich: Im ganzen Monat Mai waren es im Landkreis Passau rund 80 Liter pro Quadratmeter, sagt der DWD-Experte. Der Regen ging punktuell nieder, das abregnende Wolkenfeld zog nicht weiter. So verteilten sich die Wassermassen kaum, eine kleine Fläche bekam eine riesige Wasserlast ab, ähnlich einem Duschstrahl.
In Simbach wurde der gleichnamige, sonst nur wenige Zentimeter tiefe Dorfbach innerhalb von Minuten zum reißenden Strom – nicht der nahe Fluss Inn. In Triftern passierte das Gleiche mit dem kleinen Altbach. Als „ganz typisch für Starkregen“, bezeichnet Meteorologe Wünsche das Phänomen. Ein großer Fluss wie die Donau hat viel Platz für neue Wassermassen. Ein vergleichsweise winziges Bachbett kann Starkregen nicht kompensieren. Der Strom wird reißend und tritt an seinem tiefstgelegenen Punkt über die Ufer. Das passiert rasend schnell und mit Wucht – die Flut reißt Geröll und Schlammmassen mit.
Hat der Hochwasserschutz in Bayern versagt?
Nach dem großen Pfingsthochwasser von 1999 verabschiedete das bayerische Kabinett 2001 ein umfangreiches Hochwasserschutzprogramm. Bis zum Jahr 2020 werden 2,3 Milliarden Euro in den Hochwasserschutz im Freistaat gesteckt. Der Fokus liegt dabei aber auf Maßnahmen an den großen Flüssen wie der Donau, beispielsweise mit der Errichtung von Flutpoldern. Bayerns Umweltministerin Ulrike Scharf sagte nun, nachdem sie gestern das Katastrophengebiet besucht hatte: „Wir müssen künftig auch in Gebieten aktiv werden, die für Hochwasserschäden bisher nicht bekannt waren.“
Heißt: Experten müssten die kleinen Gewässer verstärkt in den Blick nehmen. Der Regierungspräsident von Niederbayern, Heinz Grunwald, beschreibt die Ereignisse so: „Kein Mensch konnte mit diesen Wassermassen rechnen.“ Innerhalb kürzester Zeit sei der Wasserstand um fünf Meter angestiegen. Bei solchen Extremereignissen stoße die Prävention an ihre Grenzen. „Wenn es eine Lehre gibt, die wir aus dem Hochwasser ziehen können, dann die, dass es keine Sicherheit gibt.“ Das bayerische Umweltministerium sieht in der heutigen Flächennutzung einen Teil des Problems. „Heute liegen in den Talauen trotz der immer wiederkehrenden Hochwassergefahr unsere bevorzugten Siedlungs-, Verkehrs- und Gewerbeflächen.“ Die Wassermassen hätten keinen Platz mehr, um sich zu verteilen. Fließen sie auf engerem Raum zusammen, drohe dort umso mehr Schaden. Warum konnten die Behörden die Katastrophe nicht vorhersagen?
Über ganz Deutschland verteilt hat der DWD Regenauffangstationen, die die Niederschlagsmenge messen. Diese seien im Abstand von 10 bis 20 Kilometern aufgestellt. Bei punktuell auftretendem Starkregen wie in Niederbayern stoße das System an seine Grenzen, sagt Wünsche. Ein Sprecher des Bayerischen Landesamts für Umwelt (LfU) sagte unserer Zeitung, eine Gefahrenprognose für ein solch lokal begrenztes Wetterphänomen sei nicht möglich. Der Deutsche Wetterdienst habe für Mittwoch vor „ergiebigem Dauerregen für Nieder- und Oberbayern“ gewarnt. Doch seien die Wetterlagen zu komplex, um konkrete Vorhersagen für kleine Gewässer abzuleiten. Die Frage, warum das LfU am Mittwoch erst um 20 Uhr die höchste Hochwassermeldestufe 4 ausrief, beantwortete das Amt nicht. Es liefen noch interne Analysen.
Die Bedingungen waren anders, sagt Peter Hoffmann vom Potsdamer Institut für Klimaforschung. Bei diesen Hochwassern seien die Böden über deutlich längere Zeiträume hinweg mit Wasser vollgelaufen. Schließlich hätte das Wasser nicht mehr absickern können, weil der Boden gesättigt war. Und das, obwohl es nicht so heftig geregnet hatte wie am Mittwoch in Niederbayern. Wenn, wie dort geschehen, extrem viel Regen herunterkommt, kann das Wasser nicht mehr ins Erdreich abfließen. Es geschieht etwas anderes, wie Gerhard Hallek vom Bayerischen Bauernverband erklärt: „Kommt zu viel Wasser auf einmal, staut es sich. Dann geht es nicht in die Erde rein, sondern schwemmt die oberste Schicht weg.“ Das führe zu den schlammigen Überschwemmungen wie in Niederbayern.
Peter Wünsche hält Überschwemmungen bis Ende August für möglich. Hochwasser seien vor allem das Ergebnis starker Gewitter und damit Regenfällen. Zwischen Ende Mai und August passieren diese am häufigsten, da kalte Luft vom Atlantik auf warme Luft auf dem Festland trifft. Dass die Hochwasser von 1999 und 2013 auch genau um Pfingsten herum passierten, hält der Meteorologe für Zufall.
Die Modelle der Forscher deuten darauf hin. Zwar werden die Sommer wohl immer trockener – die Unwetter aber auch extremer. Nach Klimamodellen des Deutschen Wetterdienstes könnte sich bis zum Jahr 2100 die Zahl der Tiefdruckgebiete um 20 Prozent erhöhen. Klimaforscher Hoffmann verweist auf den globalen Klimawandel. Der führe weltweit zu immer stärkeren Unwettern. Die Erdatmosphäre könne durch die Erwärmung mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Wenn es also regnet, dann stärker. Außerdem werden laut Hoffmann die Westwinde schwächer. Das kann direkt zu Katastrophen wie der in Simbach beitragen: Gewitterfronten, die nahezu unbeweglich bleiben, weil der Wind fehlt. Mit Informationen von dpa und sial
Das sagen Twitter-Nutzer zu den Überschwemmungen in Niederbayern:
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