Aufgrund der enormen Zusatzkosten einer Erdverkabelung von neuen Stromtrassen steigt bundesweit der Druck, den 2016 auf Drängen des damaligen Bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) eingeführten Erdkabel-Vorrang aufzuheben. So rechnet die Bundesnetzagentur bei geschätzten Gesamtkosten für neue Übertragungsnetze von bundesweit rund 320 Milliarden Euro bis 2045 bei einem Verzicht auf Erdkabel mit Einsparungen von fast 35 Milliarden Euro.
Bis zu 200 neue Freileitungs-Strommasten in Unterfranken?
Unterfranken ist schon heute stark vom Leitungsausbau betroffen. Eine Aufgabe der Erdverkabelung könnte nach Recherchen dieser Redaktion deshalb allein bei der geplanten Trasse SuedWest-Link zu bis zu 200 neuen Freileitungs-Strommasten vor allem in den Landkreisen Bad Kissingen und Main-Spessart führen.
In einer Umfrage der Deutschen Presseagentur (dpa) unter den Bundesländern zeigten sich jedoch Baden-Württemberg, Hessen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz offen für mehr Freileitungen. Hauptargument: Niedrigere Kosten und eine schnellere Fertigstellung. Niedersachsen, Schleswig-Holstein oder Nordrhein-Westfalen wollen dagegen am Vorrang der Erdkabel festhalten. Hauptargument hier: die höhere Akzeptanz in der Bevölkerung.
Im Gegensatz zu seinen Amtskollegen aus diesen Bundesländern will sich Bayerns Energieminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) zum Erdkabel-Vorrang jedoch nicht klar positionieren: Ein Wechsel zur Freileitungsplanung dürfte gerade in Unterfranken „nur schwer zu vermitteln sein“, teilt sein Ministerium dazu nur wachsweich mit.
Aiwanger auch auf Nachfrage nicht eindeutig für Erdkabel-Vorrang
Ein klares Nein ist das nicht. Und auch auf mehrfache Nachfrage dieser Redaktion will der Minister sich nicht eindeutig festlegen. Dabei könnte Aiwangers Ablehnung die Debatte um mehr Freileitungen schnell beenden: Denn die dpa zitiert Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) mit dem Satz, er könne sich ein "Umswitchen" auf Freileitungen nur dann vorstellen, "wenn die Länder schnell und in großer Gemeinsamkeit inklusive Bayern die Bundesregierung auffordern, das zu tun".
SPD und Grüne im Landtag: Freileitungen wären billiger und schneller fertig
Hört man sich im Bayerischen Landtag zu dem Thema um, trifft man auf ein vielschichtiges Bild: "Ich bin für Freileitungen, weil es uns Milliarden spart und die Stromkosten senkt", sagt etwa SPD-Fraktionschef Florian von Brunn. Allerdings müsse man auf regionale Belastungen Rücksicht nehmen und etwa in Teilen Unterfrankens Erdkabel möglich machen, findet er.
Auch der unterfränkische Grünen-Landtagsabgeordnete Paul Knoblach ist für Freileitungen offen – weil sie schneller gebaut werden können und billiger sind: "Auch wenn sie uns Bauern das Leben nicht gerade einfacher machen." Niemand sei begeistert von neuen Stromleitungen, erklärt Öko-Landwirt Knoblach: "Aber ich sehe ein, dass sie nötig sind."
CSU-Abgeordneter Schwab: Aiwanger muss in Berlin klar für Erdkabel-Vorrang eintreten
„Die Erdverkabelung ist richtig, auch wenn sie teurer ist“, findet dagegen der Main-Spessart-Landtagsabgeordnete Thorsten Schwab (CSU): "Man muss in jedem Fall daran festhalten, weil die neuen Stromtrassen immer wieder dieselben Landkreise treffen", findet er mit Blick auf Unterfranken. Vom zuständigen Energieminister Aiwanger erwartet Schwab deshalb, "dass er sofort die Fahne hisst und in Berlin sein Veto einlegt".
Auch die unterfränkischen CSU-Bundestagsabgeordneten Dorothee Bär und Alexander Hoffmann würden sich ein klares Votum von Aiwanger pro Erdkabel wünschen – kämpfen sie doch derzeit in der eigenen CDU/CSU-Bundestagsfraktion gegen Forderungen für ein Ende des Erdkabel-Vorrangs.
Bär und Hoffmann (CSU): Aiwanger darf sich in dieser Debatte nicht einfach wegducken
"Wir lassen nicht zu, dass die Befriedung bei den Stromtrassen wieder in Frage gestellt wird", beteuert Bär. Aiwanger könne sich bei dieser Diskussion nicht einfach wegducken. "Es ist die Aufgabe des bayerischen Wirtschaftsministers, sich auch um die Sorgen und Nöte der Menschen in Unterfranken zu kümmern", fordert sie. "Ich erwarte deshalb, dass er diese Debatte mitprägt."
"Aiwanger findet in dieser Debatte überhaupt nicht statt", bemängelt auch der Main-Spessart-Abgeordnete Hoffmann: Im Bierzelt verlange Aiwanger zwar gerne von der Politik, auf die Menschen und ihre Sorgen zu hören, schimpft der CSU-Politiker. "In seiner täglichen Arbeit als zuständiger Minister in Bayern spiegeln sich seine Bierzelt-Thesen allerdings leider überhaupt nicht wieder."